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Beate Müller-Gemmeke
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Matthias J. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Matthias J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Das aktuelle Wahlrecht für den Bundestag ist deutlich suboptimal:
1. Durch den Ausgleich von Überhangmandaten könnte der Bundestag auf deutlich über 800 Abgeordnete anschwellen, wobei völlig unter den Tisch fällt, dass mindestens 50% der Abgeordneten in den jeweiligen Wahlkreisen verankert sind.
2. Jede Partei entscheidet ganz allein über die Reihenfolge der Kandidaten auf Ihrer Liste. Als Wähler habe ich keine Möglichkeit, einen favorisierten Kandidaten nach vorne zu bringen oder einen Kandidaten, der zwar in der Partei beliebt ist aber nicht beim Wahlvolk, abzustrafen. Das verletzt den Grundsatz der Ursprünglichkeit der Wahl.
3. Das Mehrheitswahlrecht ohne Stichwahl, das für die Erststimme gilt, bevorzugt die stärkste Partei, da sich die anderen gegenseitig die stimmen wegnehmen. Mathematisch ist es bei 10 Kandidaten denkbar, dass alle ungefähr 10% der Stimmen erhalten, aber einer 1 Stimme mehr. Der ist dann gewählt. Wenn man mal eine Wahlbeteiligung von 50% ansetzt (damit es sich besser rechnen lässt), kann es also passieren, dass jemand einen Wahlkreis vertritt, obwohl er bzs. sie nur etwas mehr als 5% der Wahlberechtigten vertritt. Das finde ich nicht OK.
Es gibt genügend wissenschaftliche Arbeiten von Mathematikern und Politikwissenschaftlern, die Alternativen aufgezeigt haben, die in der Anwendung einfach verständlich sind und alle denkbaren Grundsätze an eine faire Wahl erfüllen. Meistens geht es in die Richtung, dass die Wähler kumulieren und panaschieren oder eine Rangliste Ihrer Wunschkandidaten angeben können.

Ich bitte Sie um eine Stellungnahme, ob Sie sich in der nächsten Legislaturperiode um eine Reform des Wahlrechts bemühen wollen, die nicht Pfründe verwaltet, sondern objektiven Kriterien folgt.

Außerdem bitte ich Sie anzugeben, ob Sie durch die Landesliste bereits ausreichend abgesichert sind und wem ich meine Erststimme geben soll, damit möglichst viele Abgeordnete meinen Wahlkreis repräsentieren (sie hat ja ansonsten keine Bedeutung mehr).

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Junk,

vielen Dank für Ihre Fragen und die Ausführungen. Ich werde mich in der kommenden Legislaturperiode für eine Wahlrechtsreform einsetzen. Ob es dafür eine Mehrheit im kommenden Deutschen Bundestag gibt, wird die Bundestagswahl zeigen.

Wir halten die Einigung zum Wahlrecht nur für die drittbeste Lösung. Natürlich hat jedes Modell seine Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, dass der gefundene Einigungsvorschlag verfassungsfest ist und allein die Wählerinnen und Wähler mit der Zweitstimme und nicht ein manipulativer Kniff im Wahlrecht, die Stärkeverhältnisse im Deutschen Bundestag bestimmt. Die mögliche Vergrößerung muss dann in der kommenden Legislaturperiode diskutiert werden.

Wir würden beispielsweise eine Wahlkreisreform begrüßen, an deren Ende weniger Wahlkreise und folglich auch weniger Abgeordnete stehen würden. Diese haben wir bereits in dem grüne Gesetzentwurf zum Wahlrecht ( http://dserver.bundestag.btg/btd/17/046/1704694.pdf ) vorgeschlagen, mit dem wir uns aber leider nicht durchsetzen konnten. Durch unseren Vorschlag wären keine Überhang- und Ausgleichsmandate entstanden.

Ihrer Kritik, dass die Landeslisten allein von den Parteien aufgestellt werden, kann ich nicht wirklich folgen. Wie soll ein Wähler im Norden von Baden-Württemberg tatsächlich die Arbeit eines Fachpolitikers, der nicht im öffentlichen Rampenlicht steht und im Süden Baden-Württembergs unterwegs ist, beurteilen können? Wie können sich neue KandidatInnen überall in Ba-Wü bekannt machen und welche Chancen haben sie? Aus meiner Sicht hätten bekannte Gesichter, die dann auch noch aus Ballungsgebieten kommen, viel mehr Chancen. Außerdem achten wir Grünen bei Listenaufstellungen zudem auf Vielfalt bei den Themen und ebenso auf einen gewissen regionalen Proporz. Auch dies wäre nicht mehr möglich. Kurzum – ich kann mir nicht vorstellen, wie diese Ansprüche an eine ausgewogene Liste mit neuen und bekannten Gesichtern und verschiedenen Themen gehen sollte. Ihre Anregung zur Stichwahl nehme ich mit und werde sie grün-intern diskutieren.

Ich habe den Listenplatz 7. Ich habe Chancen zum zweiten Mal gewählt zu werden. Aber schlussendlich entscheidet sich dies erst am Wahlabend, denn wie die momentanen Wahlumfragen zeigen, ist bei dieser Wahl nichts sicher. Grundsätzlich denke ich, dass bei der Vergabe der Erststimmen nicht nur entscheidend ist, wie viele Abgeordnete im Wahlkreis eine Chance haben. Das würde ja bedeuten, dass ich meine Stimme unabhängig von den vertretenen Positionen vergeben würde. Warum sollte jemand einen Kandidaten wählen, der eine ganz andere Politikrichtung vertritt? Ganz konkret – ich habe in meiner ersten Legislaturperiode engagiert meine Themen vertreten und Anliegen im Wahlkreis unterstützt und deshalb werbe ich auch um die Erststimmen. Denn ein gutes Erststimmenergebnis stärkt mich in der Fraktion und ist zudem ein Zeichen der Anerkennung. Wem Sie Ihre Erststimme geben wollen, müssen Sie selbst nach Ihren Kriterien entscheiden. Nach Ihren Äußerungen zu urteilen, wissen sie ziemlich genau, wie Sie strategisch am besten wählen.

Mit freundlichen Grüßen
Beate Müller-Gemmeke

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