Frage an Franziska Brantner von Silke S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Brantner,
aus meiner Sicht gibt es in Deutschland eine riesen Entpolitarisierung wichtiger Dinge. Die Themen im Wahlkampf sind m.E. vor allem Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Trump, Erdogan/ Türkei, Ukraine/Putin. Stimmen Sie mir zu, dass alltägliche Dinge aus diesem Grund in den Hintergrund rutschen?
Ein Beispiel: Deutschland nimmt mehr Steuern ein, aber es gibt sehr viel Obdachlosigkeit. Es ist von 335 000 die Rede, siehe diese Link: http://www.deutschlandfunk.de/sozialstatistik-immer-mehr-obdachlose-in-deutschland.1818.de.html?dram:article_id=373118
Wozu noch Einwanderung, wenn nicht mal alle hiesigen Bürger*innen Wohnungen haben?
Ich habe eine Wohnung, in der ich ständig gestört bin, die zu klein ist. Doch ich bin krank und habe in Baden-Württemberg kaum eine Chance eine andere bezahlbare Wohnung zu bekommen. Warum investiert man nicht die massiven Steuereinnahmen zu einem größeren Teil für den sozialen Wohnungsbau? Aus meiner Sicht federt man die Folgen der Zuwanderung, der Globalisierung usw. nicht gerecht ab, stimmen Sie dem zu?
Zum anderen möchte ich Sie fragen, warum Deutschland nicht eine "große Schweiz" werden könnte? Ein souveräner Staat, ohne EU-Technokraten und EU-Bevormundung, mit sicheren Grenzen, mit Volksabstimmungen?
Sind Sie für eine Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags auf 5 Jahre? Wäre das nicht eine weitere Entdemokratisierung?
Was wollen Sie gegen Lobbyismus tun z.B. anhand eines Lobbyistenregisters? Und was wollen Sie tun, um die Macht von Global-Player, Banken und Großerben zu beschränken?
Mit freundlichen Grüßen
S. S.
Sehr geehrte Frau S..
Vielen Dank für Ihre Mail. Sie haben mir sehr viele Fragen gestellt, die ich Ihnen - angesichts meiner erheblichen Wahlkampfverpflichtungen - nur in aller Kürze beantworten kann:
• Das so genannte „TV-Duell“ wurde von fast allen Beobachtern wegen seiner Verengung kritisiert, auch für uns spielen Wohnungsnot, Kinderarmut, Renten-Ungewissheit, Zukunft der Pflege im Wahlkampf eine zu geringe Rolle.
• Wohnungs- und manche soziale Probleme bestehen völlig unabhängig von Zuwanderung und Globalisierung. Wir wollen die Bundesgelder für sozialen Wohnungsbau massiv steigern auf 2 Milliarden im Jahr und fordern die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass die „Minimietpreisbremse“ der Großen Koalition keine Wirkung entfalten kann, weil sie zu viele Ausnahmen für Vermieter und zu viele Hürden für die Mieterinnen und Mieter enthält. Deswegen werden wir uns auch in der kommenden Wahlperiode dafür stark machen, dass die unnötigen Ausnahmen abgeschafft und die Anwendbarkeit für die Mieterinnen und Mieter deutlich verbessert wird.
• Deutschland eine „große Schweiz“? Aus der EU heraus? Wir finden es richtig und wichtig, dass Deutschland Teil der EU ist und bleibt.
• Was Sie mit „EU-Technokraten“ und „-Bevormundung“ meinen, erschließt sich mir nicht. Ich war vier Jahre Europa-Abgeordnete, beschäftige mich seit langem mit der EU und kann diese Vorurteile nicht nachvollziehen. EU Beamte entscheiden nicht, Gesetze werden im Ministerrat, in dem die 28 Regierungen der Mitgliedsländer vertreten sind, und dem Europäischen Parlament getroffen. Dort mögen einem die politischen Mehrheiten nicht gefallen - dann muss man für andere Mehrheiten kämpfen. Oft wird doch „Brüssel“ oder „die EU“ für alle möglichen negativen Entwicklungen zum Sündenbock gemacht, die in Wahrheit oft die nationalen Regierungen zu verantworten haben! Und: Wo werden wir denn bevormundet? Und wie soll Deutschland (oder ein anderer Staat) allein Herausforderungen wie Klimaschutz, grenzüberschreitende Kriminalität oder Terrorismus stemmen?
• Eine Verlängerung der Legislaturperiode kann durchaus sinnvoll sein – allein wenn man sieht, wieviel Zeit gleich zu Beginn etwa durch Koalitionsverhandlungen verloren geht. Wenn man aber hier Reformen angeht, müsste man gleichzeitig auch über Möglichkeiten für mehr direkte Demokratie, also für Volksabstimmungen zu bestimmten Themen nachdenken.
• In einer pluralistischen Gesellschaft ist es legitim, dass zahlreiche betroffene Gruppen ihre Wünsche oder Sorgen im Gesetzgebungsprozess zur Sprache bringen wollen. Doch der Einfluss von Interessensgruppen, beziehungsweise Lobbyisten, muss transparent sein und nach klar definierten Regeln erfolgen. Durch mehr Transparenz können unlautere Einflüsse neutralisiert und ein böser Schein von vornherein vermieden werden. Doch gerade was die Transparenz von Lobbyismus angeht, ist Deutschland ins Hintertreffen geraten. Wie Transparency International ermittelt hat, kommt Deutschland von 19 untersuchten EU-Staaten und -Institutionen gerade mal auf den Platz 16. Die grüne Bundestagsfraktion hat einen Antrag für ein gesetzliches, verbindliches Lobbyregister vorgelegt. Verbände, Vereine, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen und weitere Institutionen müssten sich in dieses verbindliche Register eintragen, wenn sie die Absicht haben, Entscheidungen und Abläufe der Regierung und des Parlamentes zu beeinflussen. Das Register wäre öffentlich einsehbar. Sie enthielt Informationen über die handelnden Interessensvertreter, deren Interessengebiete und die finanziellen Aufwendungen.
Ich hoffe, ich habe Ihnen weiterhelfen können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Franziska Brantner