Würden Sie technische Möglichkeiten unterstützen, die der Polizei bei der Arbeit / Aufklärung hilfreich sein kann?
Sehr geehrter Herr Franco,
https://web.de/magazine/regio/berlin/polizei-ueberwachungsvideos-u-bahnen-39042990
Die Aufklärungsrate schreckte Täter in den letzten Jahren nicht ab. Wären technische Möglichkeiten (Gesichtserkennung, zeitnaher Abgleich mit der Kartei, etc.) in Berlin willkommen, die die Polizei bei der Arbeit unterstützen kann oder wäre der Schutz der Privatsphäre der Täter wichtiger?
Wären Vorteile/ Benefits für den Polizeinachwuchs (Nachwuchswerbung) nicht sinnvoller als einfach nur mehr Gehalt (dadurch höhere Steuereinnahmen erforderlich)? In Bayern wird mit der Ausstattung der Ausrüstung geworben, die den (w,m,d) Beamten den Dienst erleichtert, Überstunden reduziert und Arbeitsplätze der Ausstatter/ Ausrüster (Einnahmen) sichert.
Freundliche Grüße
Sehr geehrter Herr J.,
vielen Dank für Ihre Frage in Bezug auf meine Anfrage zur Kriminalitätsentwicklung im Zusammenhang mit dem ÖPNV in Berlin. Zunächst einmal zeigen die Zahlen, dass wir eine Zunahme an Gewaltdelikten in Bus und Bahn feststellen, die auch über den Vor-Corona-Stand hinausgeht. Ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr ist auch eine Frage der Sicherheit. Ob Tag oder Nacht, ob Innenstadt oder Außenbezirk, in Bus, Bahn oder an der Haltestelle sollen sich alle sicher fühlen können. Das in die Praxis zu übersetzen ist jedoch komplex, daher braucht es eine deliktsspezifische Sicherheitsstrategie mit Blick auf den ÖPNV.
Die schwarz-rote Koalition hingegen preist die Videoüberwachung immer wieder als Allheilmittel. Die aktuellen Entwicklungen im ÖPNV zeigen deutlich, dass die Videoüberwachung weder präventiv noch repressiv eine große Wirkung entfaltet, was übrigens auch den Stand der bestehenden Studienlage widerspiegelt. In nicht einmal 2 Prozent der Fälle führte das angeforderte (!) Videomaterial zur Ermittlung von Tatverdächtigen. Bei diesen Zahlen kann wohl kaum von einem effektiven Mittel die Rede sein. Das ist zunächst einmal eine Feststellung.
Nachhaltig wird man die Sicherheit im ÖPNV nur verbessern können, wenn man Tatorte, Tatzeiten, Delikte genau analysiert. Es braucht engere Absprachen mit der BVG/Deutschen Bahn, Präsenz an den Hot-Spots und Sensibilisierung und Prävention gegen Diebstähle und sexuelle Übergriffe. Gerade der Prävention kommt eine besondere Bedeutung zu, da sind insbesondere die ÖPNV-Anbieter in der Pflicht (das kann von baulicher Gestaltung/Ausleuchtung von Bahnhöfen, Hinweisen und Hilfestellungen in Fahrzeugen, Internetpräsenzen etc. befördert werden, genauso aber auch durch verstärkte Ansprechbarkeit und Präsenz an stark frequentierten Orten). Es muss schließlich das Ziel sein, dass Straftaten gar nicht erst stattfinden.
Sie fragen mich darüber hinaus ja explizit zu meiner Position zum Einsatz von Technik in der Polizeiarbeit. Häufig wird es so dargestellt, als müsste man nur noch diese oder jene neue Technik anschaffen, dann sei der Kriminalität im Prinzip das Handwerk gelegt. Dabei bleibt der Technik-Begriff oftmals sehr diffus oder so weit ausgelegt, dass er (verfassungswidrige) Grundrechtseingriffe für alle Bürger*innen in Kauf nimmt (nicht nur für Straftäter oder Tatverdächtige). In der Umsetzung zeigt sich dann häufig, dass mehr Probleme entstehen, als gelöst werden. Daher muss man sich genau anschauen worum es geht (rechtlich, technisch und praktisch) und wie Polizeiarbeit wirklich effektiver und effizienter gemacht werden kann. Gesichtserkennung ist dabei ein klassisches Beispiel dafür, dass eine neue Technologie Probleme nicht behebt. Sie ist nicht nur ein Einfallstor für Überwachungsstaat und Social Scoring-Systeme wie in China, sie hat auch eine ungemein hohe Fehlerquote, wie wir am Beispiel des Bahnhofs Berlin-Südkreuz oder auch der Grenzüberwachung in Sachsen sehen.
Das ist selbstverständlich keine Ablehnung von sämtlichen technischen Neuerungen. Die Digitalisierung macht auch bei der Polizeiarbeit keinen Halt, daher muss man sich fragen, wo und wie dies vernünftig implementiert werden kann. So bedarf es natürlich einer schnellen Erfassung und des Abgleichs mit existierenden Datenbanken einschließlich der Verbesserung der Zusammenarbeit bei länderübergreifenden oder behördenübergreifenden Zuständigkeiten (wie z.B. Landespolizei - Bundespolizei). Ich teile auch Ihre Auffassung, dass eine gute Grundausstattung, sanierte Gebäude, moderne digitale Endgeräte (die bis heute nicht für alle Beamt*innen verfügbar sind) mit funktionalen Bearbeitungsmöglichkeiten im Einsatz relevant für die Zufriedenheit der Polizist*innen sind und dass eine Landespolizei, die dies alles bieten kann, als Arbeitgeberin attraktiver macht. Darüber hinaus können auch digitale Lagebilder o.ä. Einsatzabläufe und Koordinierungen verbessern. Über all diese Themen wird politisch leider deutlich seltener diskutiert als über Gesichtserkennung, Staatstrojaner oder Vorratsdatenspeicherung. Vielleicht hilft meine Anfrage auch dabei, die Debatte zu versachlichen.
Freundliche Grüße
Vasili Franco