Wie rechtfertigen Sie Klinikschließungen und den damit verbundenen Abbau von Betten?
Allein im Jahr 2020 wurden bundesweit 20 Kliniken geschlossen (taz-Beilage 12.03.2021) und Deutschland hat seit Jahresbeginn 2021 ca. 4.000 Intensivbetten verloren.
https://orf.at//stories/3234200/
Das erweist sich neben dem Personalmangel in der aktuellen Situation wohl als zusätzliches Problem.
Der Anteil der über 60-Jährigen liegt, Stand 31.12.2020, bei mehr als 24%. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1112579/umfrage/bevoelkerung-in-deutschland-nach-altersgruppen/#professional
Die Bevölkerungsvorausberechnung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung geht von einer weiteren Zunahme der Bevölkerung ab 65 Jahren und ab 80 Jahren aus. https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/B15-Altersgruppen-Bevoelkerung-1871-Vorausberechnung.html
Wie passen denn Klinikschließungen grundsätzlich zu einer geänderten Bevölkerungsstruktur, einer älter werdenden Bevölkerung?
Sehr geehrte Frau M.,
Sie schreiben mich als Bundestagsabgeordnete an, die Krankenhausplanung fällt aber in die Zuständigkeit der Bundesländer. Alle Krankenhäuser, die im jeweiligen Landeskrankenhausplan verzeichnet sind, haben einen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten gegenüber den Krankenkassen. Außerdem beteiligen sich die Länder am Bau und Unterhalt der Plankrankenhäuser. Daneben gibt es auch noch Privatkliniken, die ebenfalls Vertragspartner der Kassen sein können, und für die Versorgung meist nicht zentrale Kliniken für reine Selbstzahler. Der Bund setzt dafür mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz lediglich einen groben Rahmen.
Schließungen betreffen meist kleine Häuser der niedrigsten Versorgungsstufe, die nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Häufig werden sie auch mit anderen Krankenhäusern fusioniert. Dabei werden regelmäßig emotionale Diskussionen geführt, weil verschiedene Meinungen aufeinander stoßen: Die Bürgerinnen und Bürger in kleinen und mittleren Städten schätzen die Versorgung mit einem nahe gelegenen Haus, während Krankenkassen und medizinische Fachgesellschaften immer wieder darauf hinweisen, dass die Qualität in größeren Häusern besser ist, weil auch in der Medizin Übung den Meister macht und Qualität mit sehr geringen Fallzahlen kaum zu leisten ist. Skandinavische Länder zum Beispiel, die ebenfalls eine recht alte Bevölkerung und ein hohes medizinisches Niveau haben, bieten eine wesentlich geringere "Krankenhausdichte" als Deutschland. Darauf weist zum Beispiel ein Papier der Wissenschaftsakademie Leopoldina hin. Die kurzen Wege sind aber auch ein wichtiges Argument, das ich überhaupt nicht wegwischen möchte. Krankenhäuser sind eine Form der Daseinsvorsorge und können nicht allein ökonomischen Bewertungskriterien unterworfen werden. Auch lässt sich Qualität international nicht so leicht vergleichen. Festzuhalten ist aber: Die Schließung kleiner Krankenhäuser bedeutet nicht unbedingt, dass auch die Betten wegfallen und die Versorgungsqualität schlechter wird. In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Kliniken ständig gesunken, die Zahl der behandelten Fälle aber gestiegen.
Die Corona-Pandemie stellt uns sicher vor eine besonders herausfordernde Situation. Auch ich habe im Deutschen Ärzteblatt gelesen, dass Deutschland seit Jahresbeginn 4000 Intensivbetten verloren hat. Grund sind aber nicht Klinikschließungen, sondern der Mangel an qualifiziertem Personal. Es fehlen Intensivpfleger*innen und zum Teil auch Ärzt*innen. Betten und Apparate gibt es genug. Die weitere hohe Belastung von Kliniken und Klinikpersonal mit der Behandlung von Covid19-Patienten wird die Situation kurzfristig leider weiter verschärfen. Bundespolitik und Länder haben in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. Der Bund hat zum Beispiel die Ausbildung in Pflegeberufen reformiert und Quereinstiege leichter gemacht. Für gute Arbeitsbedingungen sind aber weiterhin Maßnahmen gefordert, die leider allesamt nicht kurzfristig wirken.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Bahr