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Clara Bünger
Die Linke
100 %
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Frage von Stephan L. •

Welchen Grund sehen Sie in der Frage nach den Asylverfahren außerhalb der EU-Länder gegen die frühzeitige Untersuchung des Anliegens und der Berechtigung des etwaigen Anspruches zu Prüfen?

Sehr geehrte Frau Bünger,
94% Übereinstimmung mit meinen Ansichten finde ich schon interessant, lediglich die Behandlung der Asylverfahren außerhalb der EU trennte uns von 100% und ich würde gerne Ihre Argumentation dazu erfragen.
Vielen Dank und gute Grüße,
Stephan L.

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Antwort von
Die Linke

Sehr geehrter Herr L.,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich gern ausführlich beantworte. 

Asylverfahren in Drittstaaten klingen in der Theorie manchmal gut, weil ihre Befürworter*innen zum Teil argumentieren, so könne zum Beispiel die gefährliche Flucht über das Mittelmeer vermieden werden. Allerdings zeigt die Praxis: Alle bisherigen Versuche, den Flüchtlingsschutz in Drittstaaten auszulagern, gingen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es künftig anders laufen könnte. Dazu ein paar Beispiele:

  • Verletzung des Non-Refoulement-Gebots: Häufig gibt es in den Drittstaaten entgegen anders lautenden Zusicherungen keinen effektiven Schutz für Geflüchtete. Aus der Türkei drohen etwa Kettenabschiebungen nach Syrien und Afghanistan.
  • Recht auf Freiheit: Oftmals geht die Externalisierung von Asylverfahren mit der willkürlichen Inhaftierung von Asylsuchenden im Erstaufnahmestaat und/oder im Drittstaat einher, um Überstellungen zu ermöglichen bzw. eine Weiterwanderung zu verhindern. Zusätzlich wird Zugang zu den Gerichten erschwert, was die Wahrscheinlichkeit einer rechtswidrigen Inhaftierung erhöht.
  • Verstöße gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aufgrund der Unterbringungssituation: Theoretisch sollen die Menschen in solchen Lagern nur für eine kurze Dauer festgehalten werden. In der Realität sitzen sie oftmals für lange Zeit in überfüllten und schlecht ausgestatteten Lagern fest. Die Folgen sind Selbstverletzungen von schockierendem Ausmaß, besonders Kinder werden schwer traumatisiert. 

Expert*innen betonen ferner die hohen Kosten, mit der Auslagerung von Asylverfahren verbunden sind. Als in Großbritannien noch die Verlagerung von Asylverfahren nach Ruanda geplant wurde, hat man dort für jede einzelne Überstellung 1,8 Millionen Pfund veranschlagt. Wenn diese Gelder stattdessen in die hiesige Infrastruktur fließen würden, wäre es ein Leichtes, die ankommenden Geflüchteten zu versorgen – und noch dazu dringend notwendige Investitionen zu tätigen. Es ist viel teurer, die Abschottungsmaßnahmen am Laufen zu halten, als Geflüchtete menschenwürdig aufzunehmen.

Ein weiterer Gesichtspunkt: Der Flüchtlingsschutz muss als multilaterale Aufgabe verstanden und gemeinsam bearbeitet werden, nach dem Prinzip globaler Solidarität und Verantwortungsteilung. Die EU und Deutschland haben eine besondere Verantwortung für den Flüchtlingsschutz, weil sie maßgebliche Verursacher von Fluchtursachen sind. Diese Verantwortung darf nicht auf Staaten im globalen Süden abgewälzt werden. Wenn Menschen hier Schutz suchen, müssen sie auch hier Schutz bekommen. 

Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Sichtweise verständlich machen könnte und wir nun uns auch in dieser Frage näher gekommen sind. 

Beste Grüße,

Clara Bünger

 

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