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Bettina Hagedorn
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Frage von Carlos F. •

Werden Sie dem AfD-Verbotsverfahren zustimmen?

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Sehr geehrter Herr F.

Ihrer Frage vom 30. September, ob ich dem AfD-Verbotsverfahren zustimmen werde, liegt ja vermutlich der aktuell diskutierte fraktionsübergreifende Gruppenantrag für den Deutschen Bundestag meines CDU-Kollegen Marco Wanderwitz zugrunde. Ihre Frage ist darum verfrüht, weil es zunächst darum geht, ob dieser Gruppenantrag die erforderliche Anzahl an namentlich unterstützenden Bundestagsabgeordneten der verschiedenen demokratischen Parteien hat, um dort in 1. Lesung überhaupt auf die Tagesordnung zu gelangen, was dem Vernehmen nach schon jetzt gesichert ist. Ich habe den Antrag nicht unterzeichnet und ich erkläre Ihnen nachfolgend gerne, warum. 

Erst nach Sachverständigen-Anhörungen, die der 1. Lesung in der Regel folgen, und ggfs. Umformulierungen käme ein solcher Antrag dann in 2./3. Lesung zur endgültigen Abstimmung in das Parlament. Ich hoffe, dass die Beweislage durch die Verfassungsschutzämter des Bundes und der 16 Bundesländer dann ausreichend gesichert ist, dass ich einem solchen Antrag zustimmen könnte. Aktuell ist diese Beweislage allerdings nach meinem Kenntnisstand leider noch nicht fundiert genug, weshalb ich namentlich den Antrag des Kollegen Wanderwitz (noch) nicht unterstützen kann und den jetzigen Zeitpunkt für ein Verbotsverfahren gegen die AfD skeptisch sehe. Ich wäre erst dann für einen Verbotsantrag, wenn die nötigen zweifelsfreien Beweise von allen 16 Landesverfassungsämtern gemeinsam mit unserem Bundesamt für Verfassungsschutz vorgelegt werden, denn die Folge einer ansonsten möglichen Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht wäre ein politisches Desaster und darf auf gar keinen Fall unterschätzt werden. Denn es wäre eine „Steilvorlage“ für die Propaganda der AfD, die ein gescheitertes Verbotsverfahren für ihre Zwecke instrumentalisieren und sich als Opfer der „Altparteien“ und der „abgehobenen Eliten“ inszenieren würde.

Fakt ist: Eine Partei kann nur vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – und nicht vom Deutschen Bundestag (!) - verboten werden. Laut BVerfG stellt das Parteiverbot „nach Art. 21 Abs. 2 GG [..] die schärfste Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar.“ So steht es im ersten Leitsatz des Urteils des BVerfG über einen Verbotsantrag des Bundesrats für die NPD im Jahre 2017. Um eine Partei verbieten zu können, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens: die Partei vertritt eine gesichert verfassungsfeindliche Haltung. Zweitens: die Partei will diese Haltung in aktiv-kämpferischer Weise umsetzen. Drittens: es müssen konkrete und gewichtete Anhaltspunkte vorliegen, dass es möglich ist, dass das Handeln der Partei Erfolg hat. Die Hürden eines Parteiverbots sind sehr hoch – und zwar zu Recht, damit die „schärfste Waffe des demokratischen Rechtsstaats“ nicht missbraucht werden kann. Der Verbotsantrag gegen die NPD wurde abgelehnt, da die Partei zwar gegen demokratische Grundprinzipien steht und auch handelt, jedoch als zu unbedeutend erachtet wurde. Bei Landtagswahlen erreichte die Partei damals oft nicht einmal 1% der Stimmen.

Die Wahlergebnisse der AfD hingegen waren bei allen Wahlen der letzten Jahre zunehmend erschreckend hoch – lediglich in Schleswig-Holstein ist die AfD als einzigem Landtag bundesweit im Mai 2022 wieder „aus dem Landtag geflogen“, was ein großer demokratischer Erfolg für unseren Norden war. Die AfD- Wahlergebnisse im September 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben bei vielen meiner Kolleginnen und Kollegen gerade aus den östlichen Bundesländern jetzt maßgeblich zu diesem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag geführt, was ich emotional absolut nachvollziehen kann. Aber klar ist eben auch: bei einem Verbotsantrag beim Verfassungsgericht reicht es faktisch nicht, wenn – wie aktuell – in drei östlichen Bundesländern die AfD und ihre Nachwuchsorganisationen als „gesichert verfassungsfeindlich“ von den Landesverfassungsämtern eingestuft sind, weil es bei einem bundesweit geltenden Verbotsantrag sehr wohl auch um die Erkenntnisse und Einstufungen in den 13 weiteren Bundesländern geht und gehen muss. Die Landesverfassungsämter unterstehen in unserem föderalen Staat den jeweiligen Innenminister*innen der Länder, die eigene Erkenntnisse gewinnen und miteinander – und auch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz(!) - austauschen müssen. Nur auf der Grundlage dieser gemeinsamen Erkenntnisse können wir uns über den wahrscheinlichen Erfolg eines Verbotsantrages weitestgehend sicher sein. 

Ja, ich bin sicher, dass die Funktionäre der AfD in deren Bundestagsfraktion Verfassungsfeinde sind, und ich halte manche Reden, die dort am Rednerpult gehalten werden, kaum aus. Trotzdem ist es ein Fakt, dass der Schutz der Parteien als gestaltende Kräfte in der Demokratie in unserem Grundgesetz einen enorm hohen Rang genießt und dass deshalb der Schritt eines Verbotsantrags (und seiner erforderlichen Voraussetzungen für einen Erfolg!) sehr gründlich und ausgiebig geprüft werden muss. 

Wichtig ist vor allem, dass selbst ein Verbot der AfD nicht allein dafür sorgen wird, dass sich die extremistischen Gedanken, rassistischen Vorurteile und antidemokratischen Äußerungen innerhalb ihrer Wählerschaft ändern werden – nicht nur in den USA bei den Trump-Anhängern sehen wir, dass ein harter Kern von Faschisten dermaßen verblendet ist, dass sie durch Fakten und rechtsstaatliche Aufklärung weder erreicht noch überzeugt werden können. Aber es gibt auch viele „Mitläufer“ unter den Wählerinnen und Wählern der AfD, die zwar frustriert sind und sicherlich bisher die große Gefahr (auch für ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder!) von AfD-Mehrheiten komplett unterschätzt oder gar billigend „in Kauf genommen“ haben, die wir noch mit der Kraft unserer Argumentation erreichen können. DAS können Politiker*innen allerdings nicht alleine schaffen – DAS müssen wir ALLE gemeinsam im Freundes- und Familienkreis, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Verein und gerne auch am Stammtisch tun.

Mit freundlichen Grüßen 

Ihre Bettina Hagedorn

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