Sind Sie für oder gegen die allgemeine Impfpflicht?
Sehr geehrter D. v. N.
laut dem Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts zu den Covid-19 Impfungen gibt es 20 schwerwiegende Reaktionen pro 100.000 Impfdosen sowie Todesfälle, die nachweislich im Zusammenhang mit der Impfung stehen. Die Virologen Hendrik Streeck und Klaus Stöhr lehnen eine Impfpflicht ab, da sie nicht zielführend sei und eine Impfung ein reiner Selbstschutz und keinen Fremdschutz biete. Auch der Ethikrat hat seine ursprüngliche Einschätzung mittlerweile relativiert, sodass die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx angesichts der Omikron-Variante von einer allgemeinen Impfpflicht abrät. Sind sie angesichts dessen für oder gegen eine Impfpflicht? Falls Sie dafür sind, wie kann ein Staat es billigend in Kauf nehmen, dass Menschen direkt als Folge dieser Entscheidung schwerwiegende Schäden bis hin zum Tod erleiden wenn sie sich gegen ihren Willen impfen lassen müssen, um eine Strafe zu vermeiden?
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu einer möglichen allgemeinen Impfpflicht und dem damit verbundenen Interesse an meiner politischen Arbeit. Über beides habe ich mich sehr gefreut.
Auch nach über zwei Jahren stellt die Corona-Pandemie unser Land und die gesamte Welt weiterhin vor große Herausforderungen. Impfen ist, darauf weisen die Epidemiologinnen und Epidemiologen mit großer Einigkeit hin, immer noch das beste aller uns derzeit zur Verfügung stehenden Instrumente, um der Pandemie Einhalt zu gebieten. Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich, sondern auch andere. Doch die bislang erreichten Impfquoten reichen immer nicht aus, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und erneute Überlastungen unseres Gesundheitssystems und vor allem der kritischen Infrastruktur künftig zu verhindern. Die übergroße Mehrheit der Menschen geht verantwortungsbewusst mit der eigenen Gesundheit um und verhält sich solidarisch gegenüber anderen. Rund ein Viertel der Menschen in unserem Land sind noch nicht vollständig geschützt, weil sie sich nicht impfen lassen wollen oder können.
Zwar ist die Omikron-Variante des Corona-Virus weniger pathogen, also krankmachend, und der Anteil von Menschen mit einem schweren bis hin zu einem tödlichen Verlauf der Erkrankung sinkt. Zugleich steigt jedoch die Anzahl der infizierten Menschen, da die Variante leichter übertragbar und erheblich ansteckender ist als die Delta-Virusvariante. Aktuelle Zahlen aus den Kliniken zeigen, dass derzeit hauptsächlich Menschen ohne Impfschutz intensivmedizinisch versorgt werden. Das verdeutlicht, dass Impfungen einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen bieten. Entscheidend für die Eindämmung der Pandemie bleibt weiterhin, dass wir hierfür eine hohe Grundimmunität der Bevölkerung erreichen müssen. Das ist vor allem deshalb notwendig, da eine Infektion mit der Delta-Variante nach derzeitigem Wissenstand keine Immunität für andere Virusvarianten zur Folge hat. Expertinnen und Experten warnen davor, dass sich nach einem Abebben der Omikron-Welle erneut gefährlichere Virus-Varianten verbreiten können. Eine hohe Impfquote schützt und wirkt diesen Entwicklungen und den mit ihr einhergehenden nachteiligen Konsequenzen entgegen.
Die parlamentarische Debatte rund um die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht hat bereits begonnen und wird aktuell sehr intensiv geführt. Derzeit stehen drei Optionen im Raum: Die Ablehnung einer allgemeinen Impfpflicht, die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für volljährige Bürgerinnen und Bürger sowie die Einführung einer Impfpflicht ab 50 Jahren. Sie können sich sicher sein, dass vor der anstehenden Abstimmung im Deutschen Bundestag die Argumente weiterhin sehr sorgfältig bewegt, dabei selbstverständlich auch die Expertise von Expertinnen und Experten eingeholt sowie die Studienlage umfangreich geprüft wird. Daher möchte und kann ich Ihnen klar versichern, dass meine Fraktion und ich bezüglich einer möglichen Impflicht bestimmt keine leichtfertige Entscheidung treffen werden – im Gegenteil.
Als Parlamentarierinnen und Parlamentarier beleuchten wir seit Beginn der Pandemie die zahlreichen hierbei abzuwägenden Aspekte im Rahmen des gesetzgeberischen Prozesses äußerst intensiv. Die rechtliche wie tatsächliche Umsetzung einer Impfpflicht wäre voraussetzungsvoll. In der aktuellen Debatte müssen daher stets die neusten Entwicklungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Prognosen sehr ernst genommen werden. Die Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht wird umfassend diskutiert, wobei insbesondere auch die Frage nach der Erforderlichkeit einer Impfpflicht in den Blick genommen werden muss. Hierbei ist unter anderem auch die Frage zu beleuchten, ob ein anderes Mittel verfügbar ist, das in gleicher Weise geeignet ist, den Regelungszweck zu erreichen und zugleich die Betroffenen wie auch die Allgemeinheit geringer belastet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis für die sehr gut überprüfte Sicherheit des Impfstoffs spricht. Nachdem weltweit mittlerweile über 10 Milliarden Dosen geimpft worden sind, gehen alle seriösen Einschätzungen klar in diese Richtung. Nicht aus dem Blick geraten darf im Gegenzug auch, dass Maßnahmen wie immer wiederkehrende Lockdowns mit starken Kontaktbeschränkungen und die damit einhergehenden gravierenden Folgen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, natürlich auch extrem stark in die Freiheit der gesamten Gesellschaft eingreifen.
Ich kann Ihnen versichern, dass meine Fraktion und ich uns der Brisanz des Themas äußerst bewusst sind. Wir nehmen sehr sorgfältig in den Blick, welche Maßnahmen rechtlich in Betracht kommen, um die Pandemie so effektiv wie möglich zu bekämpfen und wägen die unterschiedlichen Optionen und ihre Auswirkungen mit größter Sorgfalt gegeneinander ab. Das ist die Haltung, die unserer Politik stets zu Grunde liegt.
Beste Grüße nach Darmstadt!
Konstantin v. Notz