Trotz 24 Mio. gefallener Russen in WWII kann sich die Union vorstellen, daß das Taurus-Waffensystem gegen Russland Anwendung findet. Ist das konform mit dem Friedensgebot gem. des 2-plus-4-Vertrags?
Sehr geehrter Herr de Vries:
Ihr Fraktionsvorsitzender fordert, unter bestimmten Bedingungen das Taurus-Waffensystem an die Ukraine zu liefern und Russland damit zu bedrohen.
Im zweiten Weltkrieg hat die Sowjetunion mindestens 24 Millionen sowjetische Bürger verloren und damit die höchsten Verluste weltweit verzeichnet (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1055110/umfrage/zahl-der-toten-nach-staaten-im-zweiten-weltkrieg/).
Wir haben just die Wiedervereinigung Deutschlands gefeiert, die nur dank eines versöhnlichen Akts Russlands möglich wurde.
In dem Zuge interessiert mich: Welche Sicherheitsgarantien hat man seinerzeit Russland als Gegenleistung für die Wiedervereinigung mit Bezug zur Nato gegeben? Wurden diese (z. B. durch die Nato-Osterweiterung) verletzt? Wie ist die Lieferung des Taurus-Waffensystems unter Anwendung von Artikel 2 des 2-plus-4-Vertrages zu bewerten, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen soll?
MfG N. R.+++
Sehr geehrter Herr R.,
haben Sie vielen Dank für ihre Anfrage zum Taurus-Waffensystem.
Seit beinahe drei Jahren wütet der russische Angriffskrieg nun gegen die Ukraine. Wir wollen, dass das Töten endet. Damit dieser Krieg vorbeigeht, müssen wir die Ukraine bei ihrer Verteidigung auch weiterhin unterstützen. Frieden wird es nur durch Stärke und Abschreckung geben; Schwäche hingegen wird Russland zu weiteren militärischen Aktivitäten einladen. Die Eskalationsbereitschaft Putins hat ein ungeahntes Niveau erreicht, wie der Präsident des Bundesnachrichtendienstes in der öffentlichen Befragung durch das Parlamentarischen Kontrollgremium, dem ich angehöre, kürzlich erklärt hat. Sowohl die immense Mobilisierung zusätzlicher Soldaten als auch die Umstellung der Industrie auf Kriegswirtschaft sind ein deutliches Signal dafür, dass Russlands kriegerischer Expansionshunger mit der Ukraine längst nicht gestillt ist. Somit geht es in der Ukraine um nicht mehr und nicht weniger als um die Freiheit und Sicherheit Europas. Hier entscheidet sich, ob in Europa künftig das Recht des Stärkeren oder weiterhin die Stärke des Völkerrechts gilt.
In dieser Situation kommt es entscheidend auf die Geschlossenheit und die Übernahme von politischer Führungsverantwortung an. Damit die Ukraine den Krieg gewinnen kann, benötigt sie jetzt entschlossenes Handeln und die dafür notwendige Unterstützung unterhalb der Schwelle eines Kriegseintritts. Die Lieferung von TAURUS ist völkerrechtlich betrachtet eindeutig Hilfe zur Verteidigung. Und es ist militärisch wie moralisch nicht begründbar, warum es der Ukraine nicht möglich sein soll oder darf, Waffensysteme auf russischem Territorium, von denen die Ukraine angegriffen wird, auszuschalten.
Überdies rate ich, die russischen Propagandanarrative mit Blick auf die NATO-Zugehörigkeit osteuropäischer Staaten und vermeintliche Sicherheitsgarantien sich nicht zu eigen zu machen. Zum einen kann es in Zusammenhang mit der Ukraine derartige Versprechen nicht gegeben haben, weil die Sowjetunion erst Ende 1991 und damit deutlich nach der Wiedervereinigung zerfiel, zum zweiten wollten die osteuropäischen Staaten nach 40 Jahren Unfreiheit und Unterdrückung durch die Sowjetunion Mitglied der NATO werden, um ihre wiedergewonnene Freiheit durch das transatlantische Verteidigungsbündnis zu schützen und zum dritten hat es zu keinem Zeitpunkt eine militärische Bedrohung Russlands durch die NATO gegeben. Im Gegenteil, jeder militärische Konflikt wie die Besetzung Abchasiens, Nors-Ossetiens, die Krim-Annektion und der Einmarsch in den Donbass gingen immer von russischer Seite als Aggressor aus. Dennoch hat Europa mit diplomatischen Mitteln reagiert und die Antwort Putins darauf war der Angriffskrieg auf die Ukraine.
Mit freundlichem Gruß
Christoph de Vries