Wie positionieren Sie sich zu den Vorschlägen zur Regelung des assistierten Suizids?
Sehr geehrter Herr Klinck,
als jemand dem dieses Thema sehr emotional sehr berührt verfolge ich die aktuellen Entwicklungen, konnte ihren Namen aber noch nicht bei einem der drei großen Vorschläge sehen. Wie stehen Sie dazu?
Sehr geehrter Fragesteller,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Für die aufgrund von hohem Arbeitsanfall im Verteidigungsausschuss erheblich verzögerte Bearbeitung Ihres Anliegens bitte ich um Entschuldigung. Ich möchte Ihnen nun gerne antworten.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 ist muss der Bundestag ein neues Sterbehilfegesetz beschließen. Das Bundesverfassungsgericht hatte ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für unzulässig erklärt. Der damalige Präsident und Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, begründete die Entscheidung mit den Worten: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen."
Nun liegen drei Gesetzesvorlagen vor. Einer der drei Gesetzentwürfe wurde federführend von Herrn Prof. Dr. Lars Castellucci entworfen und er wird von Mitgliedern aller demokratischen Parteien unterstützt. Ich werde ihn im folgenden den "lebensschützenden" Entwurf nennen. Der lebensschützende Entwurf stellt die Hilfe zum Suizid unter bestimmten Bedingungen straffrei. Zudem wird ein mehrstufiges Schutzkonzept mit verbindlicher und multidisziplinärer Beratung vorgeschlagen. Somit soll für die Autoren des Gesetzentwurfs, dokumentiert werden, dass ein Suizid grundsätzlich eine Ausnahme darstellt.
Die beiden anderen Gesetzentwürfe stellen dagegen den autonomen und freien Willen einer suizidwilligen Person noch stärker in den Mittelpunkt. Ich werde sie im Folgenden die "liberalen" Entwürfe nennen. Auch diese beiden Entwürfe werden nach meinem Eindruck jeweils von einer großen Gruppe von Abgeordneten mitgetragen. Die beiden Entwürfe unterscheiden sich in einigen Aspekten voneinander, sie stimmen jedoch in der Grundausrichtung zu großen Teilen überein und es ist auch durchaus denkbar, dass sie zu einem gemeinsamen Entwurf vereinigt werden – jedenfalls wird das im Bundestag für möglich gehalten.
Den liberalen Entwürfen zufolge sollen suizidwillige Personen einen Anspruch auf eine kostenlose, umfassende und ergebnisoffene Beratung zu allen Fragen, die mit ihrer Entscheidung einhergehen, erhalten. Die liberalen Entwürfe sind von der Auffassung geprägt, dass es ist Bestandteil von Leben sei, über den Weg aus dem Leben selbst zu bestimmen. Dem würde es aus Sicht der Befürworterinnen und Befürworter dieser Entwürfe widersprechen, wenn Sterbehilfe gesetzlich grundsätzlich strafbar werden würde. Die Befürworterinnen und Befürworter möchten den Betroffenen stattdessen einen rechtssicheren Weg eröffnen, ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben umsetzen zu können. Die liberalen Entwürfe bieten zudem aus meiner Sicht über die Beratungspflicht ebenfalls Ansätze zu einem Schutzkonzept für die betroffenen Personen.
Zusätzlich zu seinem Gesetzentwurf hat Prof. Dr. Lars Castellucci einen Entschließungsantrag zur Stärkung der Suizidprävention eingereicht. Dieser Antrag hat aus meiner Sicht gute Chancen auf eine Mehrheit – unabhängig davon, für welchen Gesetzentwurf sich der Bundestag am Ende entscheidet. Ich werde diesen ebenfalls unterstützen.
Die Abstimmung über die Gesetzentwürfe sowie den Entschließungsantrag werden ohne "Fraktionszwang" durchgeführt. Es ist aber ohnehin ein Thema, bei dem ich von jedem Abgeordneten und jeder Abgeordneten erwarte, dass er oder sie sich eine eigene Meinung bildet. Wir sind hier aus meiner Sicht im Grenzbereich dessen, was ein Parlament gesetzlich regeln kann, und im Bereich des persönlichen moralischen Empfindens jeder Abgeordneten und jedes Abgeordneten. Mein Eindruck ist, dass die Autoren aller Entwürfe aus ihrer jeweiligen Vorstellung von Menschenwürde heraus das Beste wollen, und dass sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sehr gewissenhaft mit den jeweiligen Entwürfen auseinandersetzen.
In meiner persönlichen Haltung zum Thema Suizid sehe ich die größten Übereinstimmungen mit dem lebensschützenden Entwurf. Als Lehrer weiß ich, dass Suizid bei jungen Menschen nach Unfall die häufigste Todesursache ist. Ohne das Recht einer suizidwilligen lebensjüngeren Person auf eine freie Entscheidung abstreiten oder gar diese Entscheidung verurteilen zu wollen, möchte ich Ihnen aus meiner beruflichen Erfahrung heraus mitteilen, dass ich die allermeisten Suizide lebensjüngerer Personen für grundsätzlich vermeidbar halte, weil mir die zugrundeliegenden Krisen und Konflikte lösbar erscheinen. Deswegen halte ich es auch für richtig, dass alle drei Entwürfe festlegen, dass ein Sterbewunsch im Sinne des jeweiligen Gesetzes erst ab dem 18. Lebensjahr formuliert werden kann.
Jedoch müssen wir uns auch der Erkenntnis stellen, dass es schwerst und unheilbar erkrankte Personen gibt, insbesondere (aber nicht ausschließlich) im höheren Lebensalter, in der die Situation eine völlig andere ist. Ich akzeptiere das Verfassungsgerichtsurteil vollumfänglich und bekenne mich zu der Verantwortung, hier gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag eine gesetzliche Regelung zu finden.
In der Gesamtabwägung tendiere ich dazu, den Gesetzentwurf von Herrn Prof. Dr. Lars Castellucci zuzustimmen. Dazu möchte ich Ihnen abschließend noch eine Überlegung nennen: In Europa tobt ein Krieg und wir sind in der schwersten Energiekrise seit der Nachkriegszeit. Viele Menschen sind besorgt und verängstigt. In dieser Situation ist aus meiner Sicht der lebensschützende Gesetzentwurf das richtige Signal. Jeder Mensch ist wichtig und jedes menschliche Leben hat aus meiner Sicht Anspruch auf Schutz durch den Gesetzgeber.