Frage an Carina Gödecke von Horst S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Gödecke,
in einem Beitrag der WN vom 26.3.13 rufen Sie zum Kampf gegen den Rechtsextremismus auf und damit sind Sie nicht allein. Jeder, der sich als Demokrat versteht, wird Ihnen beipflichten. Recht haben Sie, wenn Sie sagen: “Die Weimarer Republik ist nicht daran gescheitert, weil sie zu starke Feinde hatte“, sondern, „Vielmehr ist sie gescheitert, weil sie von zu wenigen Demokraten verteidigt worden ist.“ Aber, beobachten wir doch einmal das Verhalten der heute in den Landtagen und auch im Bundestag vertretenen Parlamentarier. Sind sie wirklich noch die vom Wähler getragenen Volksvertreter. Sind sie nicht längst im Klammergriff von Klientelinteressen und Fraktionszwang zum ohnmächtigen Stimmvieh mutiert? Das jedenfalls beschreibt einer ihrer Kollegen, der SPD Abgeordnete, Marco Bülow, in seinem Buch „Wir Abnicker“. Ist die Parteikarriere nicht auch ein bestimmendes Elemment für diszipliniertes Abstimmungs-verhalten?
Ein Beispiel: Ihre Regierungskoalition hat geschlossen für ein Gesetzesvorhaben gestimmt. Es gab keinen Abweichler und keine Stimmenthaltung. Solche Ergebnisse machen nachdenklich und können zu Politikverdrossenheit führen. Zitat einer Politikerin der SPD: „ Wir machen Politik, die wir inhaltlich für richtig und wichtig halten. Das versprechen wir vor der Wahl und halten es nach der Wahl - sowohl bei der Dichtheitsprüfung wie auch bei anderen Themen.“ „Die Betonung liegt bei wir, wichtig und richtig und so ist es auch verstanden worden. Frau Kraft tat das auch, sie versprach – aber mehr ließ der Koalitionspartner nicht zu. Der nicht ernst zunehmende Hinweis einiger SPD Politiker, „wir lassen uns vor keinen Karren spannen“, hat was. Offensichtlich haben diese Leute noch nicht bemerkt, von wem sie tatsächlich vor den Karren gespannt worden sind.
Frau Carina Gödecke, ist nicht auch eine Parteiendiktatur der Anfang vom Ende einer gelebten Demokratie?
In Erwartung Ihrer Antwort verbleibt m. fr. Gruß
Horst Sellge
Sehr geehrter Herr Sellge,
vielen Dank für Ihre Ausführungen und Ihre Frage, die mich über Abgeordnetenwatch erreicht hat. Die Berichterstattung in den Westfälischen Nachrichten bezieht sich auf meine kurze Ansprache vor dem Landesparlament anlässlich des achtzigjährigen Jahrestags des Ermächtigungsgesetzes. Im Protokoll des Landtages können Sie den kompletten Wortlaut nachlesen.
Ihre Ausführungen zum Abstimmungsverhalten der heutigen Parlamentarier, das Ihrer Meinung nach aufgrund der Geschlossenheit nach Außen vielleicht auch zur Entstehung von Politikverdrossenheit beitragen könnte, teile ich so nicht. Und als Stimmvieh erlebe ich weder meine Kollegen und Kolleginnen, übrigens völlig unabhängig von der Parteizugehörigkeit, noch würde ich eine solche Beschreibung für mich selbst gelten lassen.
Innerhalb der Fraktionen wird durchaus sehr intensiv, häufig auch sehr kontrovers diskutiert, und um eine gemeinsame Position gerungen. Wenn dann in einem innerparteilichen bzw. innerfraktionellen Willensbildungsprozess eine Mehrheitsmeinung gefunden wurde, kann man als Fraktion durchaus erwarten, dass diese Meinung dann auch geschlossen nach Außen vertreten wird. Eine der Hauptaufgaben der Fraktionen besteht nämlich gerade darin, die Meinungen und Positionen zu koordinieren und so dem einzelnen Abgeordneten bei der Aufgabewahrnehmung zur Seite zu stehen. Unter anderem findet man die Beschreibung der Aufgaben von Fraktionen im nordrhein-westfälischen Fraktionsgesetz. Der verfassungsrechtlich geschützte und definierte Status der Abgeordneten kann zwar immer wieder einmal in einem Spannungsverhältnis zu den koordinierenden Funktionen der Fraktion stehen, daraus lässt sich aber keinesfalls ein grundsätzlicher Widerspruch konstruieren oder begründen.
Das geschlossene Auftreten von Fraktionen, gerade bei abschließenden Abstimmungen in Gesetzgebungsverfahren innerhalb des Landesparlamentes, kann man nicht mit dem Begriff der „Parteiendiktatur“ beschreiben. Diesen von Ihnen gezogen Schluss teile ich nicht. Ich halte ihn sogar für falsch und in gewisser Weise für gefährlich.
Im Landtag von NRW kann man täglich beobachten, wie gelebte Demokratie funktioniert und welch hohe Bedeutung gerade die verbrieften Minderheitsrechte haben. Minderheitsrechte sind die Garanten für demokratische Verfahren und Abläufe und verhindern, dass die Demokratie durch ihre eigenen Instrumente ausgehebelt werden kann.
Weil Demokratie aber nicht von alleine kommt, nicht selbstverständlich ist und bewahrt werden muss – wie die Geschichte unseres Landes zeigt - ist es mir wichtig, dass wir den Parlamentarismus weiterentwickeln, unsere Arbeit als gewählte Abgeordnete noch transparenter machen, Instrumente, Abläufe und Regeln des parlamentarischen Prozesses erläutern, und dass wir Bürgerinnen und Bürger nicht nur informieren sondern stärker einbeziehen. Dazu benötigen wir auch starke, selbstbewusste Parteien, die von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert werden.
Mit freundlichen Grüßen
Carina Gödecke