Was sagen Sie zur Nullzinspolitik, in deren Folge die früher auf Empfehlung der Regierung abgeschlossenen Lebensversicherungen Wert verlieren und Immobilien unerschwinglich werden?
Sehr geehrte Frau D.,
vielen Dank für Ihre Frage an mich, mit der Sie einen ganz wichtigen finanzpolitischen Aspekt ansprechen und kritisieren! Mario Draghi kündigte 2012 an, alles zu tun, um den Euro zu retten - und startete damit das Ankaufprogramm von Anleihen der EU – Krisenstaaten. Diese Maßnahme, welche seither oftmals in der Kritik stand (nicht zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht), war nur nötig, da man sich durch die 2008/09 erfolgte Absenkung des Leitzinses auf praktisch 0% die Handlungsmöglichkeit einer weiteren Leitzinsabsenkung genommen hatte. Dieses Verhalten wiederholte sich während des Beginns der Corona-Pandemie, was zeigt, dass man in der EZB nichts dazugelernt hatte.
Denn nicht erst seit 2020 fällt ein Defizit der EZB besonders auf: die fehlende Kompetenz, fiskalpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Dies wäre allerdings unbedingt notwendig, denn während in Deutschland die Nullzinspolitik zu steigenden Außenhandelsüberschüssen führt, steigen in weniger produktiven Mitgliedsstaaten die Jugendarbeitslosigkeitsraten, was wiederum dazu führt, dass deren Staatsanleihen als weniger krisenfest gelten, und daher eher von der EZB aufgekauft werden müssen. So dreht sich der Teufelskreis nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch in den Phasen der Normalwirtschaft.
Und nicht nur im Rahmen europäischer Solidarität, sondern auch im Hinblick auf die wachsende Ungleichheit in Deutschland muss die Nullzinspolitik stark kritisiert werden! Denn der Leitzins wird durch die Geschäftsbanken an die Bürger: innen durchgereicht, was eine Geldvermehrung auf den Konten der Konsument: innen unmöglich macht - das Herumspielen an den Finanzmärkten wird so fast erzwungen. Davon profitieren primär Unternehmen und Personen, die schon vor dem Andrang auf die Finanzmärkte Aktien und Anleihen hielten. Durch diese üppigen Wertsteigerungen mussten sich die Großaktionär:innen nun "diversifizieren", und in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit, primär durch die Folgen des Klimawandels, und eines neoliberal deregulierten Wohnungsmarktes bietet sich dieser Sektor Ideal als Spekulationsobjekt an. Es versteht sich dabei von selbst, dass diese Anleger:innen durch die Gewinne am Finanzmarkt Preise für Immobilien aufrufen konnten, welche unmöglich von einfachen Bürger: innen geschultert hätten werden können. Dass sich die meisten Bürger: innen dieses Landes kein Wohneigentum mehr leisten können liegt also an zwei Faktoren: 1. müssten sie bei dem riskanten Finanzcasino mitspielen, wenn sie ihr Geld vermehren wollen - davor schrecken viele (nachvollziehbarerweise) zurück. Und 2. kaufen Immobilienhaie zu überhöhten Preisen den Markt leer.
Wir fordern daher einen höheren Leitzins, sodass es wieder eine risikoarme Geldanlage für die Bürger: innen gibt, welche den Wohlstand vermehrt. Zusätzlich muss die EZB, gerade in den südlichen und östlichen Euro-Mitgliedsstaaten, eine aktive Fiskalpolitik betreiben. Der Staat muss seine Leitfunktion im Immobiliensektor wieder stärker einnehmen und durch mehr Regulierung und einem ausgeweiteten Sozialbauprogramm Wohneigentum wieder ermöglichen. Auch wollen wir die aktuellen Gewinnler stärker zur Kasse bitten, um für den Umbau des Wohnungssektors, vor allem auch im Hinblick auf den Klimaschutz, aufzukommen.
Mit besten Grüßen, Carolin Wagner