Frage an Roland Fischer von Hans-Joachim S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Fischer,
ich habe Fragen zu den laufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, bei dem es z.B. um die Vereinheitlichung sozialer und ökologischer Standards geht: um Grenzwerte hinsichtlich Gesundheitsschutz und Schutz der Umwelt, um Mindestanforderungen am Arbeitsplatz, um Kündigungsschutz, um den Umgang mit genetisch veränderten Nahrungsmitteln etc. Es geht also um sehr viel: um den drohenden Verlust sozialer und ökologischer Errungenschaften, die europäische Staaten den USA voraushaben, nun aber als "Handelshindernis" eingestuft werden können. Bekanntlich haben US-Unternehmen wesentlich mehr "Freiheiten" bei der Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu Lasten sozialer und ökologischer Belange als europäische Unternehmen. Finden Sie es richtig, dass das der EU-Kommission erteilte Verhandlungsmandat zum Geheimdokument erklärt und damit den Bevölkerungen der EU-Staaten und selbst den Abgeordneten des EU-Parlamentes vorenthalten wurde? Dieses Abkommen ermöglicht Unternehmen, die ihre Gewinnerwartungen als Folge eines erlassenen Gesetzes geschmälert sehen, ein Klagerecht gegen den jeweiligen Staat. Dabei geht es immer um sehr hohe Beträge, die von Unternehmen vom Staat als Ausgleich für ihre „entgangenen Gewinne“ gefordert werden. Der schwedische Energiekonzerns Vattenfall verlangt z.B. nach dem Atomausstieg nun einige Milliarden von uns deutschen Steuerzahlern. In Streitfällen entscheidet ein Schiedsgericht nach geheimen Verhandlungen bindend. In diesem „Gericht“ verhandeln nur Wirtschaftsjuristen - ohne demokratisch legitimierte Richter. Sehen Sie es wie ich, dass mit diesen undurchsichtigen Verhandlungen und mit einem Abkommen, das demokratische Entscheidungen dem Primat der Wirtschaft unterwirft, sowohl unserem Rechtsystem als auch unserer demokratischen Kultur schwerer Schaden zugefügt wird?
Was werden Sie zu diesem Thema unternehmen?
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Schemel
Sehr geehrter Herr Schemel,
vorab: Ich habe ein grundsätzliches Problem damit, jetzt mit einem Staat über Zölle zu verhandeln, der unsere Institutionen und Einrichtungen, aber vor allem unsere Bürgerinnen und Bürger systematisch ausspioniert. Ich plädiere für ein Aussetzen der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA, bis alle im Raum stehenden Vorwürfe restlos geklärt sind und uns gegenüber die USA glaubhaft gemacht haben, uns künftig tatsächlich wie Freunde zu behandeln.
Ich teile die Befürchtungen, wie sie beispielsweise der BUND geäußert hat. Trotz anfänglicher Zusicherungen ist von transparenten Verhandlungen nichts zu sehen oder zu hören. Zumindest habe ich von unserer derzeitigen Bundesregierung dazu noch nichts vernommen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass wieder einmal rein wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen und andere europäische Werte auf der Strecke bleiben, nicht nur im Umweltschutz und bei sozialen Standards.
In Frankreich fürchten die Menschen auch um Kultur und Medien, da im Abkommen weder Kunst, Rundfunk und Kino noch Internet ausgeklammert werden. Auch ich sehe die Gefahr, dass amerikanische Großkonzerne wie Facebook, Google oder Amazon noch mächtiger werden und schlussendlich jede europäische Konkurrenz beiseite räumen.
Auch das Trinkwasser, gerade eben von den Menschen gegenüber der EU-Kommission vor dem reinen Kapitalismus gerettet, würde durch die Hintertür über das Freihandelsabkommen wieder zum Spielball international agierender Konzerne und zur Ware, mit der sich richtig Geld verdienen lässt.
Die vorgesehenen Schiedsgerichte tagen hinter verschlossenen Türen, ich habe diese Verfahren schon bei der Beantwortung einer anderen Frage als Geheimjustiz bezeichnet. Mein politisches Motto lautet „Politik für Menschen, nicht für Märkte“. Alles, was ich bis jetzt zum Freihandelsabkommen mit den USA gelesen oder gehört habe, entspricht genau dem Gegenteil. Daher lehne ich es ab, bis mich nachprüfbare Fakten vom Nutzen für die Europäerinnen und Europäer überzeugt haben. Ich setze mich für ein faires, auf Augenhöhe und transparent verhandeltes Abkommen ein, bei dem das EU-Parlament und die nationalen Parlamente auch tatsächlich mitreden und mitentscheiden können.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Fischer