Frage an Ulrike Bahr von Ingmar B. bezüglich Jugend
Hallo,
wie ich sehe sind Sie Teil der Kinderkommission des Bundestages. Wie kommts? Sie haben keine Kinder! Was suchen Sie dort? Das Subjekt "Kind" ist offenbar nur ein abstraktes für Sie. Finden Sie nicht, dass es bei so einem unmittelbar lebenspraktischen Thema eher "Praktiker" bräuchte?
Inwiefern halten sie die völlig vermurkste Kinder- und Familienpolitik (siehe Demografieentwicklung) für das Ergebnis dieser komplett widersinnigen Fehlbesetzung der parlamentarischen Gremien, also dass Kinderlose über Familien und Kinder entscheiden dürfen?
Danke und Grüsse,
Blessing
Sehr geehrter Herr Blessing,
ich bedanke mich für Ihre Nachricht vom 24.02.2016 und Ihre Frage in Bezug auf meine Mitgliedschaft in der Kinderkommission.
Zum einen möchte ich Ihre Einschätzung fehlender Fach(=Kinder)-Kompetenz damit relativieren, dass ich als ehemalige Hauptschullehrerin mit über 25 Jahren Berufserfahrung durchaus viel und engen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen hatte und daher sehr gut über deren Alltag sowie ihre Bedürfnisse Bescheid weiß. Und auch als langjährige Stadträtin und Mitglied im Jugendhilfeausschuss der Stadt Augsburg weiß ich nur zu gut, wie wichtig politische Lobbyarbeit für Kinder und Jugendliche in der Politik ist. Denn Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Und wir stehen – auf kommunaler, Landes- wie auch auf Bundesebene – in der Verantwortung, gute Rahmenbedingungen für Ihr Aufwachsen zu schaffen.
Vor meinem persönlichen Hintergrund ist für mich „das Subjekt Kind“ also keineswegs „abstrakt“. Da ich aber auch ordentliches Mitglied im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ bin, nehme ich das Amt in der Kinderkommission lediglich stellvertretend wahr, sofern die Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Susann Rüthrich terminlich verhindert ist (s. https://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a13/kiko/mitglieder/261618 ). Meine Fraktionskollegin Frau Rüthrich hatte bis vor kurzem auch den Vorsitz der Kinderkommission inne und hat hier mit Themenschwerpunkten wie der Stärkung der Kinderrechte und Förderung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen einen ganz hervorragenden Job gemacht. In der Kinderkommission wird allerdings generell nicht ÜBER Familien und Kinder entschieden. Vielmehr geht es darum, die Interessen und Bedarfe der Kinder und Jugendlichen selbst in den Mittelpunkt zu stellen – und damit auch Raum für politische Diskussionen auf Bundesebene zu schaffen.
Die wesentlichen Gründe für die Demografieentwicklung in Deutschland liegen zudem sicherlich nicht an der Besetzung der Gremien im Bundestag, sondern vielmehr in nach wie vor eher familienunfreundlichen Rahmenbedingungen, vor allem in der Arbeitswelt. Genau hier setzt die Politik der SPD-Bundestagsfraktion und der sozialdemokratischen Familienministerin Manuela Schwesig an. Denn unser gemeinsames Ziel ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die aktuellen Rahmenbedingungen halten viele Paare derzeit (noch) von der Familiengründung ab. Das wollen wir ändern. Dabei ist aber auch klar: Was vor Jahren und Jahrzehnten an Weichenstellungen in Richtung einer modernen und zukunftsfähigen Familienpolitik versäumt wurde, lässt sich nicht in wenigen Jahren aufholen. Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird hier allerdings gerade in dieser Wahlperiode ausgesprochen viel getan: Das Elterngeld wurde zum Elterngeld Plus weiter entwickelt, damit jene Paare, die sich Familienzeit, Erziehungsarbeit und Erwerbstätigkeit partnerschaftlich teilen, noch stärker profitieren; der Ausbau der Kinderbetreuung wurde und wird mit Unterstützung des Bundes weiter vorangetrieben; „Lokale Bündnisse für Familie“ und Programme wie „Erfolgsfaktor Familie“ sollen Kommunen und Unternehmen noch stärker für die Bedarfe von Familien und Kindern vor Ort sensibilisieren.
In Reaktion auf Ihre Generalkritik möchte ich zudem noch eines festhalten: Um im Gesundheitsausschuss für eine gute Gesundheitspolitik zu kämpfen, muss ich keine Ärztin sein, um mich für die Sicherheit in unserem Land einzusetzen, nicht zwangsläufig Polizistin. Im Bildungsausschuss des Deutschen Bundestages sitzen auch nicht ausnahmslos (Hochschul-)Lehrerinnen oder Lehrer. Dennoch erlebe ich meine Kolleginnen und Kollegen allesamt uneingeschränkt als sehr engagierte und fachkundige Expertinnen und Experten in ihren Fachgebieten. Natürlich braucht gute Fachpolitik eine entsprechende Basis. Diese lässt sich aber nicht immer auf einzelne, vermeintlich offensichtliche oder pauschale Merkmale herunter brechen. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich Ihnen daher guten Gewissens versichern, dass das Engagement für Kinder und Jugendliche sowie für ihre Familien keineswegs vom Familienstand abhängt.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Bahr