Portrait von Sven Lehmann
Sven Lehmann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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Frage von Leo B. •

Welche Stellen sind im Bereich Vielfalt noch ausbaufähig? Welche konkreten Gesetze würden sie gerne auf dem Weg bringen, sofern sie wiedergewählt werden?

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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Guten Tag Leo B.,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Deutschland lebt von seiner Vielfalt und dem Miteinander verschiedener Menschen. Wir stehen dafür ein, dass sich alle Menschen entfalten und gleichberechtigt Teil unserer Gesellschaft sein können. Wir wollen Diskriminierung überwinden, denn sie schwächt unseren Zusammenhalt.

Gerade weil die Stärke unseres Landes daraus entsteht, dass alle dazugehören, unabhängig von der Herkunft, brauchen wir auch eine neue Kraft der integrativen und inklusiven Gesellschaft. Was wir damit meinen: gemeinsam in Vielfalt. Gemeinsamkeit in Vielfalt bedeutet, dass Menschen in ihrer Verschiedenheit – sei es die Herkunft, Religionszugehörigkeit, die Lebensgeschichte, eine Behinderung oder die sexuelle Identität – täglich dazu beitragen, dass unser Land innovativ und zukunftsfähig bleibt. Was es dafür braucht: Aufstiegschancen, Respekt im Streit, Kompromissfähigkeit und Koalitionsfähigkeit zwischen den demokratischen Parteien, in der demokratischen Mitte. Bürgerschaftliche Verantwortung, aber auch eine neue Verantwortung der demokratischen Institutionen und der gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten, die Probleme zu lösen und zum Funktionieren beizutragen.

Eine gerechte Gesellschaft ermöglicht allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, ein selbstbestimmtes Leben. Feminismus, der alle in den Blick nimmt, also intersektional ist, und der Einsatz für Frauenrechte sind dafür essenziell. Nur wenn Diskriminierung, Sexismus und Frauenfeindlichkeit entschieden bekämpft werden, können Frauen alle Chancen nutzen. Gerade weil rückwärtsgewandte Kräfte stärker werden, müssen wir das Erreichte sichern und weiter voranschreiten. 

Konkret wollen wir eine geschlechtergerechte Gleichstellungspolitik, die auch Männer adressiert und ihre Anliegen in den Blick nimmt. Unsere Priorität ist, das Leben für Frauen gerechter und besser zu machen. Das bedeutet, den gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Dazu gehört, dass frauendominierte Berufe nicht schlechter bezahlt werden als männerdominierte. Frauen tragen den Großteil der Sorgearbeit und arbeiten daher oft in Teilzeit, was Aufstieg und Einkommen beeinträchtigt. Wir fördern eine geschlechtergerechte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch verlässliche Betreuung und hochwertige Bildungseinrichtungen. Auf der Straße, in der U-Bahn und erst recht zu Hause: Alle Frauen müssen sicher sein und sich sicher fühlen können. Im Alltag sind sie aber täglich von Frauenfeindlichkeit, Sexismus und Gewalt bedroht. Dasselbe gilt auch für queere Menschen, denn jeder Mensch hat das Recht, frei und selbstbestimmt leben zu können. Politik muss den Rahmen dafür schaffen. Noch zu häufig erleben lesbische, schwule, bi, trans*, inter* und queere Menschen (LSBTIQ*) zunehmende Gewalt und Diskriminierung. Das nehmen wir nicht hin. Bereits erkämpfte Rechte wie das Selbstbestimmungsgesetz schützen wir vor Angriffen und setzen uns weiterhin für die Stärkung von Rechten queerer Menschen und ihrer Selbstbestimmung ein.

Mit dem Aktionsplan „Queer leben“ haben wir in der Bundesregierung einen Plan zur Stärkung von queerem Leben vorgelegt. Diesen wollen wir verstetigen. Zur weiteren Umsetzung wollen wir mit einem Bundesförderprogramm die nötigen Mittel bereitstellen. So stärken wir queere Beratungs- und Projektstrukturen. Wir wollen den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes verankern und Hasskriminalität gegen LSBTIQ* entschlossen bekämpfen. Dazu verbessern wir die Erfassung von queerfeindlichen Straftaten und bauen die Unterstützungsangebote sowie Ansprechstellen in Behörden und in der Justiz weiter aus. Die Empfehlungen des Arbeitskreises zur Bekämpfung von homophober und transfeindlicher Gewalt setzen wir um und evaluieren sie. Darüber hinaus soll unter anderem die Kostenübernahme durch die Krankenkassen für medizinische Transitionsmaßnahmen für alle Betroffenen diskriminierungsfrei gewährleistet sowie Beratungsangebote ausgebaut werden. Das Familienrecht passen wir an, beenden schnellstmöglich die Diskriminierung von Regenbogenfamilien, insbesondere von lesbischen Müttern und ihren Kindern, im Abstammungsrecht und berücksichtigen dabei die Elternschaft von trans*, inter* und nicht binären Menschen. 

