Was haben Sie unternommen, die Bundeswehr aufzurüsten, dass ohne die USA und ohne den französischen Atomschirm ein russischer Angriffskrieg gegen die EU mit einer schnellen Niederlage Russlands endet?
Herr Lehmann,
Die Nachkriegsorsnung und die Pax Americana sind vorbei. Die USA gleiten in eine illiberale Demokratie ab, in Deutschland wird die AfD als zweitstärkste Fraktion in den Bundestag einziehen, und für eine französische Präsidentin Le Pen muss geplant werden, nachdem für eine zweite Präsidentschaft Trumps nicht geplant wurde.
Ohne die USA ist die NATO ein Papiertiger und ohne den französischen Atomschirm ist Europa schutzlos. Weitere NATO-Mitgliedsstaaten haben bereits russlandfreundliche Regierungen.
Wie haben Sie in der Vergangenheit dazu beigetragen, die Bundeswehr so auszurüsten und auszubilden, bzw. dies im Falle einer Wiederwahl so voranzutreiben, dass ein russischer Angriffskrieg gegen unsere Nachbarstaaten ohne die USA, ohne Frankreich, und ohne die NATO abgewehrt werden kann? Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und dazu mindestens 2% (realistischerweise weit höher) des BIP zur Verteidigung aufzuwenden?
Markus A.
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Guten Tag Markus A.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Russlands Überfall auf die Ukraine vor drei Jahren verdeutlicht, dass Frieden, Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind. Sie müssen immer wieder aufs Neue verteidigt und gestärkt werden. Frieden erfordert gerade in diesen Zeiten Diplomatie und Kooperation, ebenso wie Widerstands- und Wehrfähigkeit. Dafür braucht es eine europäische Anstrengung. Es braucht eine umfassend angelegte Herangehensweise, um dem Spektrum an Herausforderungen und Bedrohungen zu begegnen.
Sicherheitspolitik ist mehr als die Summe aus Diplomatie und Militär; sie muss alle Stränge unserer Politik zusammenführen. Sicherheit für Deutschland heißt: innere und äußere Sicherheit zusammenzudenken sowie den Schutz unserer Demokratie, unseres Sozialstaates und unserer Lebensgrundlagen zu sichern. All diese Elemente einer integrierten Sicherheit brauchen eine verlässliche Finanzierung. Mit dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022 sind wir in einer anderen Welt aufgewacht.
Millionen Ukrainer*innen verteidigen seither Tag für Tag ihr Leben, ihre Freiheit und die europäische Friedensordnung gegen die brutale Aggression Russlands. Dabei stehen wir fest an ihrer Seite – mit diplomatischer, finanzieller, humanitärer und militärischer Unterstützung. Die Ukraine muss in der Lage sein, sich zu verteidigen und eine starke Position für einen möglichen Friedensprozess sicherzustellen. Dafür wollen wir sie auch weiter in ihrem Recht auf Selbstverteidigung deutlich stärken und ihre Verteidigungsfähigkeit verbessern. Das ist auch unser bester Eigenschutz hier im Herzen Europas.
Dafür braucht es eine verlässliche Finanzierung mit einem Verteidigungsetat, der dauerhaft die in der NATO vereinbarten und auch national definierten Ziele und Bedarfe erfüllt. Dieser wird nicht allein aus laufenden Einnahmen finanzierbar sein, sondern wird mittelfristig auch über eine höhere Kreditaufnahme finanziert werden müssen, um zu verhindern, dass Investitionen im Verteidigungsbereich zulasten anderer notwendiger Zukunftsinvestitionen gehen. Wie zu Zeiten der Eurokrise und der Pandemie braucht es auch auf europäischer Ebene eine gemeinsame finanzielle Kraftanstrengung zur Friedenssicherung in Europa, wie es die Europäische Kommission vorgeschlagen hat.
Viele Vorstöße, in unser Land zu investieren und damit für mehr soziale Gerechtigkeit, bezahlbare Lebenshaltungskosten und mehr Klimaschutz zu sorgen, scheiterten in der Ampel-Regierung am Unwillen der FDP, die Schuldenbremse anzupassen. Leider zeigt auch die Union derzeit wenig Bereitschaft, in Zukunft mehr in unsere Zukunft zu investieren und möchte die Verteidigungsausgaben lieber durch Kürzungen bei Sozialem oder der Streichung des Deutschlandtickets erhöhen. Gerade weil soziale Gerechtigkeit im Inneren die äußere Sicherheit unseres Landes bedingt, ist es notwendig, beide Felder zusammenzudenken. Eine Erhöhung des Wehretats über das 2-Prozentziel hinaus darf daher nicht zu Lasten der Ausgaben im Bereich von Infrastruktur, Bildung oder des Sozialstaates führen. Daher kann ich notwendige Verteidigungsausgaben über das 2-Prozentziel hinaus nur befürworten, wenn Ausgaben und Investition in den anderen genannten Bereichen sichergestellt sind.
Wir Grüne haben uns in knapp drei Jahren Regierungszeit mit aller Kraft dafür stark gemacht, die Ukraine in ihrem Überlebenskampf umfangreich militärisch, humanitär, finanziell und diplomatisch zu unterstützen und dem russischen Bruch mit der internationalen Sicherheitsordnung entschieden etwas entgegenzusetzen – auch zum Schutze der Freiheit und des Friedens bei uns.
Diese Unterstützung ist wichtig und wir müssen sie auch für unser aller Sicherheit fortführen. Weit über eine Million aus der Ukraine Geflüchtete haben wir solidarisch und unbürokratisch bei uns aufgenommen. Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Engagement gemeinsam mit unseren europäischen Partnern.
Außerdem haben wir uns für europäischen Zusammenhalt, die Erweiterung und eine demokratischere und strategisch handlungsfähigere EU eingesetzt. Das ist eine stetige Aufgabe, die wir weiter fortführen wollen. Mit der Zustimmung zu EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine und Moldau haben wir die Grundlage für eine langfristige Partnerschaft und mehr Stabilität in Europa gelegt.
In der Zeit grüner Regierungsbeteiligung seit 2021 haben wir dafür gesorgt, dass Deutschland ein verlässlicher globaler Partner im Rahmen von NATO, EU und UN bleibt. Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands haben wir die Bundeswehr strukturell, materiell und personell neu aufgestellt. Neben der Bereitstellung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro haben wir das Beschaffungswesen beschleunigt und die Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr verbessert. Mit der Aufstellung und dauerhaften Stationierung einer Brigade der Bundeswehr in Litauen leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung der NATO.
Außerdem muss unsere Bundeswehr personell und materiell gut ausgestattet sein, um ihre Einsatzbereitschaft sicherzustellen. Statt den aus guten Gründen seit 2011 ausgesetzten allgemeinen Grundwehrdienst wieder einzuführen, wollen wir den freiwilligen Wehrdienst und die Reserve für eine breite Zielgruppe attraktiver machen und durch gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für Soldat*innen Personal langfristig binden.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann