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Daniel Rinkert
SPD
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Frage von Miriam Y. •

Ein großer Teil der demokratischen Gesellschaft versucht seit über einem Jahr, die Politik zu überzeugen, ein AfD-Verbotsverfahren anzustrengen - warum weigert sich die Politik noch immer?

Die AfD zeigt ihr wahres Gesicht – die Forderung nach Remigration hat es nun sogar ins Wahlprogramm geschafft (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-parteitag-324.html). Phrasen, die AfD müsse man inhaltlich stellen oder sie ließe sich gar von Herrn Merz halbieren, sind Phrasen geblieben.

Im Sinne unserer wehrhaften Demokratie hat die Gesellschaft ihren Beitrag geleistet: Die Menschen haben in einer der bundesweit größten Petitionen gefordert, einen Verbotsantrag zu stellen (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-verbot-unterschriften-100.html). Vor einem Jahr haben allein an drei Wochenenden fast 2 Mio. Menschen gegen rechts demonstriert (https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/demonstrationen-gegen-rechtsextremismus-102.html).

Demokratische Politiker haben dieses Engagement begrüßt – ihren Part aber nie erfüllt. Aus Bürgersicht fühlt sich das zunehmend wie unterlassene Hilfeleistung an. Wie können Sie das in unserer heutigen Welt noch rechtfertigen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Y.,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne beantworte ich Ihre Fragen.

Weite Teile der AfD vertreten eine verfassungsfeindliche Haltung. Dies wird nicht nur aus den investigativen Recherchen von CORRECTIV zu dem geheimen Treffen rechter Politiker:innen und Aktivist:innen in Potsdam und deren menschenverachtenden Zukunftspläne deutlich. Eine Vielzahl von Äußerungen höchster Vertreterinnen und Vertretern der AfD belegen die antidemokratischen und rechtsextremen Wertvorstellungen dieser Partei unmissverständlich.

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sammelt seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend Informationen über Bestrebungen, die gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und hat die AfD als Gesamtpartei aufgrund ihrer immer deutlicher zutage tretenden Haltung in diesem Sinne als Verdachtsfall eingestuft. Seit Ende 2023 werden drei Landesverbände der AfD (Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt) als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Dass die AfD rechtmäßig durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet wird, hat nach dem Verwaltungsgericht Köln nun auch das Oberverwaltungsgericht Münster als Berufungsinstanz bestätigt. Das Bundesamt darf damit Erkenntnisse über die Handlungen der AfD auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln sammeln. Die Auswertung dieser Erkenntnisse durch den Verfassungsschutz spielt auch für uns als SPD-Bundestagsfraktion eine wichtige Rolle, wenn wir gemeinsam darüber entscheiden, ob wir uns für die Beantragung eines Verbots der AfD einsetzen.

Es handelt sich um eine politische Entscheidung mit großer Tragweite, die wir uns als Teil des Verfassungsorgans Bundestag nicht leicht machen. Deshalb müssen wir jede Möglichkeit zur Beweissammlung nutzen, um schließlich darüber entscheiden zu können, ob wir den Weg nach Karlsruhe beschreiten. Parlamentarische Initiativen im Deutschen Bundestag, die zunächst eine Beweissammlung und Prüfung der Erfolgsaussichten eines Parteiverbotsantrags durch Expertinnen und Experten beauftragen wollen, sind aus unserer Sicht dabei zielführend, da sie einen methodisch klaren Weg gehen.

Ein Parteiverbot bleibt jedoch die „Ultima Ratio“, das letzte Mittel. Solche Verbotsverfahren müssen gut abgewogen werden, da die Anforderungen für ein Parteiverbot sehr hoch sind. Es benötigt meiner Meinung nach ausführliche Beweise, insbesondere in Form öffentlich zugänglicher Quellen. Informationen sogenannter V-Personen können hier nicht dazugezählt werden. Weiterhin muss eingehend geprüft werden, ob diese Quellen ausreichend für ein Parteiverbot sind. Denn sollte der Antrag nicht gut begründet sein, hätte die AfD einen Freibrief und könnte sich demokratisch und verfassungsfest nennen.

Die Beweissammlung wäre zudem eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. So müssten ebenfalls die Verfassungsschutzämter der Bundesländer ihre Erkenntnisse und Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD dafür zur Verfügung stellen. Daher ist es für mich zwingend notwendig, dass sich auch die Bundesländer an einem möglichen Verbotsantrag beteiligen. Es wäre ein großer Fehler, einen unzureichenden Antrag zu stellen, da dies negative Konsequenzen für ein mögliches Verbotsverfahren hätte. Ein separates Vorgehen eines einzelnen Verfassungsorgans halte ich aus diesen Gründen für nicht zielführend. Anträge auf ein Verbotsverfahren von Parteien sollten von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gemeinsam gestellt werden. Hierbei darf nicht weniger entschlossen und gemeinschaftlich gehandelt werden als beim NPD-Verbotsverfahren. Aus den genannten Gründen unterstütze ich den von Ihnen angesprochenen Antrag des Kollegen Wanderwitz (MdB) aktuell nicht.

Damit unsere demokratische Ordnung gestärkt und vor Verfassungsfeinden sowohl im Innern als auch von außen geschützt wird, haben wir in den vergangenen Monaten und Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen.

  • So haben wir es mit der Änderung von Artikel 21 GG ermöglicht, verfassungsfeindlichen Parteien die staatliche Finanzierung zu entziehen, selbst wenn diese nicht in der Lage sind, ihre verfassungsfeindlichen Ziele umzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Position bestätigt und entschieden, dass der NPD die staatliche Parteienfinanzierung entzogen werden kann.
  • Wichtige Positionen im Bundestag, wie etwa die der Vizepräsidenten oder der Ausschussvorsitze, dürfen nicht in die Hände von Verfassungsfeinden gelangen. Wir werden präzisieren, wie diese Positionen gewählt und gegebenenfalls auch abberufen werden können, um sicherzustellen, dass das Parlament nicht durch extremistische Akteure unterwandert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Position zur Frage der Ausschussvorsitze Ende September 2024 bestätigt. So können wir unsere parlamentarischen Gremien schützen.
  • Keine Steuergelder für verfassungsfeindliche Stiftungen: Mit dem neuen Gesetz zur Finanzierung politischer Stiftungen haben wir zudem sichergestellt, dass nur solche Stiftungen staatliche Gelder erhalten, die sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen. Rechtsextremen Think-Tanks wird damit die finanzielle Basis entzogen.
  • Wirksame Befugnisse für Behörden: Wir stellen den Rechtsstaat wehrhaft auf. Uns ist bewusst, dass insbesondere extremistische Strömungen aus den islamistischen Milieus und vor allem das rechtsextremistische Spektrum die freien und weiten Räume des Netzes gegen die Demokratie und unsere Freiheit ausnutzen. Durch gezielte wie wirksame gesetzgeberische Maßnahmen werden wir sicherstellen, dass Hass und Hetze im Netz konsequent geahndet und unterbunden werden können. Desinformation darf nicht den gesellschaftlichen Diskurs zerstören. Dazu müssen unsere Behörden schlagkräftig aufgestellt sein und mehr erforderliche Befugnisse erhalten. Der liberale Rechtsstaat ist stark, wenn seine starken Sicherheitsbehörden unsere Freiheit schützen können. Dazu werden wir auch künftig mehr Haushaltsmittel vorsehen.
  • Darüber hinaus haben wir mit der Verschärfung des Waffenrechts, der Stärkung des Disziplinarrechts oder dem Verbot rechtsextremer Strukturen z. B. auf Vereinsebene aufseiten der Exekutive ebenfalls Maßnahmen ergriffen, um unseren wehrhaften Rechtsstaat zu stärken.
  • Die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts wurden durch eine Änderung des Artikels 94 Abs. 2 im Grundgesetz abgesichert. Künftig können wichtige Grundlagen der Tätigkeit des Verfassungsgerichts nur noch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden. Diese Änderungen haben wir kurz vor dem Jahreswechsel beschlossen. Sie verhindern eine mögliche Blockade des Bundesverfassungsgerichts durch organisatorische Maßnahmen, wie sie beispielsweise in Polen durch die frühere Regierung betrieben wurden. Dort wurde unter anderem die Altersgrenze für Richter herabgesetzt, um freiwerdende Stellen mit regierungsnahen Personen zu besetzen. Zudem wurde das Gericht gezwungen, Anträge nach Eingangsdatum zu bearbeiten, was zu einer Überlastung führte.
  • Ein entscheidender Punkt ist zudem die Reform der Geschäftsordnung des Bundestages. Geplant war unter anderem, dass zukünftig Ordnungsgelder häufiger und in höherer Höhe verhängt werden, wenn es zu Fehlverhalten im Parlament kommt. Diese Sanktionen wären ein klares Signal, dass das Parlament keine Bühne für populistische Störmanöver ist. Aufgrund der notwendigen Entlassung des Bundesfinanzministers und dem damit einhergehenden Rückzug der FDP aus der Koalition ist es leider unwahrscheinlich, dass dieses Vorhaben noch in den kommenden Wochen bis zur Bundestagswahl verabschiedet wird. Ich sehe die große Verantwortung in diesem Bereich, möchte jedoch an dieser Stelle auch deutlich machen, dass es hierfür eine Zusammenarbeit aller demokratischen Fraktionen braucht.

In der Tradition unserer langen Geschichte setzen wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für eine demokratische Streitkultur, die Entkräftung von Verschwörungserzählungen und politische Bildung im Kampf gegen den Rechtsextremismus ein. Wir stellen uns konsequent gegen jede Form von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit.

Die Stärkung unserer demokratischen Gesellschaft kann jedoch nur funktionieren, wenn sich jede und jeder Einzelne dafür jeden Tag einsetzen. Zuhören, diskutieren und fremdenfeindliche Argumente konsequent zurück zuweisen kann jede Person sowohl am Arbeitsplatz, im Sportverein oder im familiären Umfeld. Die vielen Falschmeldungen, welche das rechtsextremistische Gedankengut der AfD-Anhänger:innen beschönigen und unter anderem durch die sozialen Medien verbreitet werden, müssen immer wieder entkräftet werden. Der immer größer werdende Hass, der geschürt wird, darf nicht unwidersprochen hingenommen werden. Wenn jede und jeder dazu beiträgt und wir – die Politik – unsere Hausaufgaben zukünftig noch besser erfüllen, schaffen wir es gemeinsam, dass das politische Klima positiv erhalten bleibt.

Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag ist von einer gründlichen und finalen Befassung über Anträge zu einer Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD in dieser Wahlperiode nicht mehr auszugehen. In der kommenden Wahlperiode sollte sich der nächste Deutsche Bundestag mit den neuen Erkenntnissen und Einschätzungen der zuständigen Behörden jedoch zeitnah auseinandersetzen und einen entsprechenden Antrag beraten.

Mit freundlichen Grüßen
Daniel Rinkert


 

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