Frage an Andrea Lindlohr von Barbara G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Liebe Frau Lindlohr,
am Fall Julian Assange spalten sich mir unverständlicherweise die demokratischen Geister. Seit 2012 ist dieser Mann, der mit ettlichen Journalisten-Preisen geehrt worden ist, seiner Freiheit beraubt, weil er 2010 u.a. schwerste Kriegsverbrechen von US-Soldaten veröffentlicht hat. Er ist immer noch der drohenden Gefahr der Auslieferung an die USA ausgesetzt, mit einer Strafandrohung von 175 Jahren. Wie stehen Sie zu diesem Fall, zu der Forderung seiner sofortigen Freilassung bzw. zum Vorschlag, dass Deutschland ihm politisches Asyl anbietet? Sehen Sie in der Verfolgung von Julian Assange einen Angriff auf die Pressefreiheit oder erachten Sie die Geheimhaltung von Staatsgeheimnissen wie Kriegsverbrechen als legitime Staatsräson? Das Thema liegt mir persönlich sehr am Herzen und ich wäre sehr dankbar für Ihre Antworten.
Viele Grüße
Barbara Griebel
Liebe Frau Griebel,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Fall Assange. Zuvorderst muss ich jedoch klarstellen, dass ich als Landtagsabgeordnete hierfür politisch keine Handhabe habe.
Die Grünen im Bundestag stellen fest, dass sich Assange seit der Aufdeckung von Kriegsverbrechen durch die USA und ihrer Partner vor über zehn Jahren sowie durch weitere Enthüllungen mächtige Regierungen zum Feind gemacht hat. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hat überzeugend dargestellt, dass die schwedische Staatsanwaltschaft über neun Jahre lang eine strafrechtliche Voruntersuchung gegen Assange auf Grundlage von Vergewaltigungsvorwürfen, für die keine Beweise bestanden, geführt hat. Assange wollte zu den Vorwürfen mehrmals unter Bedingungen, die seine Freiheit garantierten, Stellung nehmen. Dies wurde ihm durch die schwedischen Behörden verweigert. Nachdem ihm der neu gewählte ecuadorianische Präsident Moreno das diplomatische Asyl aberkannte, wurde Assange nach fast sieben Jahren Aufenthalt in der ecuadorianischen Botschaft in London im April 2019 von der britischen Polizei verhaftet und in einem 15-minütigen Schnellverfahren zu einem Jahr Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt. Die britischen Richter begründeten dieses Vorgehen damit, dass Assange mit der Inanspruchnahme des diplomatischen Asyls, das ihm Ecuador als UNO-Mitglied angeboten hat, gegen Kautionsauflagen verstoßen habe. Kurz darauf, im Mai 2019, verschärften die USA ihre Anklageschrift gegen ihn und erweiterten die Anklage um 17 auf insgesamt 18 Anklagepunkte, u. a. auch Spionage. Inzwischen sitzt Julian Assange seit beinahe zwei Jahren unter schwierigen Haftbedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein; dies verstößt aus unserer Sicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen internationale Menschenrechtskonventionen. Assanges Anwaltsteam erhob darüber hinaus Vorwürfe, wonach er in Isolationshaft gehalten und in seinem Recht, eine angemessene Verteidigung vorzubereiten, behindert wurde.
Aufgrund dieser schwerwiegenden Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.
Wie Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und andere Nichtregierungsorganisationen sehen wir die Gefahr, dass ein negativer Präzedenzfall gegen die Pressefreiheit geschaffen würde, falls Assange an die USA ausgeliefert und dort wegen Spionage verurteilt werden würde. Wir befürchten weitreichende Folgen internationalen Ausmaßes für die Meinungs- und Medienfreiheit, insbesondere für den investigativen Journalismus. Aufgrund dieser Tragweite der Anklage sehen wir alle demokratisch verfassten Staaten in der indirekten und unsere europäischen Partner Schweden und Großbritannien in der direkten Verantwortung, sich dem Schutz der Meinungs- und Medienfreiheit als hohes Gut der Menschenrechte zu verschreiben. Als politische Beobachter*innen kommen wir in diesem Zusammenhang zu der Auffassung, dass das öffentliche Informationsinteresse im Wikileaks-Fall eindeutig schwerer wiegt als die von den USA reklamierte Verletzung ihrer nationalen Sicherheit. Wir fordern die Bundesregierung auch weiterhin auf, die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte zu achten und sich diplomatisch auf oberster Ebene bei den Regierungen der USA, Großbritanniens für die Freilassung von Julian Assange einzusetzen und seine strafrechtliche Verfolgung zu beenden.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Lindlohr