Frage an Ulrich Brehme von Stephanie A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Ist es für kleine Parteien wie die ödp nicht eine der wichtigsten Aufgaben, eine Wahlrechtsänderung ähnlich der in Hamburg einzuleiten? Gibt es entsprechende Aktivitäten der ödp in der Vergangenheit? Sind Aktivitäten zur Wahlrechtsänderung für die Zukunft geplant?
Sehr geehrte Frau Adler,
die ödp Niedersachsen fordert die Abschaffung der 5%-Hürde bei Landtagswahlen. Diese gibt es in Niedersachsen erst seit 1959. Davor gab es mehr Parteienvielfalt im Landtag und auch an der Regierung. Das möchten wir gerne wiederhaben. Daher sind wir für die Abschaffung der 5%-Hürde bei Landtagswahlen.
Bei Kommunalwahlen wird die 5%-Hürde bereits in immer mehr Bundesländern abgeschafft. In Niedersachsen gibt es sie nicht, in NRW hat die ödp bereits eine Klage für die Abschaffung der 5%-Hürde bei Kommunalwahlen gewonnen.
Weiterhin fordert die ödp, bei Landtagswahlen auch Listenverbindungen zuzulassen. Dies wurde von der derzeitigen Landtagsmehrheit abgeschafft. Auch die Kandidatur von Einzelbewerbern sollte möglich sein, um eine bürgerfreundlichere Politik zu ermöglichen.
Wünschenswert wäre weiterhin die Abschaffung der Wahlbereiche in größeren Kommunen. Wie in Süddeutschland sollten die Wahlbereiche identisch mit den kommunalen Grenzen sein, Damit jeder Bürger jeden anderen Bürger seiner Kommune wählen kann.
Damit eine Partei, die nicht im Landtag vertreten ist, überhaupt an der Landtagswahl teilnehmen darf, muß sie in Niedersachsen 2000 Unterstützungsunterschriften sammeln. In NRW oder Hessen sind nur 1000 Unterstützungsunterschriften notwendig. Daher wäre die Absenkung der Zahl der nötigen Unterstützungsunterschriften auf 1000 oder deren Abschaffung wünschenswert.
Wir fordern mehr Mitbestimmung der Bevölkerung durch direkte Demokratie wie in der Schweiz. Kumulieren und Panaschieren (Häufung oder Verteilen der eigenen Stimmen auf mehrere Listen) ist in der Schweiz bei Parlamentswahlen auf allen (!) Ebenen üblich. Bei uns wird die Zusammensetzung der Volksvertretung vor allem durch den Platz auf der Kandidatenliste der großen Parteien bestimmt. Politiker, die sich nicht dem Fraktionszwang beugen, bekommen meistens einen niedrigen Listenplatz. Über die Möglichkeit der freien Vergabe mehrerer Stimmen (Häufung oder Verteilung) können die Wähler in einem höheren Maß mitbestimmen. In Niedersachsen ist dies aber nur bei den Kommunalwahlen möglich. Bei der Landtagswahlen ist dies leider nicht möglich (wie in Bremen oder Hamburg). Es wäre aber wünschenswert, daß die freie Vergabe mehrerer Stimmen auch bei der Landtags- oder Bundestagswahl möglich wird. Damit würde sich der Charakter der Wahl von einer Listenwahl in eine Personenwahl ändern. In Süddeutschland haben die Wähler bei Kommunalwahlen so viele Stimmen, wie es Mandate gibt. Es kommen dann die in die Volksvertretungen rein, die die meisten Stimmen bekommen.
Nachdem in Hamburg im Jahre 2004 eine Zweidrittel-Mehrheit der Wähler ein demokratischeres Wahlrecht über einen Volksentscheid eingeführt hat, konnten die Wähler mehrere Stimmen auf die Kandidaten von unterschiedlichen Parteien verteilen. Noch vor der nächsten Wahl führte die CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft praktisch starre Landeslisten über sogenannte "Relevanzschwellen" ein, so daß die Listenreihenfolge immer so erhalten bleibt. Nach dem Scheitern eines erneuten Volksbegehrens wegen der zu geringen Beteiligung findet nun 2009 in Hamburg der nächste Volksentscheid für ein demokratischeres Wahlrecht statt. Die ödp ist im Trägerkreis dieses Volksbegehrens für ein faires Wahlrecht für Hamburg. In Bremen war ein solches Volksbehren ein großer Erfolg. In Nordrhein-Westfalen versucht "Mehr Demokratie" mit Unterstützung der ödp ebenfalls zur Zeit ein demokratischeres Wahlrecht einzuführen. Die ödp in NRW unterstützt auch dort dieses Volksbegehren.
In Deutschland gibt es inzwischen flächendeckend die Möglichkeit, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene durchzuführen. Damit können Bürgerinnen und Bürger über wichtige Fragen selber entscheiden.
Volksentscheide auf Landesebene werden häufig durch hohe Hürden unmöglich gemacht. In Bayern hat die ödp schon mehrere Volksbegehren, so auch für die Abschaffung des Bayerischen Senats (ich hatte mich damals selber daran beteiligt) erfolgreich umsetzen können. Danach wurden die Hürden deutlich erhöht.
Die Einführung eines bundesweiten Volksentscheides wird nach wie vor von den großen Parteien blockiert, obwohl mehr als 79% der Bürger dies wollen. Der EU-Änderungsvertrag würde beispielsweise bei einer Volksabstimmung einfach durchfallen. Bereits eine öffentliche Diskussion darüber wird aber systematisch verhindert, indem im Gegensatz zur früheren skandalösen "EU-Verfassung" nicht mal ein lesbarer Gesamttext vorgelegt wird.
Ich hoffe, daß in Deutschland und besonders in Niedersachsen die Bürger über direkte Demokratie mehr Einfluß auf die Politik bekommen, damit staatliche Willkür und Korruption keine Chance mehr haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Brehme