Frage an Ulrike Bahr von Stefan P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Bahr.
Am 19. Mai 2015 veranstaltet die SPD-Bundestagsfraktion einen „fraktionsoffenen Abend“ zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, dass dann auch der konkrete Gesetzentwurf fertig ist und debattiert werden kann.
Wie stehen Sie zu der Frage der anlasslosen Massenüberwachung in der Telekommunikation? Stehen dem fraglichen Nutzen nicht massive Einschnitte bei der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber? Ist nach den Entscheidungen des BVerfG 2010 und des EUGH 2014 gegen das Gesetz bzw. die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung überhaupt eine zulässige Neuregelung denkbar?
Vielen Dank für Ihre Sicht in dieser Frage, mit freunlichen Grüßen.
Stefan Paul
Sehr geehrter Herr Paul,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 15.5.2015 in Bezug auf die kürzlich von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgestellten Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten über www.abgeordnetenwatch.de.
Fraktionsoffene Abende zu verschieden aktuellen Gesetzesvorhaben finden in der SPD-Bundestagsfraktion sehr regelmäßig statt und ich halte diese auch für eine gute Plattform, um sich innerhalb der Fraktion über die verschiedenen Standpunkte auszutauschen und auf die Einschätzung der zuständigen Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker genauer eingehen zu können. Wie von Ihnen angeführt, fand in dieser Woche ein solcher Abend zu o.a. Vorhaben des Bundesjustizministeriums statt. In dem Vorschlag von Bundesjustizminister Maas ist eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post, also Email, vorgesehen.
Oberste Richtschnur aller Regelungen sind für uns die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Die von Bundesjustizminister Maas vorgelegten Leitlinien sind übrigens viel restriktiver als das vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Sie sind auch viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und ebenso viel weniger weitreichend als CDU/CSU es wollen:
- Gespeichert werden müssen nur genau bezeichnete Verkehrsdaten, die bei der Telefonkommunikation anfallen (Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats, im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IP-Adressen). Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden.
- Für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden, gilt eine deutlich kürzere Speicherfrist von vier Wochen. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil über Funkzellendaten der Aufenthaltsort des Mobilfunknutzers bestimmt werden kann und wir nicht wollen, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden.
- Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden.
- Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, d.h. nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Im Vergleich zu der vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist der von Minister Maas vorgelegte Straftatenkatalog deutlich reduziert worden. Der Abruf von Daten wird nur für schwerste Straftaten möglich sein. Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Diensteanbieter zur Folge.
- Die Leitlinien enthalten zudem eine datenschutzrechtliche Verbesserung zur geltenden Rechtslage: Das Gesetz wird die Befugnis der Ermittlungsbehörden zum Abruf der genannten Daten abschließend regeln. Speichert ein TK-Anbieter die Daten über den verpflichtend vorgegebenen Zeitraum auf Grund einer anderen Rechtsgrundlage, z.B. zu Zwecken der Vertragserfüllung, weiterhin, so ist der Abruf nach diesem Gesetz dennoch nach Ablauf der 10 bzw. 4 Wochen untersagt.
- Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Diensteanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen. Wenn ein Diensteanbieter mit den gespeicherten Daten Datenhandel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei.
Mit diesem Hintergrund sind die Leitlinien zunächst einmal eine gute Grundlage für die weitere, sicherlich intensiv geführte Debatte innerhalb des anstehenden parlamentarischen Verfahrens. Darin wird die SPD-Bundestagsfraktion dafür Sorge tragen, dass sich die obigen Grundsätze ohne Ausnahmen und Abstriche auch in den gesetzlichen Detailregelungen wiederfinden.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Bahr, MdB