Werden Sie dem Antrag 20/4886 der CDU/CSU Fraktion zum Thema ME/CFS zustimmen?
Sehr geehrte Frau Harzer, meine Tochter ist seit 2021 an CFS erkrankt und kann daher momentan nicht zur Schule gehen. Anlässlich der Diskussion zum Antrag 20/4886 der CDU/CSU am 19.01.2023 im Bundestag waren sich alle Fraktionen einig, dass den Erkrankten dringend geholfen werden muss. Ich würde gern wissen, ob Sie diesem Antrag zustimmen werden. Über eine kurze Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Vielen Dank und freundliche Grüße
Sehr geehrte Frau S.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zum Thema ME/CFS. Ich habe dem Unionsantrag nicht zugestimmt und möchte Ihnen gerne meine Beweggründe erläutern.
Mir ist bewusst, dass die Versorgungslage für ME/CFS-Betroffene prekär ist und bis heute keine medikamentösen oder kurativen Ansätze existieren, um die Erkrankung gezielt und ursächlich zu behandeln oder gar zu heilen. Dies hängt vor allem mit der seit Jahrzehnten vernachlässigten Grundlagenforschung zusammen.
Die Ampel hat deshalb bereits einen ersten wichtigen Schritt gemacht: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert nun erstmals den Aufbau eines Forschungsnetzwerks zu ME/CFS. Dafür wurden Haushaltsmittel in Höhe von 16,5 Millionen Euro für 2022 und 2023 bewilligt. Ein solches Forschungsnetzwerk umfasst diverse Projekte, beispielsweise die "Nationale Klinische Studien-Gruppe Post-Covid-Syndrom und ME/CFS", in der umfangreiche Phase-II-Studien mit etablierten Medikamenten zur Behandlung von Post-COVID und ME/CFS durchgeführt werden. Darüber hinaus widmet sich beispielsweise die "Nationale Studiengruppe zu PCS/ME-CFS" (NKSG) der Errichtung einer Biomarkerplattform sowie der Durchführung klinischer Studien zur Evaluierung von Arzneimitteln und medizinischen Verfahren für PCS und ME/CFS.
Mir ist aber auch bewusst, dass dies nur ein erster Schritt ist, denn Forschungsstrukturen zu implementieren benötigt Zeit. Wir setzen uns deshalb innerhalb der Koalition für eine Fortführung dieser Forschungsförderung ein.
Aufgrund der Dramatik und auch Dringlichkeit des Themas befürworte ich es, dass die Union mit ihrem Antrag zu ME/CFS (Drucksache 20/4886) die Debatte im Bundestag angeregt hat. Wir befassen uns auch fraktionsübergreifend bereits seit Frühjahr 2022 im Rahmen einer Petition damit, welche Verbesserungen seitens der Politik möglich und nötig sind, um die Änderungen zur Versorgung von ME/CFS-Patientinnen und -patienten im Gesundheitswesen anzustoßen.
Als eines von ganz wenigen Krankheitsbildern hat das Chronische Fatigue-Syndrom auch explizit Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Hierbei haben wir uns auf die Schaffung eines deutschlandweiten Netzwerks von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für Long-COVID- und ME/CFS-Betroffene verständigt. Hierzu laufen zwischen den Beteiligten bereits intensive Gespräche. Selbsthilfevereinigungen und die Akteure des Gesundheitswesens sind aber ihrerseits bereits aktiv geworden und haben Anlaufstellen für die betroffene Menschen und ihre Angehörigen identifiziert und veröffentlicht.
Um die Versorgungssituation zügig weiter zu verbessern, haben wir im Parlament mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, im Dezember gesetzlich damit beauftragt, bis zum 31. Dezember 2023 eine Richtlinie für eine berufsgruppenübergreifende koordinierte und strukturierte Versorgung für Personen mit Long-/Post-COVID und ähnlichen Krankheitsbildern wie etwa ME/CFS zu beschließen. Gleichzeitig wird dadurch festgelegt, wie den Versicherten ein zeitnaher Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot gesichert werden kann.
Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU hat wertvolle Impulse geliefert, weist in meinen Augen jedoch auch inhaltliche Schwächen auf. So denke ich, dass die Erstellung eines regional und fachlich gegliederten Verzeichnisses über Ärztinnen und Ärzte im vertragsärztlichen und stationären Bereich mit spezifischer Expertise zu ME/CFS den Betroffenen dienlicher wäre, als der Aufbau von Koordinierungsstellen bei den Bundesländern. Betroffene wissen oft nicht, welche Ärztinnen und Ärzte sich überhaupt mit dem Krankheitsbild auskennen und pendeln von Anlaufpunkt zu Anlaufpunkt, was zusätzlich Kraft kostet.
Durch fehlende Aufklärung von Politik, Ärzteschaft und Öffentlichkeit erfahren die Patientinnen und Patienten oft erhebliche Stigmatisierung sowie mangelnde Anerkennung bei Krankenkassen, Versorgungsämtern, Rentenversicherungen, Schulen und Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Sozialdienstes und der Jugend -und Familienberatung. Ich sehe hier dringenden Aufklärungsbedarf. Doch die von der Union geforderte Aufklärungskampagne präzisiert den Adressaten nicht. Inhalte ärztlicher Weiterbildungen sind de facto eine ausschließliche Angelegenheit der Ärztekammern, auf die der Gesetzgeber keinen Einfluss hat. Lehrkräfte-Fortbildungen hingegen liegen in der Zuständigkeit der Kultus- und Wissenschaftsministerien der Länder. Diese sind hier dringend aufgerufen, Initiativen zu ergreifen. Auch die Ermöglichung der schulischen Teilhabe für schwer Erkrankte liegt in Länderverantwortung. Dies ist im Falle von ME/CFS fast ausschließlich über Homeschooling oder digitale Angebote möglich. Hier empfiehlt sich beispielsweise eine stärkere Nutzung des Digitalpaktes durch die Länder. Hier gehen die Freien Demokraten mit positivem Beispiel voran. So wurde in Thüringen ein umfangreicher Antrag von der FDP in den Landtag eingebracht, der diese Themen unter anderem adressiert. https://parldok.thueringer-landtag.de/ParlDok/dokument/85272/das_stille_leiden_an_me_cfs_beenden_forschung_versorgung_und_aufklaerung_staerken_neufassung.pdf
Die Union fordert in ihrem Antrag, ME/CFS in das Disease-Management-Programm (DMP) aufzunehmen und eine Chronikerpauschale festzulegen, um die Versorgung durch entsprechende Leistungserbringung im Bereich der Bestandsversorgung, Pflege und Rehabilitation zu verbessern. Leider liegt dies jedoch nicht in der Zuständigkeit des Gesetzgebers, sondern beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).
Die Inhalte des Medizinstudiums, konkret die Curricula bzw. Lernzielkataloge der medizinischen Fakultäten in Deutschland, der Medizinische Fakultätentag und die Gesellschaft für medizinische Ausbildung sind nicht Zuständigkeit des Bundes. Derzeit wird gemeinsam von Medizinischem Fakultätentag (MFT) und der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) ein „Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin (NKLM)“ entwickelt, der das Absolventenprofil von Ärztinnen und Ärzten und damit die Beschreibung derjenigen Kompetenzen bereitstellen soll, welche die Basis für die Entwicklung von Kerncurricula in den einzelnen Fakultäten sein sollen.
Aus den genannten Gründen ist der Antrag der Union für mich nicht zustimmungsfähig gewesen. Seien Sie jedoch versichert, dass wir mit Hochdruck am Thema arbeiten und uns für den Aufbau von den im Koalitionsvertrag genannten Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für ME/CFS und auch ein langfristig gesicherte Forschungsfinanzierung einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrike Harzer