Frage an Heike Baehrens von Volker Z. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Baehrens,
Nachdem die Schweinemäster über drei Jahre Zeit hatten, stimmten Sie einer Verlängerung der Kastration ohne Betäubung zu. Wie begründen Sie diese Zustimmung zu einer andauernden Qual von Gottes Geschöpfen?
Sehr geehrter Herr Z.,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Abstimmung über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zusammenhang mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt viele Menschen und hat auch mich stark aufgewühlt. Wie Sie richtig feststellen, habe ich nach langem Abwägen der Verlängerung um zwei Jahre zugestimmt – und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die SPD-Bundestagsfraktion kritisiert die Verweigerungshaltung des früheren Bundes-landwirtschaftsministers Schmidt sowie weiter Teile der Funktionäre der Verbandsvertreter und großer Teile der CDU/CSU in den vergangenen Jahren, die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirklicher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht genutzt zu haben. Stattdessen haben sie einen sogenannten vierten Weg verfolgt, der die Veränderung des Schmerzbegriffs im Tierschutzgesetz vorausgesetzt hätte. Diese Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert.
2. Leider existiert in der EU kein einheitliches Tierschutzrecht. Aufgrund der unter 1. beschriebenen Defizite stehen aktuell in Deutschland die Alternativen zur betäubungslosen Ferkel-kastration nicht flächendeckend zur Verfügung. Wäre es nicht zu einer Fristverlängerung gekommen, wäre zu befürchten gewesen, dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme. Dies würde dazu führen, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa importiert werden, die gerade nicht nach deutschen Tierschutzstandards kastriert wurden und noch dazu weite Transportwege zurücklegen müssten. Vor diesem Hintergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. November 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. Der von der Fraktion Die Linke benannte Sachverständige Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnahme:
„Aus all diesen Gründen hält der bpt eine Verschiebung des Termins schon seit längerem für unabdingbar.“
3. Eine bloße Fristverlängerung war für die SPD-Bundestagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Alternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraussetzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu schaffen – so z.B. durch die Entwicklung und Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard werden und somit auch eine europäische Ausstrahlungskraft entfalten kann.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerliche Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vielen anderen Organisationen zu einem Paradigmenwechsel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden Gesetzesinhalt:
„Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternativen rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegeräte in der Fläche verfügbar zu machen und die Praktikerinnen und Praktiker im tier- und sachgerechten Umgang zu schulen […] Der Gesetzentwurf, den die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD heute beschließen wollen, legt nun fest, dass das Bundesministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das ist ein riesiger Fortschritt.“
Wer die AbL kennt, weiß, dass sie diese Würdigung nicht leichtfertig abgibt.
4. Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der Ferkelkastration haben wir außerdem dazu genutzt, generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzufordern und klare Verabredungen unter den Koalitions-fraktionen zu treffen. So fordern wir in einem gleichzeitig beschlossenen Entschließungsantrag unter anderem das Bundeslandwirtschaftsministerium dazu auf, bis Mitte der Legislatur die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nicht-kurative Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden.
Sehr geehrter Herr Z., ich hoffe, Sie können durch diese Ausführungen meine Beweggründe besser nachvollziehen. Solche Abwägungen sind niemals leicht– es gab aber in dieser und der vorangegangenen Legislaturperiode nur wenige, die mir derart schwerfielen. Ich kann absolut verstehen, wenn von außen betrachtet, diese Tauschhandel im politischen Prozess zynisch erscheinen. Dennoch verlasse ich mich darauf, dass durch diese Verabredungen insgesamt ein besserer Tierschutz erreicht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Heike Baehrens