Frage an Ute Granold von Sigrid S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Granold,
der Innenminister ist für eine Beschränkung des Zuzuges von Armutsasylanten.
Wie stehen Sie dazu? Falls es im Bundestag zu einer Entscheidung kommt, wie werden Sie sich entscheiden?
Wie aus Berichten in der Presse, z.B. Die Welt, taz oder Spiegel online sowie aus dem Fernsehen bei Panorama zu entnehmen ist, werden diese "Flüchtlinge" zu einem massiven Problem in unseren Großstädten Was werden Sie dagegen tun?
Warum gibt es in Deutschland nicht die Möglichkeit Probleme per Volksentscheid zu lösen, wie z.B. in der Schweiz?
Dort haben Bürger entschieden und zwar deutlich. Hat unsere Regierung Angst vor der Volksmeinung? Mit Spannung warte ich auf Ihre Antwort. Ihren Kollegen der anderen Parteien habe ich diesbezüglich auch geschrieben. Auch deren Meinung interessiert mich brennend.
Mit freundlichen Grüßen Sigrid Schmitt
Sehr geehrte Frau Schmitt,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 09.06.2013, in der Sie mich über Abgeordnetenwatch gebeten haben, Ihnen meine Positionen in den Fragen nach einer Zuzugsbeschränkung für so genannte „Armutseinwanderer“ und der Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene zu erläutern.
In Europa ist seit der jüngsten EU-Osterweiterung ein großes soziales Gefälle zu beobachten. Hintergrund der von Ihnen angesprochenen Debatte um Armutseinwanderung sind zunehmende Klagen deutscher Kommunen über eine wachsende Zahl von Einwanderern aus Rumänien und Bulgarien. So hat der Deutsche Städtetag jüngst vor einer Gefährdung des sozialen Friedens in den Städten gewarnt. Der Vorwurf lautet, dass EU-Bürger aus den genannten Staaten die Freizügigkeit der Union ausnutzen, um in einem anderen Mitgliedsland Sozialleistungen zu beantragen.
Diese Frage ist nach meiner Auffassung nur auf europäischer Ebene zu lösen. Innenminister Friedrich hat bereits unter seinen europäischen Kollegen für eine gemeinsame Haltung geworben. Letztendlich kann das Problem nur in den Herkunftsländern bewältigt werden, in dem man die Ursachen anpackt. Bislang hat die Mitgliedschaft in der EU bei allen neuen Mitgliedern mittelfristig einen wirtschaftlichen Wachstumsschub ausgelöst. Diesen Prozess gilt es, in Rumänien und Bulgarien zu beschleunigen. Je schneller die Menschen dort für sich berufliche Perspektiven in ihren Heimatländern sehen, um so eher wird sich das Problem der Armutseinwanderer in den wohlhabenderen Regionen der EU relativieren.
Was Ihre zweite Frage betrifft: Lassen Sie mich Ihnen erläutern, wo ich die Grenzen und Risiken einer Einführung von Elementen direkter Demokratie auf Bundesebene sehe.
Als das Grundgesetz erarbeitet wurde, verzichteten die Mütter und Väter unserer Verfassung vor dem Hintergrund der Erfahrungen vom Ende der Weimarer Republik ganz bewusst auf Instrumente der direkten Demokratie. Nach sechzig Jahren Demokratie in Deutschland ist diese Skepsis heute zurecht überwunden. Regelmäßig stimmen die Bundesbürger weit verantwortungsvoller ab, als es ihnen die Demoskopen zutrauen.
Das Problem besteht nach meiner Auffassung darin, dass sich die repräsentative parlamentarische Demokratie nicht bruchlos durch Elemente der direkten Demokratie ergänzen lässt. Die Vorstellung, man könne das politische System der Bundesrepublik einfach um einige plebiszitäre Elemente erweitern, um es so bürgernäher und transparenter zu machen, ist eine Illusion. Denn die simple Ja/Nein-Logik jeder Volksbefragung ist nicht mit unserer hoch entwickelten bundesdeutschen Aushandlungsdemokratie kompatibel, deren zentrales Wesensmerkmal gerade die Einbeziehung möglichst vieler Interessen in die Konsensbildung ist.
Die fortlaufende Anhörung von Fachleuten, Wissenschaftlern, von Parteigremien, Ethikräten und Enquetekommissionen, die Verschränkung von Länder- und Bundesinteressen, die penible juristische Kontrolle jedes Verfahrensschrittes durch alle Gerichtsinstanzen - all das macht Entscheidungen bisweilen quälend schwierig, schließt aber aus, dass fundamentale Aspekte einer Frage übersehen oder größere Bevölkerungsgruppen einfach ignoriert werden. Die Binnenkorrekturkräfte des politischen Prozesses sind hierzulande so stark, dass es einer massiven Intervention von außen durch eine Volksabstimmung nicht bedarf. Nichts belegt das so deutlich wie die Geschichte der Plebiszit-Bewegung selbst. Sie entstand in den siebziger Jahren im Umfeld der Umweltschützer, die damals in den Parlamenten nicht vertreten waren. Mittlerweile jedoch ist der ökologische Gedanke in allen Parteien Allgemeingut - nicht durch Plebiszite, sondern dank der Integrationskraft des parlamentarischen Systems.
Auch die „romantische“ Annahme, ein Plebiszit sei ein Instrument, in dem sich der reine Volkswille klar und unverfälscht Bahn bricht, ist ein Irrtum. Es gibt in der Parteiendemokratie keine parteifreien Zonen. Das Beispiel der Volksbefragung über die Offenhaltung des Flughafens Berlin-Tempelhof 2008 zeigt, dass die Bewegung für Tempelhof erst richtig Dynamik erhalten hat, als CDU und FDP - unterstützt von den einigen Zeitungen - die Bürgerinitiative für sich entdeckt hatten, um den Flughafen-Streit zum Votum gegen den regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zu machen.
All das spricht nicht endgültig gegen die direkte Demokratie. Aber sie hat ihren Preis: die mindestens teilweise Entmachtung der Parlamente und eine drastische Reduktion der Kontrolle politischer Entscheidungen durch die Gerichte.
Ein funktionierendes Nebeneinander von unmittelbarer und mittelbarer Demokratie ist deshalb auf Bundesebene kein gangbarer Weg, um enttäuschte Bürgerinnen und Bürger wieder mit der Politik zu versöhnen. Neue Formen der Mobilisierung über das Internet haben in meinen Augen hier ein ungleich größeres Potential, den Interessen einzelner Gruppen im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie Gehör zu verschaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Ute Granold MdB