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Frage von Paul H. •

Frage an Ute Granold von Paul H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Hallo Frau Granold,

was haben wir überhaupt in Afghanistan zu suchen?

Sind Sie wirklich der Meinung, dass die Sicherheit der Bundesrepublik dort verteidigt wird?

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Herr,

vielen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch, in der Sie mich um eine Begründung des deutschen Engagements in Afghanistan bitten.

Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit einer Fortsetzung des deutschen Afghanistaneinsatzes in Ihrem Antragstext (Drucksache 16/10473) begründet. Der Deutsche Bundestag hat auf dieser Grundlage in der vergangenen Woche in einer namentlichen Abstimmung einer Mandatsverlängerung um 14 Monate mit großer Mehrheit (Ja-Stimmen: 442 / Nein-Stimmen: 96 / Enthaltungen: 32) zugestimmt. Ich habe dabei ebenfalls mit "Ja" gestimmt.

Es ist die Aufgabe der Politik, den Bürgerinnen und Bürgern den Sinn des deutschen Afghanistan-Engagements zu vermitteln und für die Unterstützung dieses gefährlichen -- aber notwendigen -- Einsatzes unserer Bundeswehr zu werben. Daher habe ich Ihnen im Folgenden die Passage aus dem Antrag der Bundesregierung angefügt, in der diese Pro-Argumente schlüssig zusammengefasst sind:

Der NATO-Gipfel in Bukarest und die Pariser Afghanistankonferenz haben 2008 wichtige Wegmarken für das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan gesetzt. Dieses Engagement und -- darin eingebettet -- der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland ruhen dabei unverändert auf der Entschlossenheit, Afghanistan in einem schwierigen regionalen Umfeld zu stabilisieren und aufzubauen. Ziel dieses Prozesses ist eine staatliche Ordnung in Afghanistan, welche die fundamentalen Voraussetzungen politischer Legitimität erfüllt und über ausreichend effektive Sicherheits- und Justizorgane verfügt, um sich selbst gegen die verbleibenden Gefahren militanter Oppositioneller, der organisierten Kriminalität und des Terrorismus zur Wehr setzen zu können. Afghanistan darf nicht erneut zum Rückzugs- und Regenerationsraum des internationalen Terrorismus werden.

Schwerpunkt des deutschen Engagements bleibt der zivile Wiederaufbau Afghanistans. Die Bundesregierung setzt sich hier für den Aufbau staatlicher Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte sowie die Verbesserung der Lebensbedingungen in Afghanistan ein. Hierfür wurden die Mittel im Jahr 2008 um 70 Mio. Euro auf nunmehr 170,7 Mio. Euro angehoben.

Die Entwicklung in Afghanistan ergibt weiterhin ein gemischtes Bild. Positiv hervorzuheben ist die zunehmende Fähigkeit der afghanischen Regierung, Verantwortung für den Wiederaufbau und die Sicherheit Afghanistans zu übernehmen. Ausdruck dessen ist zum einen insbesondere die Fertigstellung der auf fünf Jahre ausgelegten Nationalen Entwicklungsstrategie (ANDS, Afghanistan Na- tional Development Strategy), die auf der Konferenz in Paris Anerkennung und Zustimmung gefunden hat. Befördert wird die wachsende afghanische Eigenverantwortung auch durch den allmählich spürbaren Aufbau von Institutionen und Fachkräften: Dies belegen nicht nur Erfolge im Bildungssektor (fast 75 Prozent aller Jungen und 35 Prozent aller Mädchen sind mittlerweile eingeschult) und im Gesundheitsbereich (85 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Basisversorgung).

Auch die staatlichen afghanischen Institutionen befinden sich nach ihrem erfolgreichen Aufbau in einer Phase der Konsolidierung. Das Parlament bildet zunehmend ein Forum für die Austragung politischer Debatten. Eine wichtige Wegmarke für die Verfestigung demokratischer politischer Strukturen werden die für 2009/2010 vorgesehenen Präsidentschaftswahlen (2009) und Parlamentswahlen (2010) sein.

