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Beate Müller-Gemmeke
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Frage von Wolfgang S. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Wolfgang S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Mueller-Gemmeke,

Der Bundestag wird bald über den ESM-Vertrag abstimmen. Ich bitte um kurze Beantwortung der folgenden Ja/Nein Fragen:

1.) Haben Sie den ESM-Vertrag vollständig gelesen?
2.) Glauben Sie, dass die umfassenden Vollmachten der künftigen ESM-Bank bzw. des Gouverneursrats mit Demokratie und Gewaltenteilung vereinbar sind?
3.) Werden Sie dem ESM-Vertrag zustimmen?

Mit freundlichen Gruessen

Wolfgang Schmidt

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt,

ich will ihnen möglichst knapp antworten – auch wenn „Ja“ oder „Nein“ dann doch ein wenig zu kurz ist. Eine ausführliche Position zum ESM und eine persönliche Erklärung, warum ich letztendlich zugestimmt habe, können sie auf meiner Homepage unter: http://www.mueller-gemmeke.de/uploads/media/12-06-30_ESM_Persoenliche_Erklaerung_01.pdf finden.

Zur Frage, ob ich den ESM-Vertrag gelesen habe: ja, das habe ich. Für die Prüfung des ESM-Vertrages selbst und der Begleitgesetze im Gesetzgebungspaket habe ich mir ausreichend Zeit genommen. Ich hoffe, sie haben Verständnis, dass ich Ihnen deswegen mit Zeitverzögerung antworten kann. Zum Gesetzgebungspaket gehören außer dem ESM-Ratifizierungsgesetz auch noch ein ESM-Finanzierungsgesetz, ein Zustimmungsgesetz zur Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein Gesetz zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes und ein Nachtragshaushaltsgesetz. Sie finden alle Texte unter den Drucksachennummern 17/9045 bis 17/9049 bei der Homepage des Deutschen Bundestags hinterlegt.

Ihre zweite Frage berührt den Kern meiner Überlegungen vor der Entscheidung, ob ich zustimme oder nicht. Sie fragen, ob die Befugnisse des Gouverneursrats für mich mit Demokratie und Gewaltenteilung vereinbar sind.
Der Gouverneursrat des ESM setzt sich aus den Finanzministern der Euro-Länder zusammen. Sie dürfen stellvertretend für die Staaten, die sie vertreten im Gouverneursrat Entscheidungen treffen, oder „das laufende Geschäft“ an ein Direktorium überweisen. Soweit ist diese Konstellation weder ungewöhnlich noch undemokratisch. Im bestehenden Entscheidungsmodell der Europäischen Union treffen die Minister in den jeweiligen Fachministerräten auch Entscheidungen für ihre Regierungen. Das ist gängige Praxis in dem Bereich der EU, der „intergouvernemental“, also zwischen den Regierungen ausgehandelt wird. Ich habe also im Grundsatz keine Bedenken, wenn der deutsche Finanzminister die Bundesrepublik Deutschland im Ausland vertritt. Die Bedingungen dafür müssen aber stimmen.

Voraussetzung für meine Zustimmung waren somit ausreichend garantierte Beteiligungsrechte des Bundestages. Der deutsche Finanzminister darf im ESM keine Grundsatzentscheidungen fällen, ohne dass vorher der Deutsche Bundestag dazu eine Entscheidung getroffen hat. Der Finanzminister muss also entsprechend dem Votum des Bundestages im ESM handeln. Diese notwendige Parlamentsbeteiligung konnte im Laufe des Verfahrens verhandelt werden. Jetzt ist also geklärt, dass bei einer Veränderung des Stammkapitals, bei der Veränderung des maximalen Darlehensvolumen und bei der Änderung der Finanzhilfeinstrumente die Zustimmung des Bundestages erforderlich ist und ebenso eine zweimalige Zustimmung, bevor ein Land unter den Rettungsschirm kommt. Damit ist eine Kontrolle der Mittelverwendung durch den Bundestag umfassend gewährleistet. Zudem ist nach unserer Klage ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ergangen, das umfassende Informations- und Mitwirkungsrechte auch im Rahmen des Fiskalpakts sicherstellt. In der Folge muss bei allen künftigen völkerrechtlichen Vereinbarungen und Verträgen der Bundestag frühestmöglich eingebunden werden. Aus meiner Sicht ist dies ein Sieg für die Demokratie und dies hat mir meine Zustimmung erleichtert.

Problematisch sehe ich noch immer die Rolle des Europäischen Parlaments. Die EU hat eben nicht nur intergouvernementale Elemente, sondern mit dem Europäischen Parlament auch ein echtes Instrument der Volksvertretung auf europäischer Ebene. Dem Europäischen Parlament ist im Rahmen des ESM-Vertrages jedoch keine bedeutende Rolle zugedacht. Hierin sehe ich insofern Probleme, als Europa nicht immer noch mehr von Exekutiven und Regierungen bestimmt werden sollte. Dieses Grundsatzproblem wurde bisher noch nicht ausgeräumt, und genau dies wird einer der entscheidenden Punkte sein, an dem wir weiterhin Forderungen erheben. Ganz unmittelbar auf den ESM bezogen steht dieser Aspekt aber meiner Zustimmung nicht im Weg.

Ich habe das Fazit gezogen, dass der ESM für die Zukunft des Europäischen Währungsraumes notwendig ist, die Bundesregierung sich bei den Vorschlägen auf unseren Druck hin deutlich bewegt hat und die angesprochenen Unklarheiten ausgeräumt wurden. Deswegen habe ich zugestimmt.

Es grüßt herzlich

Beate Müller-Gemmeke

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