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Ulrike Bahr
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Frage von Hans B. •

Frage an Ulrike Bahr von Hans B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Bahr,

ich engagiere mich selber derzeit aus beruflichen Gründen leider nur über Social-Media, z.B. change.org und campact. Nachdem - für mich unverständlich - bereits campact die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, soll nun dasselbe für change.org passieren. Was gedenken Sie, dagegen zu unternehmen? Oder: Wenn Sie selber für die Aberkennung der Gemeinnütizgkeit sind (was ich nicht hoffe): Wie begründen Sie, dass Firmen ihre Lobbyarbeit immer noch steuerlich geltend machen können?

Mit freundlichen Grüßen

H. B., Pfarrer

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Borchard,

erst in der vergangenen Woche haben wir uns im „Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement“ im Deutschen Bundestag mit den von Ihnen aufgegriffenen Fragestellungen auseinandergesetzt. Leider ist das Protokoll zu dieser Sitzung noch nicht online. Schauen Sie aber gerne ab und zu auf die Internetseiten des Unterausschusses. Dort finden Sie alle Protokolle – und bald auch das zum Thema Gemeinnützigkeitsrecht: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a13/eng/ProtokolleoeffentlicheSitzungen

Ein besonders schöner Vergleich ist mir aus der Ausschusssitzung in Erinnerung geblieben: Ein Sachverständiger sprach vom Gemeinnützigkeitsrecht als der „Magna Charta“ der Zivilgesellschaft. Ein treffender Vergleich, denn ein eigenes Gesetzbuch existiert für die Zivilgesellschaft nicht. Das ist auch gut so, denn die Zivilgesellschaft soll nicht zu stark staatlich reglementiert werden.

Über die Abgabenordnung (AO) nimmt der Staat aber schon Einfluss, denn ein Verein oder eine Institution kann nur unter bestimmten Voraussetzungen gemeinnützig werden. In der Abgabenordnung hält der Gesetzgeber fest, welche Zwecke als gemeinnützig anzuerkennen sind. Damit schlägt der Gesetzgeber der Zivilgesellschaft einen "Handel" vor: Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen von begünstigen Vereinen oder Institutionen sowie von deren Spendern, dafür fördert die Zivilgesellschaft die Allgemeinheit. Über die Einhaltung der festgelegten Regeln wachen die örtlichen Finanzämter.

Schwierig wird es, wenn sich Institutionen aktiv politisch beteiligen, um Meinungen gezielt zu beeinflussen, oder um politisch zu wirken oder zu handeln. Das ist in Deutschland laut Grundgesetz nur den Parteien vorbehalten. Forderungen der Zivilgesellschaft können daher nur einen beratenden Charakter haben, nie aber verbindlich für die Allgemeinheit wirken. Eine Organisation verliert die Gemeinnützigkeit, wenn sie auf einem Feld tätig wird, das nichts mit ihrem anerkannten gemeinnützigen Zweck zu tun hat. Wenn also ein Verein, der sich beispielsweise für den Erhalt des Wattenmeeres einsetzt, zusätzlich auch Spenden für eine Rentenkampagne akquiriert, kann diesem die Gemeinnützigkeit entzogen werden, da das Ziel der Kampagne (Renten) weder gemeinnützig ist, noch mit dem eigentlichen bewilligten gemeinnützigen Zweck – dem Naturschutz nach § 52 Absatz 2 Nr. 8 AO – in Einklang gebracht werden kann.

Bei Campact, Attac oder change.org handelt es sich nach Meinung der Rechtsprechung um moderne Hybride. Die reine Ausarbeitung von politischen Zielen durch diese Akteure ist noch zu tolerieren (BFH-Urteil), die konkrete Einflussnahme auf die Politik über verschiedene Themengebiete hinweg jedoch nicht.

Nichtdestotrotz muss die Politik einsehen, dass sich die Art der Beteiligung und politischen Betätigung verändert. Darauf sollte ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht Antworten geben. Finanzminister Olaf Scholz hat daher angekündigt, dass Gemeinnützigkeitsrecht noch in dieser Legislaturperiode zu reformieren. Dabei werden mehrere Handlungsmöglichkeiten diskutiert, z.B. die Zulassung steuerbegünstigter politische Vereine oder eine Änderung der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordung. Für die politische Bewertung stellt sich für mich die Frage: Wie fördern wir einerseits ein breites gesellschaftliches Engagement, öffnen aber nicht die Tore für jeder Art politischer Einflussnahme unter dem Dach der Gemeinnützigkeit? Denn leider sehe ich nicht nur „gute“ Akteure, die ich selber unterstützen würde, sondern auch solche, beispielsweise vom rechten Rand, die ich persönlich lieber nicht als gemeinnützig eingestuft sehen möchte.

Gerade für die Nutzer*innen von Change.org möchte ich noch ein Hinweis geben: Auch der Deutsche Bundestag bietet die Eingabe von Petitionen an (im Internet unter https://epetitionen.bundestag.de/). Alle Eingaben werden beantwortet, durch den Petitionsausschuss geprüft und beraten. Im Anschluss gibt es immer eine offizielle Reaktion des Bundestages auf den eingegebenen Vorschlag. Damit ergibt sich ein sehr viel verbindlicherer Charakter, als es bei Petitionen von anders organisierten Plattformen der Fall ist. Diese verpuffen oft, weil es keine Routine gibt, um sie offiziell zu bearbeiten.

Herzliche Grüße

Ulrike Bahr, MdB

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