Zum anderen zeigt die Übernahme der Sicherheitsverantwortung für das Stadtgebiet von Kabul durch afghanische Sicherheitskräfte Ende August 2008, dass auch im Sicherheitsbereich Fortschritte erzielt werden.

Trotz dieser ermutigenden Zeichen gibt es Defizite sowohl beim staatlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau als auch bei der Sicherheitslage. Letztere bleibt weiterhin angespannt. Dies betrifft in erster Linie den Süden und Osten des Landes, auf den sich mehr als 90 Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle konzentrieren, aber auch Teile des Nordens. Die internationale Militärpräsenz und die afghanischen Sicherheitskräfte sind jedoch weiterhin in der Lage, ein flächendeckend koordiniertes Vorgehen der regierungsfeindlichen Kräfte zu unterbinden. Die regierungsfeindlichen Kräfte haben sich die Vertreibung der internationalen Truppen aus Afghanistan und die Beseitigung der gewählten Regierung zum Ziel gesetzt; sie meiden aber in der Regel im Bewusstsein ihrer Unterlegenheit die offene Konfrontation. Ihrer Strategie liegt vielmehr ein asymmetrischer Ansatz zugrunde, der auf eine Zermürbung und Einschüchterung der Bevölkerung und der in den Provinzen tätigen afghanischen Staats- bediensteten abzielt. Sie wenden sich darum gegen Zivilisten, töten Regierungsvertreter und regierungstreue Persönlichkeiten und verüben Bomben- und Brandanschläge. Ziel dieser Strategie ist es, die afghanische Regierung zu destabilisieren, die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft zu schwächen sowie die Bevölkerung zu verunsichern und einzuschüchtern. Afghanistan ist angesichts der Bedrohung durch militante regierungsfeindliche Kräfte und die organisierte Kriminalität, einschließlich Drogenkriminalität, weiterhin auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen, um die für den Wiederaufbau erforderliche Sicherheit zu gewährleisten.

Der ISAF-Einsatz hat gemäß der Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 22. September 2008 unverändert zum Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Unter dem ISAF-Mandat der Vereinten Nationen werden derzeit ca. 50 000 Soldaten geführt.

In dieses Engagement bettet sich der deutsche militärische Beitrag ein. Er wird auch weiterhin auf die Aufgaben in den Schwerpunktbereichen Norden und Kabul zugeschnitten sein. Für die Nordregion hat Deutschland durch die Führung des Regionalkommandos Nord in Mazar-e Sharif die Verantwortung übernommen und erbringt dort maßgebliche Unterstützungsleistungen in den Bereichen Führung und Führungsunterstützung, Lufttransport, Sanitätsdienst, Logistik sowie Aufklärung für die dort eingesetzten Kontingente von insgesamt 14 ISAF-Nationen. Seit dem 1. Juli 2008 stellt Deutschland zudem die schnelle Eingreifreserve des Regionalkommandos Nord. In der Nordregion arbeiten derzeit fünf von insgesamt 26 Regionalen Wiederaufbauteams ("Provincial Reconstruction Teams", PRTs) in ganz Afghanistan. Deutschland leitet hiervon die PRTs in Kunduz und Feyzabad. Zur Ausfächerung der Präsenz in der Fläche wurde am 23. Februar 2008 zudem ein unter deutscher Führung stehendes zivil- militärisches Regionales Beraterteam ("Provincial Advisory Team", PAT) in Taloqan eingerichtet.

Die Personalobergrenze für den deutschen ISAF-Beitrag soll auf 4 500 Soldatinnen und Soldaten erhöht werden. Dies ist erforderlich, um im Hinblick auf zusätzlich übernommene Aufgaben -- in erster Linie Ausbildungsunterstützung für die afghanische Armee -- und bei Bedarf Übernahme von Aufgaben unserer Alliierten im Norden die erforderliche Flexibilität zu behalten, um auf Entwicklungen der Sicherheitslage reagieren und die Präsidentschaftswahlen 2009 durch zusätzliche Kräfte absichern zu können.

