Frage an Tom Schreiber von Christine Dr. R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Schreiber,
mit der Fachkräfteoffensive der Bundesregierung sollen u.a. die Potenziale Älterer stärker erschlossen werden, um die Wirtschaft Deutschlands trotz ungünstiger demografischer Entwicklung zu beleben. Die aktuelle Regelung für Frührentner steht leider damit nicht in Einklang. Alle Altersrentner, die noch nicht die Regelaltersgrenze erreicht haben, sind in ihren Hinzuverdienstmöglichkeiten drastisch eingeschränkt. Bei einer "Vollrente" beträgt die Hinzuverdienst-Grenze 400 €. Verdient man auch nur knapp darüber, wird die Rente nur noch zu 2/3 ausgezahlt (Teilrente).
Diese Regelung ist meiner Meinung nach ungerecht sowie wirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich kontraproduktiv.
1. Mit dem lebenslangen Rentenabschlag von 0,3 % pro vorgezogenem Monat gibt es schon einen fairen Ausgleich bei Frühpensionierung. Wozu ist es gut, Frührentner davon abzuhalten, ihre Fähigkeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten einzusetzen?
2. Die Zuverdienstgrenze von 400 € wirkt als de-facto Arbeitsverbot. Damit werden der Wirtschaft potentielle Ressourcen gerade hoch qualifizierter und erfahrener älterer Fachkräfte entzogen, die sie dringend benötigt. Dem Staat gehen entsprechende Steuereinnahmen verloren.
2011 sollen Pläne in der Koalition in Diskussion gewesen sein, Frührentnern ein Zuverdienst bis zur Höhe des früheren Arbeitsverdienstes abzüglich Rente zu ermöglichen.
Siehe http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,742550,00.html
Was ist Ihr Standpunkt in dieser Frage? Was unternehmen Sie, um die Fachkräfteinitiative der Bundesregierung auch bezüglich der Integration von Frührentnern in den Arbeitsmarkt mit Leben zu erfüllen?
Ihrer Antwort sehe ich mit Spannung entgegen.
Mit freundlichen Grüßen aus Berlin-Köpenick
Dr. Christine Radomsky
Sehr geehrte Frau Radomsky,
zunächst möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, dass Sie so lange auf eine Antwort warten mussten.
Ihre Frage bzw. Ihr Fragekomplex zur Frühverrentung, Hinzuverdienstmöglichkeiten und Fachkräfteoffensive richtet sich grundsätzlich an die Bundesebene und daher beschäftigen sich vorrangig auch die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestages damit, weniger das Berliner Abgeordnetenhaus, dem ich angehöre. Da Sie mich aber konkret nach meiner Meinung gefragt haben, möchte ich Ihnen natürlich meinen Standpunkt darlegen.
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung aus SPD, CDU und CSU wird die Deckung des Fachkräftebedarfs „als große gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ beschrieben. Insbesondere bei Älteren sollen die Weiterbildungsbeteiligung gesteigert und Betriebe bei der Entwicklung einer altersgerechten Arbeitswelt unterstützt werden (S. 27f.). Die Bundesagentur für Arbeit hat daran mit ihrem Programm „Perspektive 2025“ ebenso angeknüpft (Mehr in der Broschüre unter diesem Link: http://bit.ly/1nb4T5Y). Ergänzend ist der Wille der neuen Bundesregierung festgeschrieben „in der Rente Anreize [zu] setzen, damit möglichst viele Menschen bei guter Gesundheit möglichst lange im Erwerbsleben bleiben.“ Weil Ältere im gesellschaftlichen Arbeitsleben unverzichtbar sind, hat sich die Koalition zum Ziel gesetzt „lebenslaufbezogenes Arbeiten [zu] unterstützen [und] den rechtlichen Rahmen für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand [zu] verbessern“ (S. 51f.).
Ich unterstütze diese Aussagen und Zielsetzungen ausdrücklich und wir alle werden die Bundesregierung daran messen. Die bisher gefassten Beschlüsse des Rentenpakets ermutigen mich jedenfalls, dass sich in der Bundesgesetzgebung einiges zum Wohle unserers demographischen Systems aber auch unserer Volkswirtschaft ändert. Denn nicht nur ist die Erwerbsquote der über 50-jährigen stetig steigend, mit dem Beschluss der Rente mit 63 sowie den Änderungen bei der Erwerbsminderungsrente konnten enorme Erfolge erzielt werden. Die Deutsche Rentenversicherung gibt auf ihrer Homepage einige Informationen zu den neuen Zuverdienstregelungen im Lichte der Rentenbeschlüsse: http://bit.ly/1oEurru
Durch den abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren ab 63 Jahre werden viele Menschen von der Notwendigkeit der Frühverrentung mit Abschlag befreit. Die Grenzen bei den Zuverdienstregelungen wurden auf 450 Euro monatlich erhöht plus eine zweimalige Verdienstmöglichkeit von je 900 Euro.
Ich verstehe Ihre grundsätzliche Denkrichtung, einen fairen Ausgleich zwischen Teilverentung, Frühverrentung und Hinzuverdiensten zu fordern, sehr gut – jedoch sollte das Bemühen besonders darauf liegen, weitere Formen von Frühverrentung zu vermeiden. Dies lässt sich durch viele weitere Aspekte – neben der Rente mit 63 – steuern: Etwa durch Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz, Teilzeitarbeit, flexiblere Gestaltung von Übergängen und vor allem durch bessere Bedingungen am Arbeitsplatz selber. Die Unternehmen sind auch in der Pflicht, sich besonders um ältere Fachkräfte zu bemühen, die mit einem früheren Renteneintritt liebäugeln. Diesen Druck sollte auch der Bund auf die Betriebe ausüben.
Ich hoffe Ihnen mit meinen obigen Ausführungen einen Einblick in die aktuellen Beschlüsse und meine Positionierung im Lichte Ihrer Frage gegeben zu haben.
Mit den besten Grüßen
Ihr Tom Schreiber