Sehr geehrter Herr Stein, ich gehöre zu den mindestens 500.000 an ME/CFS erkrankten Fachkräften in Deutschland. Stimmen Sie dem gestellten Antrag 20/4886 vom 19.01.2023 im Bundestag zu?
Sehr geehrter Herr Stein, ich wurde im Alter von 27 durch einen banalen Virusinfekt aus meinem sportlich akademischen Leben gerissen und bin seit 18 Jahren mit der Krankheit ME/CFS ohne Therapie, Forschung ,Heilung und Hoffnung. Ich berate mittlerweile bundesweit betroffene Menschen (darunter viele Kinder und auch Ärzte!!) mit dem Fachwissen, welches ich mir auf meinem langen Leidensweg angeeignet habe und habe bereits 100.000€ in Diagnostik und Therapieversuche investiert. Mit der Einstufung von ME/CFS als die schwerste Form von Long Covid melden sich täglich immer mehr Menschen bei mir, da es in SH keine Versorgungsstrukturen gibt. Auch das ZDF hat in der Sendung 37 Grad über diese humanitäre Katatrosphe vor unserer Haustür berichtet. Am 19.01. 2023 wurde das Thema ME/CFS im Bundestag einheitlich diskutiert, mit dem Ziel den Erkrankten zu helfen. Ich würde gerne wissen, ob Sie persönlich dem Antrag zustimmen werden. Ich freue mich über Ihre Rückmeldung, vielen Dank, Barbara von E.
Sehr geehrte Frau v. E.,
vielen Dank für Ihre Frage hier bei Abgeordnetenwatch. Wie Sie sicherlich bereits meiner umfangreichen, schriftlichen Antwort auf Ihre Mail an mich entnommen haben, hat sich die Ampel-Koalition und insbesondere das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bereits auf den Weg gemacht, um die beklagenswerte Situation von ME/CFS-Erkrankten zu verbessern.
Die Erforschung von ME/CFS ist derzeit noch unbefriedigend. Die konkreten Ursachen der Erkrankung sind leider noch nicht im Detail bekannt, da es sich um ein sehr vielfältiges Krankheitsbild handelt. Grundlagenforschung ist daher das Gebot der Stunde, um Anhaltspunkte für die Entwicklung einheitlicher Diagnosekriterien und wirksamer Therapieansätze zu finden. Das BMBF fördert deshalb bereits die Etablierung der Nationalen Klinischen Studiengruppe „Post-Covid Syndrom und ME/CFS“ zur Durchführung von klinischen Phase-II-Studien mit insgesamt zehn Millionen Euro bis Ende 2023. Hier sollen bereits zugelassene Medikamente identifiziert werden, die bei positiven Studienergebnissen schnell in die Versorgung gelangen können.
Zudem fördert das BMG im Rahmen seiner Ressortforschung derzeit einen Verbund des Klinikums rechts der Isar der TU München (https://www.mri.tum.de/chronische-fatigue-centrum-fuer-junge-menschen-mcfc) und der Charité Berlin (https://cfc.charite.de/). Ziel ist der Aufbau eines altersübergreifenden klinischen Registers mit einer Biodatenbank. Die hier gewonnenen Daten werden explizit auch Patient*innen mit ME/CFS nach einer COVID-19-Infektion erfassen.
Die gemeinsamen Anstrengungen der Bundesregierung werden in einem beim Leitungsstab des BMG angesiedelten Arbeitsstab zwischen den beteiligten Ressorts fortlaufend koordiniert. In die Arbeit des Stabes fließen kontinuierlich auch Hinweise und Forschungsanstrengungen aus aller Welt mit ein. Darüber hinaus hat das BMG das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) (https://www.iqwig.de/) bereits im März 2021 damit beauftragt, den aktuellen Wissenstand zu ME/CFS systematisch aufzuarbeiten. Ein abschließender Bericht wird im Juni dieses Jahres erwartet. Erst dann wird man die bereits laufenden Aufklärungskampagnen – beispielsweise durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (https://www.bzga.de/presse/pressemitteilungen/2022-06-02-neues-onlineangebot-informiert-zu-long-covid/) – weiter ausbauen und auf eine noch validere Grundlage stellen können.
Die Ampelkoalition hat sich außerdem in ihrem Koalitionsvertrag (https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf) auf die Schaffung eines deutschlandweiten Netzwerks von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für Long-COVID- und ME/CFS-Betroffene verständigt. Nun wird es darauf ankommen, diese Vereinbarung auch zügig umzusetzen. Hierzu laufen zwischen den Beteiligten bereits intensive Gespräche. Selbsthilfevereinigungen und die Akteure des Gesundheitswesens sind aber ihrerseits bereits aktiv geworden und haben Anlaufstellen für die betroffene Menschen und ihre Angehörigen identifiziert und veröffentlicht. Beispiele sind das Fatigue Centrum der Charité — Universitätsmedizin Berlin (https://cfc.charite.de/) oder auch das Netz von Long-Covid-Ambulanzen (https://longcoviddeutschland.org/ambulanzen/) im ganzen Land. Um die Versorgungssituation zügig weiter zu verbessern, haben wir im Parlament mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/gesetze-und-verordnungen/guv-20-lp/khpfleg.html) den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, im Dezember gesetzlich damit beauftragt, bis zum 31. Dezember 2023 eine Richtlinie für eine berufsgruppenübergreifende koordinierte und strukturierte Versorgung für Personen mit Long-/Post-COVID (https://www.g-ba.de/downloads/17-98-5367/2022-11-08-PA-AfG-G-BA_Stellungnahme_KHPflEG.pdf?) zu beschließen. Der G-BA kann dabei den Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf die Versorgung von ähnlichen oder hiermit in Verbindung stehenden Krankheitsbildern erstrecken. Hierfür käme auch ME/CFS in Betracht.
Uns als SPD-Bundestagsfraktion ist bewusst, dass die Forschungs- und Versorgungslage für die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen derzeit nicht zufriedenstellend ist. Darum werden wir nicht nachlassen, auf Ihr Anliegen auch weiterhin bei Wissenschaft, Forschung und Ärzt*innenverbänden hinzuweisen, Fortschritte anzumahnen und durch finanzielle Mittel zu unterstützen. Als Ampel-Koalition im Deutschen Bundestag bleiben wir dazu selbstverständlich auch im engen Austausch mit dem Bundesgesundheitsministerium. Einer gesonderten Aufforderung durch einen Oppositionsantrag bedarf es dafür nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Mathias Stein