Das Bundeskabinett hat eine Fortschreibung der gesetzlichen Regelsätze beschlossen, die weit unter der aktuellen Inflationsrate bleibt. Was halten Sie davon?
Während die Medien von einer Teuerungsrate von knapp 4 Prozent sprechen, hat das Kabinett letzten Mittwoch auf Vorlage des BMAS eine Verordnung verabschiedet, nach der die Regelsätze nach SGB II und SGB XII zum 1. Januar 2022 um nicht mal 1 % angehoben werden sollen. Maßgeblich für die Berechnung dieser Veränderungsrate war die Preis- und Lohnentwicklung vom 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021.
Die Regelung für die Berechnungsweise (§ 28a SGB XII) enthält u.E. einen Konstruktionsfehler, der bei geringer Inflation nicht so auffällt. Gibt es aber größere Ausschläge bei den Preisen und/oder den Löhnen, so kommen diese erst mit 1 bis 2 Jahren Verzögerung bei den Leistungen an. Der Vorteil für die Regierungen: Mehrausgaben werden so immer um eine gewisse Zeit nach hinten verschoben. Für die Betroffenen ist es hingegen bitter, da die Preiserhöhung ja jetzt, und nicht erst im übernächsten Jahr, zuschlägt. Faktisch handelt es sich bei der für 2022 vorgesehenen Anpassung um eine Realwertsenkung.
Auf die Errungenschaft des Sozialstaates kann unser Land zurecht sehr stolz sein. Das grundlegende Merkmal dabei ist, dass die Menschen einen Rechtsanspruch auf eine soziale Absicherung haben, die ihnen ein menschenwürdiges Leben garantiert. Die Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII müssen den Menschen das Existenzminimum sichern. Wie in dem Beitrag zeigt sich jedoch, dass die beiden Sozialleistungen unter bestimmten Rahmenbedingungen, wie bei einer steigenden Inflation, die Sicherung des Existenzminimums nicht mehr garantieren können. Auch deshalb müssen wir unseren Sozialstaat weiter entwickeln, um ihn zukunftssicher und generationengerecht zu gestalten.
In dem geschilderten Beitrag könnte dies zum Beispiel durch eine stärkere Gewichtung der Lohn- und Preisentwicklung der letzten drei Monate geschehen. Auch die Einbeziehung seriöser Schätzungen der Lohn- und Preisentwicklung der kommenden drei Monate könnte zu mehr Gerechtigkeit und zur Sicherung des Existenzminimums beitragen.
Neben diesen wichtigen operativen Fragestellungen, müssen wir die Arbeitsämter und Jobcenter auch als Institutionen weiterentwickeln, die von den Menschen zuallererst als helfend und die entsprechenden Gesetze als gerecht und respektvoll wahrgenommen werden. Nach meiner Meinung werden wir als eine der ersten Aufgaben des neuen Bundestages die Reformierung der Hartz IV-Gesetze in dem genannten Sinne auf den Weg bringen müssen.