Assange veröffentlichte Dokumente, die Kriegsverbrechen aufdecken. Er ist unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Setzen Sie sich für seine Freilassung und damit für die Pressefreiheit ein?
Sehr geehrter Herr von Notz,
die Veröffentlichung solcher Dokumente ist Bestandteil des investigativen Journalismus und durch das Recht auf Pressefreiheit gedeckt. Der Journalist Julian Assange befindet sich jedoch seit 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London in Isolationshaft. Die UN definiert Isolationshaft über 15 Tage als Folter.
Dieses Vorgehen verletzt nicht nur grundlegendste Rechte eines Einzelnen, es dürfte auch andere Journalisten davon abhalten, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen. Rechtsstaatlichkeit & Pressefreiheit – Errungenschaften, auf die wir Europäer zu Recht stolz sind. Im Fall Assange werden sie auf verstörende Weise mit Füßen getreten.
Die Entscheidungsträger sitzen in GB bzw. in den USA. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit auf europäischem Boden ist jedoch Grund genug, auf allen politischen Ebenen den größtmöglichen Druck auf diese auszuüben. Wir bitten Sie herzlich um Ihren Beitrag.
Mit freundlichen Grüßen
FreeAssange Ulm
Sehr geehrte Frau M.,
haben Sie besten Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Arbeit. Über beides habe ich mich gefreut. Bitte verzeihen Sie zugleich, dass ich erst heute dazu komme, Ihnen zu antworten.
Zunächst vielen Dank für Ihr Engagement für die Pressefreiheit. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen verfolgt den Fall seit langem mit großer Aufmerksamkeit - und Sorge.
Julian Assange kann seit mehr als elf Jahren nicht mehr in Freiheit leben. Seit April 2019 ist er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Großbritannien inhaftiert. Im Juni 2022 entschied ein britisches Gericht, dass Julian Assange an die USA ausgeliefert werden könnte. Wegen seiner Veröffentlichungen drohen ihm in den Vereinigten Staaten bis zu 175 Jahre Haft.
Einen Antrag auf Berufung gegen den Auslieferungsbescheid hat der Oberste Gerichtshof von Großbritannien zurückgewiesen. Als letzte Variante bleibt Assange vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen. Die Individualbeschwerde, die zum EGMR erhoben werden kann, entfaltet jedoch keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, Julian Assange könnte in die USA abgeschoben werden während vor dem EGMR das Verfahren noch läuft. Ein Antrag auf den Erlass vorläufiger Maßnahmen vor dem EGMR – also das Aussetzen der Auslieferung – wäre theoretisch möglich, die juristischen Hürden hierfür sind aber hoch.
Wie viele andere sind auch wir besorgt über den Abschreckungseffekt, den eine Auslieferung und ein Gerichtsverfahren in den USA für Pressefreiheit weltweit haben könnten. International braucht es mehr Schutz für Plattformen wie Wikileaks, für Whistleblower*innen und Journalist*innen - und nicht weniger. Die Auslieferung Julian Assanges wäre ein fatales Symbol für Presse- und Medienschaffende weltweit. Im Juli 2022 wendeten sich über 80 MdBs von Grünen, SPD, FDP und Linken in einem offenen Brief gegen die Auslieferung Assanges: https://www.dw.com/de/julian-assange-bundestagsabgeordnete-fordern-freilassung/a-62398404.
Weiterhin fürchten wir um die Gesundheit von Julian Assange, der sich weiterhin in Einzel- und Isolationshaft befindet. Die nationalen Parlamente aus 46 europäischen Staaten haben sich für die Bewertung elementarer Menschenrechtsfragen mit ihrer parlamentarischen Versammlung des Europarats ein Gremium gegeben. Wir weisen ausdrücklich auf die Resolution 2317 dieses Gremiums und die dort enthaltenen Forderungen hin.
Wiederholt hat die deutsche Außenministerin sowohl gegenüber der britischen als auch der US-amerikanischen Regierung deutlich gemacht, dass es unserem Rechtsverständnis nach hier um einen Fall von Pressefreiheit geht - und es hier keine Einschränkungen geben darf. Zugleich hat Annalena Baerbock deutlich gemacht, dass rechtsstaatliche Verfahren zur Überprüfung der bisherigen Entscheidungen noch offenstehen, der Rechtsweg noch nicht voll und ganz ausgeschöpft ist und es wichtig ist, dass dieser Weg der rechtsstaatlichen Überprüfung weiter gegangen wird.
Mit besten Grüßen nach Ulm
Konstantin v. Notz