Außerdem wollen wir, dass Beratungsstellen und Selbstorganisationen langfristig abgesichert und ausgebaut werden sowie dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auch in ihren Kompetenzen gestärkt wird. Mit einem Nationalen Aktionsplan Antidiskriminierung wollen wir eine wirksame Antidiskriminierungspolitik umsetzen. Mit der Schaffung der Beauftragten für Antidiskriminierung, Queeres Leben, Antirassismus und Antiziganismus haben wir die politische Stärkung von Vielfalt noch stärker verankert. Wir wollen ihre und die Arbeit der weiteren Beauftragten für gesellschaftliche Vielfalt weiter stärken. Wir bauen die Forschung wie zum Beispiel den Nationalen Rassismus- und Diskriminierungsmonitor zu Erscheinungsformen und Ausprägung von Diskriminierung aus. Um strukturellen Rassismus, egal ob im Gesundheitswesen, in der Justiz oder in unseren Sicherheitsbehörden, zu bekämpfen, wollen wir zielgerichtete Fortbildungsangebote zur Steigerung der Diskriminierungssensibilität stärker fördern. Zudem wollen wir die zweite Dekade der Vereinten Nationen (UN) für Menschen afrikanischer Herkunft auch in Deutschland aktiv vorantreiben, Bildungsprojekte fördern und die politische Teilhabe Schwarzer Menschen stärken

Die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben setzen wir weiter um, denn wir wollen jüdisches Leben in seiner Vielfalt fördern und sichtbar machen. Antisemitische Vorfälle müssen verfolgt und dokumentiert werden. Antisemitische Gewalt bekämpfen wir konsequent mit allen Mitteln des Rechtsstaats. Dazu gehört es auch, Gesetzeslücken zu schließen. Es sollen keine Projekte gefördert werden, die Antisemitismus, Rassismus oder sonstige menschenverachtende Ideologien propagieren. Wir setzen uns für die Erarbeitung einer Antisemitismusstrategie für den digitalen Raum ein. Antisemitismus hat komplexe Erscheinungsformen: Wir setzen daher auf eine umfassende Bildungsstrategie, die von Kindesbeinen bis ins Erwachsenenalter reicht und die Förderung von interkonfessionellem Dialog beinhaltet. Wir stärken die jüdische Gegenwartsforschung. Die älteren jüdischen Generationen wollen wir stärker sozial absichern. Die Benachteiligung jüdischer Einwander*innen gegenüber den eingewanderten (Spät-) Aussiedler*innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wollen wir beenden. 

Mit einer Nationalen Strategie gegen Islamfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus gehen wir außerdem gegen die zunehmende Diskriminierung von Muslim*innen und muslimisch gelesenen Menschen vor. Grundlage dafür sind die Handlungsempfehlungen der Unabhängigen Kommission Muslimfeindlichkeit. Wir wollen vielfältiges muslimisches Leben in Deutschland schützen. Islamfeindliche Vorfälle müssen konsequent verfolgt und sorgfältig dokumentiert werden. Die Imam*innenausbildung in Deutschland treiben wir voran und stärken damit die Unabhängigkeit der islamischen Gemeinden. Wir wollen die Deutsche Islam Konferenz weiterentwickeln und in unserem politischen Handeln auch progressive, liberale muslimische Vertretungen einbinden. 

Um Antiziganismus zu bekämpfen, werden wir die Empfehlungen der Expertenkommission Antiziganismus weiter konsequent umsetzen und einen Staatsvertrag mit der Minderheit auf Bundesebene schließen. Antiziganistische Vorfälle müssen bundesweit erfasst und verfolgt werden. Deshalb sichern wir die Förderung der zivilgesellschaftlichen Monitoringstelle rechtlich ab. 

Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann 

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