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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Manfred E. •

Frage an Bettina Hagedorn von Manfred E. bezüglich Humanitäre Hilfe

Hallo Frau Hagedorn!

Ich hoffe, sie kommen gut durch die Krise und bleiben gesund.

Meine Frau und ich haben uns Gedanken über die unbegleiteten Flüchtlingskinder gemacht. Abgesehen davon, dass viel zu wenige aus diesen Lagern befreit werden, würden wir gerne wissen, was mit den jungen Menschen hier in Deutschland passiert?

Dass sie in dieser Zeit erst einmal eine Karantäne durchmachen müssen ist schon klar, aber dann?
Wie ich gelesen habe, werden sie auf die Bundesländer verteilt, Sachsen-Anhalt will ein Kind aufnehmen, wie sieht das in Schleswig-Holstein aus?
Kommen die Kinder in deutsche Familien oder werden sie auch nur in Heime gesteckt? Können auch Familien aus deren Heimatland diese Kinder aufnehmen, die auch ihre Sprache sprechen?
Welche Voraussetzungen müsste eine solche Familie erfüllen?
Bekommen diese Familien und Kinder eine Betreuung und Hilfe bei der Eingliederung?
Welches Amt wäre hier in S-H dafür zuständig?

Liebe Grüße
Manfred Ehmke

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Ehmke,

ich freue mich, dass Sie mir innerhalb von nur acht Wochen nun bereits das 3. Mal schreiben – zuvor am 10. März und am 18. Februar 2020 zu „Forschungsausgaben zum Klimaschutz und zur Energiewende“ und der dazugehörigen Stellungnahme von „scientists4future“, die ich beide innerhalb von zwei bis sechs Tagen ausführlich beantwortet und Ihre unzutreffende Behauptung auf etwaige Mittelkürzungen für den Klimaschutz im Bundeshaushalt 2020 aufklären konnte. Da Sie mich nun erstmals zu einer anderen Thematik befragen, antworte ich Ihnen natürlich wieder gern.

Vorweg: Die Aufnahme unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge hat in Deutschland – und speziell in Ostholstein – bereits eine über 10jährige „Tradition“, wodurch bei uns in Ostholstein in professioneller Trägerschaft mit erfahrenen Fachleuten ein hervorragendes Netzwerk speziell für diese unbegleiteten Minderjährigen zum Schutz und zur erfolgreichen Integration aufgebaut werden konnte. Aufgrund der Tatsache, dass die Autobahn auf ihrem Weg durch Ostholstein als „Schleuserroute“ zur Grenze nach Dänemark, Schweden oder Norwegen bereits seit über einem Jahrzehnt stark frequentiert wurde, ist diese Hauptverkehrsroute im Norden ebenso lange besonders im Fokus von Bundespolizei und Zoll und hat stets zu überproportional vielen Aufgriffen von Flüchtlingen – darunter immer viele Minderjährige – geführt, die dann stets in Ostholstein betreut werden mussten. Diese Aufgabe hat in Ostholstein der Kinderschutzbund übernommen, von dessen großartiger Arbeit mit den Geflüchteten ich mich persönlich bereits am 15. September 2011 in einer Wohngruppe in Eutin und am 06. August 2013 (gemeinsam mit der späteren Staatsministerin für Integration der Bundesregierung Aydan Özoğuz) in Malente (dem damaligen Standort der Wohngruppen) überzeugen konnte. Ich bin überrascht, dass Ihnen als Eutiner Bürger diese großartige Integrationsarbeit mit minderjährigen Flüchtlingen in Ihrer unmittelbaren Nähe bisher offenbar verborgen geblieben ist, denn mich macht es stolz, dass unsere Region seit so vielen Jahren von der professionellen und engagierten Arbeit des Kinderschutzbundes profitiert (Artikel zu meinen Besuchen der Wohngruppen finden Sie noch heute im Archiv meiner Homepage).
Der Kinderschutzbund betreut – vorzugsweise in Wohngruppen - mit speziell ausgebildetem Fachpersonal aus Sozialpädagogen, Psychologen, Sprachmittlern und Lehrkräften die jungen Menschen, die in der Regel nicht nur kein Wort Deutsch können, sondern auch häufig – zum Teil schwer – traumatisiert sind. Für deren Betreuung braucht es – im Gegensatz zu Ihrer Annahme einer familiären Unterbringung – definitiv geschultes Personal. Auch die Gemeinschaft mit anderen Geflüchteten ist einerseits zwar für das Betreuer-Team eine Herausforderung, hat sich aber andererseits auch als sehr stabilisierend für die jungen Menschen erwiesen. In Ihrer Nachbarschaft in Lensahn betreibt der Kinderschutzbund Ostholstein u.a. heute drei solcher Wohngruppen sowie eine stationäre Einrichtung mit großem Erfolg. Dort wird dabei das System In-und-aufeinander aufbauender Strukturen praktiziert: zuerst eine vollstationäre Unterbringung und dann eine teilstationäre Einrichtung mit einem begleiteten Übergang in den eigenen Wohnraum. Der Hauptfokus der Arbeit des Kinderschutzbundes liegt darauf, dass sich die Betreuten mit der entsprechenden Unterstützung die deutsche Sprache aneignen, einen Schulabschluss erwerben, Praktika absolvieren, um eine Lehre erfolgreich zu beginnen und über eine so gelingende Integration ihre Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhöhen. Insgesamt werden im Schnitt 25 Kinder und Jugendliche in Ostholstein in diesen Einrichtungen betreut. Weiterhin gibt es in Eutin-Pulverbeck, auf dem Gelände der BQOH gGmbH, eine lerntherapeutische Betreuung, wo Flüchtlingskinder auf den Besuch einer Regelschule oder einen Schulabschluss vorbereitet werden.
Sie sehen: Ostholstein ist mit dem Kinderschutzbund für die Aufnahme von Flüchtlingskindern optimal und professionell vorbereitet. Wenn Sie und Ihre Frau diese Arbeit gerne unterstützen möchten, dann werden Sie dort sicherlich offene Türen finden.