Die Luftaufklärung durch die Tornados ist für den Erfolg der ISAF-Gesamtoperation weiterhin erforderlich und dient dem Schutz der ISAF-Soldaten in ganz Afghanistan und damit auch direkt dem Schutz der deutschen Soldaten, aber auch der im Lande eingesetzten zivilen Helfer und der afghanischen Bevölkerung. Die Aufklärungsflugzeuge werden aufgrund ihres Auftrages und ihrer Ausstattung für Aufklärungszwecke eingesetzt. Sie werden nicht zur Luftnahunterstützung ("Close Air Support") herangezogen. Der Einsatz der Tornados wird von ISAF als qualitativ hochwertiger Beitrag gewürdigt, der auch einem angemessenen und verhältnismäßigen Einsatz der militärischen Mittel dient.

Durch den Einsatz der C-160 MEDEVAC mit ihrer intensiv-medizinischen Ausstattung beim landesweiten Transport von Verletzten, Erkrankten und Verwundeten über größere Distanzen in Afghanistan wird ein wertvoller Beitrag geleistet, der durch keinen anderen Partner bei ISAF in dieser Form geleistet werden kann.

Der erfolgreiche Aufbau der afghanischen Sicherheitsorgane ist die wesentliche Voraussetzung für den Abzug der internationalen Truppen. Der NATO-Gipfel in Bukarest (2. bis 4. April 2008) bekannte sich in einem umfassenden politisch- militärischen Plan neben einem langfristigen Engagement und einer verbesserten Vernetzung und Koordinierung, zur verstärkten Ausbildung der afghanischen Nationalarmee (ANA) und zur schrittweisen Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände. Die afghanische Regierung ist ihrerseits zur schrittweisen "Afghanisierung" des Sicherheitssektors bereit. Afghanische Sicherheitskräfte nehmen inzwischen erfolgreich an der überwiegenden Zahl gemeinsamer Operationen mit ISAF teil, zunehmend in vorderer Linie. Die Bundesregierung misst dem Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte eine besondere Bedeutung zu. Die ANA nähert sich mit ca. 60 000 verfügbaren Soldaten mittlerweile ihrer bisher geplanten Sollstärke von 80 000 Soldaten an. Vor dem Hintergrund der jüngst durch die afghanische Regierung in Abstimmung mit der internationalen Gemeinschaft erfolgten Neufestlegung der Sollstärke der ANA auf 122 000 Soldaten gilt es, Ausbildung und Ausrüstung weiter zu verbessern, um die Einsatzbereitschaft zu stärken und die afghanische Armee noch umfassender zur eigenständigen Aufgabenwahrnehmung zu befähigen.

Deutschland engagiert sich hier durch sogenannte Operational Mentoring and Liaison Teams (OMLT), welche ANA-Einheiten bei Ausbildung und Einsatz unterstützen, durch den Aufbau von Ausbildungseinrichtungen sowie durch Ausbildungsmaßnahmen für afghanische Offiziere in Deutschland. Zurzeit sind vier OMLT im Einsatz, die Zahl soll, abhängig von der Aufstellung entsprechen- der ANA-Einheiten, auf sieben aufwachsen. Auch der Aufbau der nationalen Polizei (ANP), bei welchem sich Deutschland sowohl im Rahmen der EU-Mission EUPOL als auch bilateral durch deutsche Polizisten und Feldjäger beteiligt, macht Fortschritte.

Die Bundesregierung ist bereit, der Bitte der afghanischen Regierung und der Vereinten Nationen zu entsprechen und im Rahmen der internationalen Gemeinschaft und der NATO ihren substanziellen Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans fortzusetzen, um so zu einer dauerhaften Stabilität in einer kritischen Region der Welt beizutragen und eine friedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung Afghanistans zu ermöglichen. Dies geschieht neben dem militärischen Beitrag auch durch eine substanzielle Erhöhung des Beitrags zum zivilen Wiederaufbau um 70 Mio. Euro auf rund 170,7 Mio. Euro in 2008. Das vorliegende Mandat soll um 14 Monate verlängert werden, um dem 2009 neu zu wählenden Bundestag die Möglichkeit für die Entscheidung über eine erneute Verlängerung zu geben./

Mit freundlichen Grüßen
Ute Granold