Frage an Carina Gödecke von Bernd K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Gödecke,
bitte sehen Sie mir eine Frage zu Ihrer Antwort vom 16.4. nach. Sie schreiben dort:"Nur in den wenigsten Fällen ist es nämlich möglich, eine Forderung aus dem Wahlprogramm ohne weiteres auch in ein Gesetz zu fassen. Das funktioniert in der Regel eigentlich nur bei ihrer Natur nach ganz eindeutigen Fragestellungen und darüber hinaus bei Einigkeit zwischen zwei Koalitionspartnern."
Weichen Sie hier nicht aus? Es geht ja nicht darum, eine Forderung in ein Gesetz zu fassen, sondern darum, dass Sie entgegen Ihrer Ankündigung im Wahlprogramm ein radikal verschärftes Gesetz beschließen, das weit über das hinausgeht, was die SPD im eigenen Programm fordert?
Wenn Wahlprogramme unglaubwürdig werden, verkommen dann Wahlen nicht dazu, den Parteien Blankochecks auszustellen? Was ist denn mit der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von Politik und Politikern?
Ist es nicht eine zu einfache ausrede, dem schwächeren Koalitionspartner die Schuld für das mißratene NRSG aufzuladen? das hätte die SPD, wie in Bremen doch locker verhindern können?
Sehr geehrter Herr Königs,
der Sinn von Abgeordnetenwatch besteht ja ausdrücklich darin, dass Bürgerinnen und Bürger mit Abgeordneten der unterschiedlichen Parlamente in Kontakt treten. Daher kann es nicht darum gehen, Ihnen eine Frage "nachzusehen", ganz im Gegenteil. Daher bedanke ich mich für Ihre Nachfrage, die ich gerne folgendermaßen beantworten möchte.
Es liegt in der Natur der Demokratie und ist damit selbstverständlich, dass für politische Entscheidungen immer Mehrheiten erforderlich sind. Die Zeiten von absoluten Mehrheiten sind aber weitestgehend in Deutschland vorbei. Daher müssen sich verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichen Wahlprogrammen aufeinander zubewegen, um Koalitionen - Verbindungen auf Zeit, mit dem Ziel eine Regierung zu stellen - einzugehen. Dies funktioniert in der Praxis auch nur dann, wenn sich - wie derzeit in NRW - zwei Parteien partnerschaftlich begegnen und es zwar kleinere und größere Koalitionspartner gibt, nicht aber stärkere oder schwächere.
Selbstverständlich sind Wahlprogramme wichtig und die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass die Richtung eines Wahlprogramms eingehalten wird. Und genau das ist nach meiner Überzeugung beim Nichtraucherschutz der Fall. Die SPD hat sich nämlich seit längerem durchgängig für konsequenten Nichtraucherschutz eingesetzt, übrigens auch parlamentarisch. Es gibt jetzt in NRW einen konsequenten Nichtraucherschutz, der im Ergebnis von beiden Koalitionspartnern getragen wurde. Alle Überlegungen, was wäre wenn, sind daher müßig.
Es gibt aber noch eine anderen wichtigen Aspekt, der sogar bei absoluten Mehrheiten eine Rolle spielt, und mir als Landtagspräsidentin sehr wichtig ist: das ist der Respekt vor dem parlamentarischen Verfahren. Durch die Beteiligung von Fachleuten in Anhörungen und durch die Parlamentarische Debatte wachsen die Kenntnisse über die Notwendigkeit und richtige Ausgestaltung einer Regelung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens. Dies galt besonders beim Nichtraucherschutz, bei dem es eine vielbeachtete Anhörung gegeben hat und auch eine bemerkenswerte Parlamentsdebatte in der abschließenden 2. Lesung. Sie können den Verlauf der Debatte und die zentralen Argumente im Protokoll der Plenarsitzung nachlesen: http://landtag/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMP16%2F15|1022|1039&Id=MMP16%2F15|1067|1083.
Ich glaube die Lektüre der Debatte und ganz besonders die der Erklärung zur Abstimmung einiger kritischer SPD Abgeordneten machen deutlich, wie verantwortlich um die Fragen gerungen wurde, an dessen Ende das Votum für die jetzige Regelung stand.
Selbst im unwahrscheinlichen Fall einer absoluten Mehrheit erwarte ich als Parlamentarierin, dass Wahlprogramme der Ausgangspunkt einer Entscheidung sind, aber dass gleichzeitig die Offenheit besteht, neue Erkenntnisse aus Beratungen und Anhörungen in eine Lösung einzubeziehen. Damit wird Politik keinesfalls unglaubwürdig, wie Sie meinten, meiner Antwort entnehmen zu können.
Im Übrigen erhalte ich zum Nichtraucherschuttgesetz, ebenso wie viele andere Abgeordnete, gegenwärtig wieder eine ganze Reihe von Zuschriften und Reaktionen, die durch die erneuten plenaren Debatten, die zum Nichtraucherschutzgesetz geführt wurden, die kürzlich erfolgten Demonstrationen, oder durch die medial diskutierte Kritik am Nichtraucherschutzgesetz, ausgelöst wurden. In den meisten dieser Reaktionen wird aber nicht von einem missratenen, sondern von einem konsequenten Gesetz zum Schutz der Nichtraucher gesprochen, dass es zu erhalten gilt.
Das Thema Nichtraucherschutz generell und das nordrhein-westfälische Gesetz im Speziellen werden in der Bevölkerung nach wie vor sehr kontrovers und zum Teil sogar emotional polarisierend diskutiert und beurteilt. Ich glaube, dass das auch noch länger so bleiben wird. Genauso glaube ich, dass man sich im kommenden Jahr die Auswirkungen des Gesetzes sehr sorgsam anschauen muss.
Nochmals vielen Dank und herzliche Grüße
Carina Gödecke