2020 sind 426 Radfahrer im Straßenverkehr in D gestorben. Die Zahl der getöteten Radfahrer stieg gegenüber 2010 wieder um etwa 16,8 Prozent. Haben diese Zahlen Einfluss auf Ihr politisches Wirken?
Moin Herr S.,
als bekennendem Radler sind Ihnen die genannten Zahlen sicher bekannt. Falls nicht, kann ich als Quelle die website: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1041872/umfrage/getoetete-fahrradfahrer-im-strassenverkehr-in-deutschland/ benennen.
Welche Anstrengungen wollen Sie im neu konstituierten Bundestag unternehmen, die Zahl der getöteten Radfahrer drastisch zu reduzieren?
Auf Ihre Antwort freue ich mich.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinz Schwarzkopf
Sehr geehrter Herr S.,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Da mir das Thema sehr am Herzen liegt, möchte ich bei meiner Antwort gern etwas weiter ausholen. Denn in meiner Funktion als Berichterstatter für Rad- und Fußverkehr der SPD-Bundestagfraktion habe ich mich bereits in der vergangenen Legislaturperiode intensiv für mehr Sicherheit insbesondere für die ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen eingesetzt.
So haben die Verkehrspolitiker*innen der SPD-Bundestagsfraktion auf meine Initiative im Jahr 2019 das Positionspapier „Mehr Sicherheit und Attraktivität für den Radverkehr“ (https://mathias-stein.de/wp-content/uploads/2019/06/Positionspapier-SPD-AG-VdI-Sicherheit-im-Radverkehr-06-2019.pdf) erarbeitet, in dem wir uns u.a. für die Aufnahme des Leitgedankens „Vision Zero“ in die Straßenverkehrsgesetzgebung ausgesprochen haben. Außerdem fordern wir darin u.a. geschützte, z.B. durch Pollerreihen abgetrennte Radfahrstreifen innerorts zum Standard zu machen und außerorts mit auf der Fahrbahn markierten Schutzstreifen für mehr Sicherheit zu sorgen. Viele unserer Punkte haben wir auch in den Entschließungsantrag „Sicherer Radverkehr für Vision Zero im Straßenverkehr“(https://dserver.bundestag.de/btd/19/157/1915779.pdf) einbringen können, den der Deutsche Bundestag Anfang des Jahres 2020 als Auftrag an die Bundesregierung verabschiedet hat.
Einige unserer Forderungen wurden mit der Novellierung der Straßenverkehrsordnung (StVO) umgesetzt, die das Bundesverkehrsministerium (BMVI) mit den Bundesländern im Bundesrat in den vergangenen zwei Jahren verhandelt hat. So wurde der sichere Überholabstand von 1,5 Metern aufgenommen, das Halteverbot auf Schutzstreifen ausgeweitet, Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t innerorts eingeführt und die Bußgelder für die Gefährdung von Radfahrenden erhöht.
Viele notwendige Verbesserungen wurden aber vom CSU-geführten BMVI blockiert bzw. schlichtweg trotz eines bestehenden Handlungsauftrages seitens des Parlaments nicht umgesetzt. Auf die Modellprojekte des Verkehrsministeriums, bei denen die Regelgeschwindigkeit 30 km/h in Städten getestet werden sollte, warteten sowohl wir Abgeordnete als auch viele Bürgermeister*innen in Deutschland jedenfalls vergeblich. Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt mit der neuen Koalition in den nächsten Jahren weiterkommen werden. Meiner Ansicht nach wäre eine Änderung der Straßenverkehrsgesetzgebung hilfreich, die den Kommunen erlaubt, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und Tempo 50 auf den Hauptverkehrsstraßen als Ausnahme einzuführen, wenn sie dies wollen.
Die Anträge aus der vergangenen Legislaturperiode fallen unter das sogenannte Diskontinuitätsprinzip, d.h. dass weder der bereits erwähnte Entschließungsantrag zum sicheren Radverkehr noch der in diesem Frühjahr verabschiedete Antrag „Vision Zero – Unser Leitbild für die Verkehrssicherheit“ (https://dserver.bundestag.de/btd/19/297/1929766.pdf) für die neue Bundesregierung bindend sind. Selbstverständlich wird die SPD aber viele der nicht umgesetzten Forderungen in der neuen Regierung weiterverfolgen, um für mehr Sicherheit zu sorgen und Unfälle mit Radfahrenden zu verhindern.
Neben der Änderung der Straßenverkehrsordnung können wir dies auch mit mehr Platz für Radfahrende, also mit mehr Infrastruktur erreichen. Auch dafür haben wir in der vergangenen Legislaturperiode bereits eine gute Grundlage gelegt: Wir haben im Verkehrsetat so viel Geld für den Bereich Radverkehr zur Verfügung gestellt, wie niemals zuvor. Insgesamt 1,5 Milliarden Euro stehen bis zum Jahr 2023 zur Unterstützung der Bundesländer bereit, die für den Ausbau der Radwege zuständig sind. Über das Klimaschutzprogramm haben wir außerdem in der vergangenen Legislaturperiode das Sonderprogramm „Stadt und Land“ aufgelegt, mit dem die Länder vom Bund erstmals Geld für Infrastrukturprojekte in den Kommunen abrufen können. Auch dieses Programm läuft zunächst bis zum Jahr 2023, die SPD wird sich aber für eine Verlängerung einsetzen. Unser Ziel ist, dass in Deutschland ein flächendeckendes Radverkehrsnetz entsteht.
Um den Radverkehr besser und sicherer zu machen, hat der Bund im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: den Ausbau der Infrastruktur und eine Veränderung der Verkehrsgesetzgebung. In beiden Bereichen haben wir in den vergangenen vier Jahren bereits Fortschritte erzielt und gute Grundlagen gelegt, aber für die neue Bundesregierung bleibt noch mehr als genug zu tun. Das beweist nicht zuletzt die von Ihnen zitierte, viel zu hohe Zahl der getöteten Radfahrerinnen und Radfahrer im Straßenverkehr. Diese Zahl zu senken, so viele Tote zu verhindern wie möglich, bleibt unser Auftrag und Anspruch.
Mit freundlichen Grüßen
Mathias Stein