Unterstützen Sie den AFD-Verbotsantrag im Bundestag?
Sehr geehrter Herr Mayer,
Ich bin alleinerziehender Vater zweier Kinder und mehrfach chronisch erkrankt.
Das aufstreben der AFD macht mir Zukunftsängste.
Was, wenn die Partei noch mehr an Macht gewinnt. Was passiert mit mir, der in den Augen der Rassisten, nicht voll Leistungsfähig ist.
Daher frage ich Sie im Namen einer wehrhaften Demokratie, unterstützen Sie das Verbotsverfahren?
Sehr geehrter Herr G.,
ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Nachricht vom 21. Oktober 2024, die ich mit großem Interesse und größter Aufmerksamkeit gelesen habe. Ihre darin zum Ausdruck gebrachte Sorge um die aktuelle politische Entwicklung in unserem Land und Ihre Bedenken hinsichtlich des zunehmenden Radikalismus und der AfD, teile ich uneingeschränkt und vollumfänglich. Ich kann Ihre Empfindungen, ausgehend von Ihrer persönlichen Situation sehr gut nachvollziehen und darf Ihnen versichern, dass ich Ihre Ängste äußerst ernst nehme. Dennoch bin ich aus den untenstehenden Gründen davon überzeugt, dass ein Verbot der AfD nicht der richtige Weg ist.
Gegen die Partei Alternative für Deutschland - AfD wurde von einigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages ein Gruppenantrag mit dem Ziel der Einleitung eines Verbotsverfahrens vorbereitet.
Ein Verbot einer demokratisch gewählten Partei ist aber meines Erachtens ein drastischer Eingriff, der nicht nur rechtliche, sondern auch weitreichende politische Konsequenzen hätte. Die AfD ist Ausdruck tiefer gesellschaftlicher Unzufriedenheit, und ein Verbot würde diese Unzufriedenheit nicht beheben, sondern womöglich nur verstärken. Ein solches Verbot könnte die Anhänger der Partei in ihrer Ablehnung des politischen Systems bestärken und die Gräben unserer Gesellschaft vertiefen. Zudem nimmt die AfD mit einem Verbot eine Märtyrer Rolle ein, verbunden mit Folgewirkungen, die kaum zu überblicken sind.
Die CSU im Bundestag hat sich daher geschlossen dazu entschieden, dem Gruppenantrag zur Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD nicht beizutreten, da wir den Versuch eines Verbots der AfD zum jetzigen Zeitpunkt für juristisch nicht erfolgversprechend und politisch kontraproduktiv einschätzen.
Folgende Erwägungen waren für diese Entscheidung handlungsleitend:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe ist eine Partei dann verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Das Vertreten allein von extremistischen Positionen ist in unserer Parteiendemokratie als politisch zugespitzter Meinungskampf prinzipiell von den Grundrechten gedeckt, auch wenn uns das missfällt. Zudem müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Erreichen der von der Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint.
Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind mit Blick auf die AfD – zumindest derzeit – aller Voraussicht nach nicht erfüllt. Zwar führt das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall auf Rechtsextremismus. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat diese Einschätzung bestätigt. Eine Einstufung als „Verdachtsfall“ ist aber nicht gleichzusetzen mit den – erheblich höheren – Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an das Verbot einer politischen Partei stellt. Wir gehen vielmehr davon aus, dass bei der AfD die Voraussetzungen eines Parteiverbots (noch) nicht erfüllt sind und die Verfassungsschutzämter nicht über hinreichendes Beweismaterial für ein Verbotsverfahren verfügen.
Abgesehen davon, dass ein Verbotsverfahren, das vor dem Bundesverfassungsgericht geführt werden müsste, einen relativ langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, und mit Sicherheit nicht vor der nächsten Bundestagswahl, die voraussichtlich am 28. September 2025 stattfinden wird, beendet würde, sind die verfassungsrechtlichen Hürden in der Bundesrepublik Deutschland für ein Parteienverbot aus historischen Gründen sehr hoch. Das mussten wir als CSU nicht zuletzt bei den beiden erfolglosen NPD-Verbotsverfahren schmerzhaft zur Kenntnis nehmen.
Das Verfahren zum Verbot einer politischen Partei dauert – selbst im Erfolgsfall –mehrere Jahre. Bei der NPD hat es vier Jahre gedauert. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines erfolgreichen Verbotsantrags könnte sich die AfD noch an der nächsten Bundestagswahl beteiligen und sich dabei als vermeintlicher „Märtyrer“ inszenieren.