Die Flüchtlingslager in Südeuropa und speziell auf Lesbos sind schon seit langem vollkommen überfüllt und die humanitäre Situation dort ist – gerade für Familien mit Kindern – absolut inakzeptabel. SPD-Bundestagskollegen von mir sind dort gewesen, haben von den furchtbaren Zuständen berichtet, und wir Sozialdemokraten haben immer wieder unseren Koalitionspartner (im Kabinett ist Innenminister Horst Seehofer zuständig) gedrängt, hier – auch auf europäischer Ebene – endlich aktiv zu werden. Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil beispielsweise oder die Parteivorsitzende Saskia Esken mahnten den Bundesinnenminister Horst Seehofer öffentlich und erzeugten „Druck“ im Sinne der vielen Bundesländer und Kommunen, die als Teil der Initiative „Seebrücke“ zusätzlich Geflüchtete aufnehmen wollten. Der CSU-Innenminister muss nämlich zustimmen, wenn Deutschland Geflüchtete von der griechischen Grenze, unter anderem von der Insel Lesbos, aufnehmen will – doch dieser verweigerte sich lange.

Am 08. April 2020 gelang endlich im Bundeskabinett „ein kleiner Durchbruch“: Horst Seehofer stimmte der Aufnahme von 50 minderjährigen Flüchtlingen als „erstem Schritt“ zu. Diese sollen voraussichtlich am 18. April eingeflogen werden und anschließend für zwei Wochen in Corona-Quarantäne nach Niedersachsen kommen. Anschließend werden sie auf mehrere Bundesländer verteilt. Damit sind Deutschland und Luxemburg die einzigen EU-Länder, die sich derzeit zur Aufnahme weiterer Geflüchteter bereit erklärt haben. Mit Blick auf die prekäre Situation an der EU-Außengrenze kündigte SPD-Außenminister Heiko Maas weiterhin an, dass Deutschland in den kommenden Wochen weitere unbegleitete Minderjährige aufnehmen werde – insgesamt 350 bis 500 Menschen. Ursprünglich hatten sich zehn EU-Staaten zur Aufnahme bereit erklärt: neben Deutschland noch Frankreich, Luxemburg, Portugal, Irland, Finnland, Kroatien, Litauen, Belgien und Bulgarien - doch die weltweite Corona-Krise „bremste“ diese Bestrebungen in vielen Ländern vollkommen aus.

Derzeit werden in Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Bundes- und Landesbehörden die Voraussetzungen zur Aufnahme der minderjährigen Flüchtlinge aus Griechenland geschaffen, bevor sie auf die aufnahmebereiten Kommunen verteilt werden. Von daher muss ich Sie für die Beantwortung Ihrer noch offenen Detailfragen an den CDU-Innenminister von Schleswig-Holstein Grote verweisen, da sich die Organisation der Unterbringung in reiner Länderzuständigkeit befindet. Dort wird Ihnen sicherlich gerne weitergeholfen.

Mit freundlichen Grüßen

Bettina Hagedorn

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