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Konstantin von Notz
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Frage von Klaus R. •

Frage an Konstantin von Notz von Klaus R. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr von Notz,

im Falle des 14-jährigen Mädchens, das von einem afghanischen Mehrfachtäters vergewaltigt wurde, sagten Sie laut der "Welt" Folgendes: „Die Justiz muss diesen Fall sauber aufarbeiten. Aber Einzelfälle wie dieser dürfen nicht zur Stimmungsmache gegen Schutzsuchende und Ausländer missbraucht werden.“

Laut der BKA-Studie "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2017" sind sogenannte "Schutzsuchende" überproportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung bei Gewaltdelikten (unter anderem bei Vergewaltigungen) als Täter ermittelt worden.

Da Ihnen diese Statistik mit Sicherheit bekannt sein wird, würde ich gerne von Ihnen wissen, wieso Sie in diesem Zusammenhang immer noch von "Einzelfällen" sprechen und würde von Ihnen auch gerne wissen, was Sie persönlich denken, wie Opfer und Angehörige von Opfern fühlen, wenn Sie dies tun?

Vielen Dank im Voraus für die Beantwortung der Frage

K. R.

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Sehr geehrter Herr R.,

haben Sie zunächst vielen Dank für Ihre Nachricht. Entschuldigen Sie bitte zugleich, dass ich erst heute dazu komme, mich diesbezüglich erneut bei Ihnen zu melden. Manchmal, das zeigt dieser Fall sehr gut, ist es jedoch sehr ratsam, die Dinge ohne Schau vor dem Mund, sondern mit etwas Abstand und dem notwendige Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu bewerten.

Glauben Sie mir: Fälle wie derjenige in Hamburg erschüttern mich ebenso wie Sie. Dass eine 14-Jährige in der Hamburger Innenstadt vergewaltigt wird, ist grauenvoll. Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten zu schützen, ist eine zentrale Aufgabe unseres Rechtsstaats. Zu diesem gehört jedoch auch, dass die Justiz in der Lage sein muss, Täter dem Strafverfahren zuzuführen. Im vorliegenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft der Abschiebung des Beschuldigten nicht zugestimmt, weil sie noch ein anderes Strafverfahren gegen ihn zu führen hatte, in dem ein Geschädigter und Opfer auf die Genugtuung einer Rechtsprechung hoffte.

Wahrscheinlich haben auch Sie den Fall weiter verfolgt. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft ja bekannt gegeben, dass man den Verdächtigen freigelassen habe, da sich die Zeugenaussagen nicht mit den Beweisen vereinbaren ließen. Der Haftbefehl wurde sechs Tage nach der vermeintlichen Tat wieder aufgehoben, da kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Als Begründung führte der leitende Oberstaatsanwalt aus, dass sich die bisherigen Angaben der Hauptbelastungszeugin in wesentlichen Punkten nicht mit den inzwischen ausgewerteten Beweismitteln vereinbaren lassen.

Insgesamt ist der Fall leider bezeichnend für das, was man derzeit vielerorts erlebt. Als ich - anders als mehrere Kollegen der Union, die gleich wieder auf den rollenden, gerade von rechter Seite massiv befeuerten Empörungszug aufsprangen und reflexhaft Strafrechtsverschärfungen und schnelleren Abschiebungen das Wort redeten, für eine fundierte juristische Aufarbeitung des Falls plädiert und vor übereilten Vorverurteilungen gewarnt habe, erreichte mich ein veritabler Shitstorm inkl. zahlreicher strafrechtlich höchstrelevanter Zuschriften, wobei die Palette von eher weniger kreativen Beleidungen bis hin zu Morddrohungen reichte.

Nun stellt sich heraus, dass genau diese - rechtsstaatlich eigentlich selbstverständlichen - Warnungen absolut berechtigt waren: Die Vorwürfe gegen den Verdächtigen haben sich nicht bestätigt.

Die Karawane der Hater und rechten Trolle ist derweil weiter gezogen - genauso wie der Großteil des medialen Trosses. Während die Überschriften bei Bekanntwerden des Falles gar nicht groß genug sein konnten, fallen die Klarstellungen eher klein, wenn nicht gleich ganz aus. All das macht noch einmal deutlich: Wir leben in erregten Zeiten und es lohnt sich in der Regel immer, kühlen Kopf zu bewahren und auf den Rechtsstaat und die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zu vertrauen.

Vor dem Hintergrund der von Ihnen zitierten BKA-Studie "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2017" gilt es zweierlei zu bedenken. Einerseits macht die Studie zurecht deutlich, dass der Anstieg der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vornehmlich mit der Reform des Sexualstrafrechts zu tun hat und: "Diese, auf den ersten Blick deutliche Zunahme der Straftaten gegenüber dem Jahr 2016 ist aufgrund der Reform des Sexualstrafrechts nicht aussagekräftig." (BKA-Studie "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2017", S. 24 f.) Zudem erläutert die Studie ebenfalls, dass es sich bei den Tätern weit überwiegend um Einmaltäter handelt.

Gegen Sexualstraftäter gilt es unmissverständlich und rechtsstaatlich vorzugehen, das ist klar. Gleichzeitig dürfen diese Fälle jedoch nicht zur pauschalen Stimmungsmache gegen Schutzsuchende und Ausländer missbraucht werden. Viele Menschen sind aus Kriesen- und Kriegsgebieten zu uns nach Deutschland gekommen um Schutz zu suchen vor dem Horror, den sie in ihren Heimatländern erlebt haben. Der weit überwiegende Anteil von Ihnen lebt hier rechtskonform und friedlich. Sie gilt es ebenso vor Angriffen zu schützen wie alle anderen Menschen. Nur so können wir unseren Rechtsstaat und unsere Rechtsstaatlichkeit nach Innen und nach Außen verteidigen.

Vielleicht habe Sie ja auch diesen konkreten Fall zum Anlass genommen, um darüber nachzudenken, ob es nicht manchmal besser ist, Dinge mit Besonnenheit und Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu bewerten statt pauschale Urteile auszuspreche, die sich später als haltlos erweisen.

Mit freundlichen Grüßen nach Gelsenkirchen!
Konstantin v. Notz

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