Frage an Franziska Brantner von Julia A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Brantner,
Gerade eben habe ich von einem erneuten Abschiebeflug nach Afghanistan für den kommenden Dienstag 12.9.2017 gehört. Von den 15 Insassen sollen 4 Straftäter sein, über die anderen ist bisher scheinbar nichts bekannt.
Von der grünen Landesregierung in Ba-Wü war ich diesbezüglich enttäuscht: Wo andere Bundesländer zwischenzeitlich einen Abschiebestopp erwirkt hatten, hat ausgerechnet unser Bundesland weiter in ein Land abgeschoben, dessen Sicherheit von vielen Organisationen für mehr als zweifelhaft eingestuft wird.
Wie werden sich die Grünen in Zukunft zur Frage nach der Sicherheit in Afghanistan positionieren?
Vielen herzlichen Dank!
Sehr geehrte Frau Ahaus.
Vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie Ihre Bedenken hinsichtlich der Abschiebungen nach Afghanistan äußern.
Lassen Sie mich Ihnen wie folgt dazu anworten:
Nach unserem letzten Stand sind für den geplanten Charterflug am 12. September rund ein Dutzend Menschen aus den Bundesländern Bayern, NRW, Hessen sowie Hamburg vorgesehen.
Aus Baden-Württemberg ist nach unseren Erkenntnissen nächste Woche keine Person dabei - was aber den Umstand nicht besser macht, dass (wie Sie ja auch schreiben) auch unser Bundesland in der Vergangenheit nach Afghanistan abgeschoben hat.
Selbstverständlich haben Die Grünen in BW die Frage eines Abschiebestopps geprüft. Ein Stopp wäre aber nur für 3 Monate möglich gewesen. An der Situation der hier lebenden Afghanen hätte sich dadurch nichts geändert. Nach drei Monaten hätte der alte Rechtszustand wieder gegolten. Aus diesem Grunde haben sich Die Grünen in Baden-Württemberg für diesen Weg entschieden und mit der CDU vereinbart: Solange es keinen bundesweiten, auf Dauer gültigen Abschiebestopp gibt, bleiben Abschiebungen auf rechtskräftig verurteilte Straftäter und Gefährder beschränkt. Familien und insbesondere Kinder werden nicht abgeschoben. Als zusätzliche Schutzmaßnahme müssen die Ausländerbehörden regelmäßig bei allen Flüchtlingen mit nur vorübergehendem Schutzstatus regelmäßig überprüfen, ob nicht inzwischen die Voraussetzungen für ein Bleiberecht auf Dauer vorliegen. Das wurde bisher unterlassen. Wir glauben, dass wir dadurch insbesondere den afghanischen Flüchtlingen helfen können, die 5 Jahre und länger hier sind. Und deren Zahl ist groß.
Für uns Grüne ist klar: Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete lehnen wir ab. Deshalb ist unser Ziel ein bundesweiter Abschiebestopp nach Afghanistan. Der Anschlag vom 31. Mai 2017 im Botschaftsviertel von Kabul hat nochmals deutlich gezeigt, dass die Situation in Afghanistan höchst problematisch ist und die Sicherheit der Zivilgesellschaft und der staatlichen Einrichtungen nicht garantiert werden können. Die meisten Opfer des Anschlags waren offenkundig ZivilistInnen, sie haben kaum Möglichkeiten, sich gegen Anschläge, Entführungen und die allgewärtige Bedrohung zu schützen.
Im Jahr 2016 sind circa 1,2 Millionen Afghanen vielfach zwangsweise aus Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückgebracht worden. Sie kommen in ein zerstörtes Land ohne Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, das in vielen Teilen von Aufständischen und den Taliban kontrolliert wird. Rückkehrer aus dem Westen und die Abgeschobenen aus Deutschland finden eine Situation vor, in der sie kaum Möglichkeiten haben selbstständig zu überleben. Ohne starkes familiäres Netzwerk ist eine wirtschaftliche und soziale Reintegration faktisch unmöglich. Es ist zynisch, dass die Bundesregierung sich monatelang geweigert hat, den Lagebericht zu Afghanistan zu aktualisieren. Viele Quelle und aktuelle Entwicklungen, wie der Bericht des UNHCR oder die verheerenden Anschläge seit Jahresbeginn, sind nicht Teil der aktuellen Bewertung der Bundesregierung. Die Bundesregierung - und insbesondere Außenminister Gabriel - müssen eine gründliche und fundierte Einschätzung unter Bezugnahme verschiedener Quellen vorlegen, die nicht innenpolitisch motiviert ist, sondern die tatsächliche Lage abbildet.
In einem Antrag hat unsere Bundestagsfraktion kürzlich fünf Punkte gefordert:
1. Eine Überarbeitung des Lageberichts des Auswärtigen Amts.
2. Die Ermöglichung einer Aufenthaltsgewährung aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen durch die Landesregierungen,
3. Die Aussetzung der Vereinbarung zur Rücknahme von Geflüchteten zwischen der Bundesregierung und der afghanischen Regierung.
4. Den Stopp von Widerrufsverfahren für afghanische Staatsangehörige, die einen Schutzstatus in Deutschland haben.
5. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anzuweisen, dass afghanischen AntragstellerInnen zumindest subsidiäre Schutz zu gewähren ist.
Mit freundlichen Grüßen
Franziska Brantner