Kann die Bundeswehr "grün" werden? Was halten Sie von der Wiedereinführung der Wehrpflicht (bzw. einer irgendwie stärkeren Verankerung der Verteidigung in der Bevölkerung)
Wie es z.b. in der Schweiz besteht. "Staatsbürger in Uniform" war mal ein guter Leitsatz. Die Bundeswehr wirkt leider zuletzt isoliert, bürokratisch, altmodisch, teils mit zweifelhaften "traditionsbildern" (spreche aus eigener Erfahrung) also irgendwie "wie die CDU". Jedenfalls werden progressive Haltungen dort eher weniger abgebildet. Fazit: Kann die Bundeswehr "grüner" werden? wenn ja dann Wie?
Sehr geehrter Herr W.,
haben Sie besten Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Arbeit. Über beides habe ich mich gefreut.
Lassen Sie mich Folgendes voranstellen: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat unsere Welt grundlegend verändert. Er bringt unermessliches Leid und Zerstörung für die Menschen in der Ukraine und ist auch ein brachialer Angriff auf unsere Freiheit, unsere gemeinsamen europäischen Werte, auf Demokratie und Rechtstaatlichkeit und er ist der Versuch, eine diktatorische Herrschaft auszudehnen. Russland setzt auf Krieg, militärische Überlegenheit und das Recht des Stärkeren. Wir stehen für ein Europa, in dem die Stärke des Rechts – und nicht das Recht des Stärkeren – gilt.
Diese Zeitenwende bringt grundlegende Fragen mit sich. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in seiner Rede vom 27. Februar 2022 ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro angekündigt und das Kabinett hat dazu Gesetzentwürfe vorgelegt, die nun parlamentarisch beraten werden. Ziel ist es, Deutschlands Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Dabei ist uns Grünen im Bundestag wichtig: Vernetzte Sicherheit ist mehr als Militär. Jeder zusätzliche Euro muss auch mehr europäische Sicherheit bedeuten. Neben den nötigen Investitionen in die Ausstattung der Bundeswehr müssen auch die Bereiche IT-Sicherheit, Zivilschutz und Unterstützung von Partnerstaaten adressiert werden. Zudem muss das Beschaffungswesen und das Controlling der Bundeswehr deutlich verbessert werden, damit zusätzliche Haushaltsmittel auch tatsächliche ihre Wirkung entfalten. Über den regulären Haushalt werden wir sicherstellen, dass wir weiterhin einen umfassenden Sicherheitsbegriff verfolgen, wie wir ihn im Koalitionsvertrag gemeinsam mit SPD und FDP verankert haben.
Angesichts steigender Ausgaben für Verteidigung gilt es, ein besonderes Augenmerk auf die friedensstiftenden und friedenssichernden Ausgaben zu legen. Für echte menschliche Sicherheit braucht es auch mehr humanitäre Hilfe, mehr Entwicklungszusammenarbeit, Fähigkeiten zur zivilen Krisenprävention, eine stark aufgestellte und reaktionsfähige Diplomatie, IT-Sicherheit, Zivilschutz, Energiesouveränität. Dass der Ausbau erneuerbarer Energien und Energiesouveränität eine Frage der nationalen Sicherheit ist, wurde in Deutschland zu lange negiert. Entsprechend bringt die Ampelkoalition derzeit eine ganze Reihe Maßnahmen auf den Weg, mit denen wir den Verbrauch von Kohle, Öl, Gas reduzieren, um so schnell wie möglich ganz davon wegzukommen.
Im Zusammenhang mit der Frage nach den Strukturen der Bundeswehr wird zunehmend auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht thematisiert – so auch von Ihnen. Persönlich habe ich nach meinem Abitur Zivildienst an der Bahnhofsmission in Frankfurt (Main) geleistet. Würde sich die Frage für mich heutzutage stellen, würde ich zumindest ernsthaft in Erwägung ziehen, Wehrdienst zu leisten. Ein sog. „Deutschlandjahr“, d.h. eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen, könnte nach meinem Dafürhalten einen echten Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts leisten. Junge Erwachsene könnten nach Abschluss ihrer Schullaufbahn gemeinnützig arbeiten und sich auf diese Weise aktiv in unsere Gesellschaft einbringen. Diese Tätigkeit könnten sie im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich ableisten. Alternativ könnten sie ihre Dienstpflicht aber auch durch den Wehrdienst bei der Bundeswehr erfüllen. Dieser Wehrdienst könnte eine stärkere Bindung zwischen Bundeswehr und Zivilgesellschaft bewirken. Eine breitere Einbindung von Menschen aus der gesamten Gesellschaft könnte der Tendenz entgegenwirken, dass Soldatinnen und Soldaten für ihre bedeutsame Tätigkeit teilweise nur geringe Anerkennung erfahren, obwohl sie täglich einen sehr hohen persönlichen Einsatz erbringen. Die Einführung eines solchen Deutschlandjahres müsste selbstverständlich nicht nur auf einem soliden rechtlichen Fundament stehen. Vielmehr müsste ihr auch eine gesamtgesellschaftliche Debatte vorausgegangen sein, in der Für und Wider eines solchen Pflichtjahres ausführlich diskutiert werden. Auch vor dem Hintergrund, dass eine solche Dienstpflicht angesichts der Möglichkeit von anderen gesellschaftsrelevanten Tätigkeiten weit über die Umstrukturierung der Bundeswehr hinausgeht, sollte der Gesetzgeber diese Option mit der notwendigen Sorgfalt führen. Klar ist dabei aber genauso, dass ein solcher Dienst nicht alle Personalprobleme der Bundeswehr wird lösen können – etwa weil sich Spezialistinnen und Spezialisten nicht innerhalb weniger Monate heranbilden lassen.
Hinweisen möchte ich Sie außerdem auf die parteinahe Vereinigung BundeswehrGrün, die sich in der Tradition der „Inneren Führung“ der Bundeswehr sieht und dabei dem Prinzip der „Staatsbürger*innen in Uniform“ zur Geltung verhelfen will. Ziel der Vereinigung ist es, die Auseinandersetzung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft zu fördern und eine kritische und informierte Diskussion zu ermöglichen. Das umfasst insbesondere auch die Förderung des Austausches und des Verständnisses zwischen grüner Politik und den Belangen von Bundeswehrangehörigen.
Mit den besten Grüßen nach München!
Konstantin v. Notz