Frage an Markus Grübel von Regine B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Grübel,
als Mitglied des Deutschen Bundestags werden Sie darüber entscheiden, in welcher Weise Patientenverfügungen gesetzlich geregelt werden. Die Frage, ob die Reichweite von Patientenverfügungen eingeschränkt werden soll, ist dabei von entscheidender Bedeutung.
Als potentiell betroffene Patientin möchte ich für den Fall schwerer Hirnschädigung (z.B. nach einem Schlaganfall bzw. einer Blutung im Gehirn) wirksam Vorsorge treffen können und die Entscheidung über mein Leben und Sterben nicht den Ärzten oder meinem rechtlichen Vertreter überlassen.
Würden Patientenverfügungen nur bei unumkehrbar zum Tode führendem Grundleiden wirksam sein, müßten Ärzte auch gegen den Willen des Patienten Operationen vornehmen, solange es dafür eine medizinische Indikation gibt. Auch bei einer Demenz müßte nach einem Herzstillstand in jedem Fall eine Wiederbelebung durchgeführt werden. Die Risiken der medizinischen Behandlung würden auch dem Patienten, der diese Behandlung im Voraus abgelehnt hat, aufgebürdet.
Sollte der Beginn eines unumkehrbaren Sterbeprozesses Voraussetzung für die Wirksamkeit von Patientenverfügungen werden, wäre auch bei einer langsam zum Tode führenden Krankheit nur für die allerletzte Lebensphase eine wirksame Vorausverfügung möglich.
Der Deutsche Juristentag 2006 hat sich gegen die Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen ausgesprochen.
Halten Sie die Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen für sinnvoll?
Mit freundlichem Gruß
Regine Bernstein-Bothe
Sehr geehrte Frau Bernstein-Bothe,
nach intensiven Beratungen in den letzten Monaten haben sich Abgeordnete aus mehreren Fraktionen, darunter auch ich, auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht geeinigt. Unser Entwurf respektiert und stärkt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und schützt das Patientenwohl. Auch dann, wenn man selber nicht mehr entscheidungsfähig ist, sollen die im Voraus in einer Patientenverfügung getroffenen eigenen Anordnungen grundsätzlich verbindlich und vom Arzt und Betreuer zu befolgen und umzusetzen sein.
Eine Patientenverfügung muss aber auch die Grenzen des rechtlich Zulässigen beachten. Ein zentraler Punkt unseres Entwurfs ist darum das Festhalten an einer Reichweitenbegrenzung. Eine Patientenverfügung findet ihre Grenzen dort, wo sie Verbotenes (z.B. Tötung auf Verlangen, aktive Sterbehilfe) anordnet.
Wenn von anderer Seite die unbegrenzte Möglichkeit zum Abbruch lebenserhaltender Behandlungen aufgrund einer Patientenverfügung angestrebt wird – also unabhängig davon, ob überhaupt ein irreversibel tödlicher Krankheitsverlauf vorliegt – , geht es eigentlich nicht um das Sterbenlassen von Sterbenden, sondern um die Lebensbeendigung bei Lebenden.
Gegen eine Reichweitenbegrenzung lässt sich nicht einwenden, dass der entscheidungsfähige Patient jede medizinische Behandlung - unabhängig vom Krankheitsstadium - verweigern kann. Denn der aktuelle Wille und ein im Vorhinein geäußerter (antizipierter) Wille sind nicht das Gleiche. Insbesondere weiß man bei einem im Voraus erklärten Willen nie mit letzter Sicherheit, ob er dem aktuellen Willen des Betroffenen entspricht oder möglicherweise eine Willensänderung vorliegt. Eine frühere Verfügung kann dem aktuellen Willen des Betroffenen und damit auch seinem Selbstbestimmungsrecht durchaus auch widersprechen.
Aus dieser Reichweitenbeschränkung für den Abbruch lebenserhaltender Behandlungen auf irreversibel tödliche Krankheitsverläufe zieht der Entwurf nicht die Konsequenz, dass bei Patienten, die zwar nach ärztlicher Erkenntnis unwiederbringlich das Bewusstsein verloren haben, aber bei Anwendung aller medizinischen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht Sterben müssen, sondern am Leben erhalten werden können, ein Abbruch der lebenserhaltenden Behandlung niemals in Betracht kommt.
Wenn ein Patient den Abbruch der lebenserhaltenden Behandlung selber in einer Patientenverfügung angeordnet hat, einwilligungsunfähig geworden ist und er nach ärztlicher Erkenntnis trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten niemals das Bewusstsein wiedererlangen wird, soll nach dem Entwurf sein diesbezüglicher Wille auch respektiert werden. Dies kann auf Patienten zutreffen, die sich über lange Zeit ohne Besserung im klinisch stabilen Wachkoma befinden oder bei schwersten Formen der Demenz, in denen der Betroffene endgültig das Bewusstsein verloren hat (nicht dagegen bei den Formen der Altersdemenz, bei denen Betroffene zunehmend verwirrt, aber bei Bewusstsein sind).
Diese Lebenssituationen werden damit nicht der eines Sterbenden gleichgesetzt. Wie bei irreversibel tödlich Erkrankten handelt es sich bei diesen Patienten unzweifelhaft um Lebende, die medizinisch betreut werden müssen. Aus Achtung vor ihrer im Voraus getroffenen eigenen Entscheidung, in dieser aussichtslosen Situation nicht mit allen Mitteln der modernen Medizin am Leben erhalten werden zu wollen, kann die Schutzpflicht des Staates hier hinter den erklärten Willen des Betroffenen zurücktreten.
Wir befürworten eine gesetzliche Regelung dieses Bereichs noch in dieser Legislaturperiode. Würde der Gesetzgeber auf eine gesetzliche Regelung dieses Bereichs verzichten, bliebe es bei der gegenwärtigen, in weitem Umfang durch Richterrecht geprägten Rechtslage. Nach den Feststellungen der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin und der Bundesärztekammer kommt es aber in diesem Bereich zu Rechtsunsicherheit und Auseinandersetzungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat selbst in mehreren Entscheidungen eine gesetzliche Regelung ausdrücklich als wünschenswert bezeichnet.
Eine gesetzliche Regelung, die Patientenverfügungen ohne Reichweitenbegrenzung für verbindlich erklärte, würde die von der Rechtsprechung des BGH geprägte Rechtslage aufheben. Eine Verabsolutierung des Selbstbestimmungsrechts unter Vernachlässigung der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und möglicherweise sogar gegen das Wohl des Betroffenen – gegenüber Menschen, die nicht (mehr) einwilligungsfähig sind – lehnen wir ab.
Der Entwurf zielt auf eine Klarstellung der Rechtslage und die Schaffung von Verhaltenssicherheit für alle Beteiligten (Patienten, Ärzte, Betreuer/ Bevollmächtigte, Angehörige, Pflegepersonen und Gerichte). Er sieht ein praktikables Verfahren vor, das Irrtum und Missbrauch ausschließt, ohne unnötige bürokratische Prozeduren zu errichten. Der Entwurf respektiert die Entscheidung eines Betroffenen gegen lebensverlängernde Maßnahmen im Sterben, ohne die Grenzen zu aktiver Sterbehilfe zu verwischen. So wird das Selbstbestimmungsrecht gestärkt und gleichzeitig das Patientenwohl geschützt.
Mit freundlichen Grüßen aus Berlin
Markus Grübel MdB