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Beate Müller-Gemmeke
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Matthias J. •

Wie kommen wir auf gerechtem Weg zu einer Verkleinerung des Bundestages?

Sehr geehrte Frau Müller-Gemmeke,
aktuell stehen zwei Vorschläge zur Wahlrechtsreform zur Debatte, die ich beide nicht zufriedenstellend finde. Ich denke, es ist nicht vermittelbar, dass Jemand, der die Mehrheit der Erst-Stimmen in seinem Wahlbezirk geholt hat, nicht in den Bundestag einziehen soll. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Unding, Überhang-Mandate nicht auszugleichen. Aus diesem Dilemma kommen wir nicht raus, solange wir an dem bisherigen System aus Erst- und Zweitstimme festhalten.
Was spricht eigentlich dagegen, dass die Wähler ihre ersten 5 Favoriten aus allen Kandidaten Ihres Bundeslandes wählen können (wenn sie wollen, auch quer über alle Parteien hinweg), und zwar mit Prioritäten: erster, zweiter, dritter,.... Die Listen könnten dann auf kommunaler Ebene nach der Nähe zum Wahllokal sortiert werden.
Der Vorschlag orientiert sich an den Wahlsystemen, die ich an der Hochschule und hier bei der Kommunalwahl erlebt habe, und gut befinde.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr J.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zu diesem wichtigen Thema. Sie haben vollkommen Recht, dass wir jetzt dringend die Weichen beim Wahlrecht stellen müssen, um auf gerechtem Wege tatsächlich zu einer Verkleinerung des Deutschen Bundestages kommen. Wir als Grüne haben uns immer dafür eingesetzt, eine echte Wahlrechtsreform zu verabschieden, die diesen auch Namen verdient. Das ist bisher leider nicht gelungen und das lag insbesondere an der Blockadehaltung der Regionalpartei CSU, die ihre eigenen Interessen immer über das große gesellschaftliche Ganze gestellt hat.

Wir brauchen jetzt aber endlich ein Wahlrecht, das dafür sorgt, dass der Bundestag arbeits- und handlungsfähig bleibt und seine Regelgröße von 598 Abgeordneten eben nicht mehr deutlich überschreitet. Denn es geht dabei auch um Vertrauen in Politik und in den deutschen Parlamentarismus. Mit dem Gesetzentwurf der Ampel-Koalition liegt aus meiner Sicht dafür ein guter und ausgewogener Vorschlag vor. Und ja, Sie haben Recht, dass es im Rahmen dieses Wahlrechtsentwurfes dazu kommen kann, dass gewonnene Wahlkreismandate nicht zugeteilt werden. Das ist aber bereits heute schon der Fall, wenn etwa Abgeordnete aus dem Bundestag ausscheiden. Und es gibt im Übrigen auch keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, nach dem jeder Wahlkreis eine:n Abgeordnete:n haben muss.

Ich möchte Ihnen aber für Ihren Vorschlag danken, nach dem favorisierte Kandidat:innen aus dem jeweiligen Bundesland mit Priorität gewählt werden sollen. Es ist ja aktuell schon so, dass die Parteien in den Bundesländern jeweils Listen mit ihren Kandidat:innen aufstellen, die von den Wähler:innen landesweit gewählt werden. Hinzu kommt die Erststimmenwahl in den Wahlkreisen. Nun würde Ihr Vorschlag ein System einer gewichteten Personenwahl vorsehen. Das wirft allerdings einige Fragen auf und wäre unter anderem deshalb problematisch, weil die Wähler:innen grundsätzlich ja den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben sollten. Sprich, die Parteien sollen so viele Sitze erhalten, wie sie im Verhältnis Stimmenanteile auf Bundesebene erhalten haben. Das wäre mit einer solchen gewichteten Personenwahl im jeweiligen Bundesland nicht mehr gegeben.

Wir wollen deshalb an dem System der Verhältniswahl festhalten und dieses System noch konsequenter umsetzen. Und das heißt vor allem, dass wir das Prinzip der sogenannten Hauptstimmendeckung einführen. Nach diesem Prinzip bekommt ein:e Kandidat:in mit den meisten Stimmen im Wahlkreis das Wahlkreismandat nur dann, wenn dieser Sitz dem Ergebnis der Hauptstimmen der jeweiligen Partei entspricht. Stehen einer Partei mehr Sitze zu als ihre Kandidat:innen in den Wahlkreisen die meisten Stimmen bekommen haben, werden diese verbleibenden Sitze - also wie bislang - durch die Liste besetzt. Stehen ihnen aber weniger Sitze zu, wird das Wahlkreismandat nicht zugeteilt. Und damit werden die bisherigen Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft, die verantwortlich dafür waren, dass der Bundestag immer größer wurde.

Wichtig ist, dass mit diesem Vorschlag auch künftig eine Personenwahl in den Wahlkreisen stattfindet. Die gesetzliche Regelgröße des Bundestages von 598 Abgeordneten wird beibehalten. Der Entwurf entspricht den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht und die Entwicklung dieses Entwurfes wurde von renommierten Verfassungsrechtler:innen begleitet. Wichtig an diesem Entwurf ist insbesondere, dass alle Parteien prozentual gleich viele Mandate verlieren würden. Politisch nicht vermittelbar wäre aus meiner Sicht, wenn es jetzt nicht gelingen sollte, diesen ausgewogenen Wahlrechtsentwurf mit wirklich breiter Mehrheit des Hauses zu verabschieden. Denn es ist wichtig, dass wir jetzt gemeinsam und fraktionsübergreifend eine Lösung auf den Weg bringen. Wir haben dazu die demokratische Opposition im Bundestag eingeladen, jetzt gemeinsam mit uns eine solche Reform des Wahlrechts zu beschließen.

Mit freundlichen Grüßen

Beate Müller-Gemmeke

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