Aufgrund der hohen verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteienverbot sind deshalb durch das Bundesverfassungsgericht erst zwei Parteiverbote ausgesprochen worden; gegen die SRP, eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, am 23. Oktober 1952, sowie gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) am 17. August 1956.
Die beiden Verbotsverfahren gegen die NPD sind aus unterschiedlichen Gründen im Jahr 2003 sowie durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 gescheitert.
Dem Gruppenantrag fehlt unserer Meinung nach die erforderliche Tatsachengrundlage in Form einer umfassenden Materialsammlung. Eine solche könnte nur durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz erstellt werden - erst auf einer solchen Grundlage kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden.
Überdies verlangt das Bundesverfassungsgericht, vor Einleitung eines Verbotsverfahrens „strikte Staatsfreiheit“ gegenüber der betroffenen Partei herzustellen. Das bedeutet: Die Begründung eines Verbotsantrages darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist. Eine entsprechende Garantie vermag allerdings nur die Bundesregierung respektive die Landesregierungen zu geben. Sie allein vermögen deshalb einen überzeugenden Beweisantrag zu erarbeiten.
Bei so ungewissen Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens, ist es politisch unklug, ein solches zu betreiben. Ein Antrag auf Einleitung eines Verbotsverfahrens, der im Bundestag gestellt würde, müsste erst das parlamentarische Verfahren im Bundestag durchlaufen. Im Innenausschuss könnte die AfD wegen ihres Fraktionsstatus zudem eine öffentliche Sachverständigenanhörung beantragen.
Das größte Problem sehen wir vor allem darin, dass in einem solchen Parlamentarischen Verfahren die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder im Innenausschuss unter Anwesenheit der AfD berichten müssten, welche Erkenntnisse zur AfD zusammengetragen wurden. Dies wiederum ermöglicht dann der AfD Rückschlüsse zu ziehen, wo, wann und aus welchen Quellen die Dienste an ihre Informationen gelangen. Das Ganze würde der AfD also mehr nützen als schaden.
Sie könnte damit über einen längeren Zeitraum öffentlichkeitswirksam ihre Märtyrer-Rolle zelebrieren. Sollte ein Verbotsantrag scheitern, erhielte die AfD faktisch ein verfassungsgerichtliches „Gütesiegel“, eine verfassungsgemäße Partei zu sein – dieses Risiko einzugehen, halten wir für nicht vertretbar.
Die Zustimmung zur AfD zu verbieten, halten wir für einen Trugschluss. Die politischen Kräfte der demokratischen Mitte sollten die AfD stattdessen politisch und inhaltlich stellen. Wir wollen keine Symptombehandlung, sondern Ursachenbekämpfung: Die drängenden politischen Probleme Deutschlands müssen gelöst werden, um dem in der Bevölkerung weit verbreiteten Frust gerecht zu werden. Daher müssen wir uns politisch mit den Inhalten der AfD auseinandersetzen, ihre Argumente entkräften und durch kluge Politik verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Unsere Aufgabe als demokratische Partei ist es, nicht nur die Fehlentwicklungen der AfD zu kritisieren, sondern glaubwürdigere Angebote zu machen, welche auf die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger eingehen.
Die CSU im Bundestag lehnt die Beteiligung an einem Gruppenantrag zur Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD somit wohlüberlegt ab. Nach intensiver Abwägung der rechtlichen und politischen Argumente sehen wir keine ausreichende Grundlage für ein erfolgreiches Verbotsverfahren. Die politische und inhaltliche Auseinandersetzung ist der geeignete Weg, um die AfD zu stellen. Die Lösung liegt in der Bewältigung politischer und gesellschaftlicher Probleme, nicht im Versuch eines Verbots.
Kritik an politischen Gegnern ist ein legitimer Teil der Demokratie, solange sie auf Fakten basiert, und nicht polemisch wird. Natürlich sollte die politische Debatte sachlich und respektvoll geführt werden, ohne in populistische Muster zu verfallen.
Es ist unsere Aufgabe, den Menschen zu zeigen, dass wir uns mit ihren Sorgen konstruktiv auseinandersetzten, anstatt sie durch unsachliche Angriffe zu verprellen. Die Herausforderung besteht jedoch darin, eine Politik zu gestalten, die die Bürger mitnimmt und ihr Vertrauen zurückgewinnt.
Vielen Dank, dass Sie Ihre Bedenken offen angesprochen haben. Unsere Herausforderung als demokratische Kräfte liegt darin, überzeugende und konstruktive Antworten auf die Probleme unserer Zeit zu finden - durch eine respektvolle, sachliche Debatte.
Für eventuelle Nachfragen stehe ich Ihnen selbstverständlich sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Mayer
Mitglied des Deutschen Bundestages