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Sven Lehmann
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Frage von Felix H. •

Dt. Datenschutzrecht bildet die Rechte u. Interessen von Mitbetroffenen nicht hinreichend ab; darauf hat die Datenethikkommission 2019 im Gutachten hingewiesen. Warum ist das bei e-Patientenakte so?

In Ihrer Antwort auf die konkrete Frage nach Widerspruchsmöglichkeiten u. Modalitäten für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in e-Patientenakten von leiblichen Verwandten haben Sie keine verständliche Antwort gegeben: https://tinyurl.com/mtm3x4t2, auch Ihre Parteikollegin aus Köln, K. Dröge: https://tinyurl.com/56j3mnte

Im Gegensatz dazu kennen mehrere Datenschutzaufsichtsbehörden jenseits des Hinweises auf § 21 DSGVO kein informiertes Verfahren zu einem solchen Widerspruch.

Das aktuelle Datenschutzrecht bildet die Rechte und Interessen von Mitbetroffenen (diskutiert unter Stichwörtern wie "Kollektive", "Group Privacy", "relationale Daten") nicht hinreichend ab; darauf hat auch die Datenethikkommission 2019 in ihrem Gutachten hingewiesen: https://tinyurl.com/4j27hape (z.B. S. 94). Bei Gendaten werde dies besonders deutlich, s. z. B.: Costello, Genetic Data and the Right to Privacy: Towards a Relational Theory of Privacy?, 2022, https://tinyurl.com/ywtuj7tn

Woran liegt's?

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Antwort von
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Guten Tag Felix H.,

vielen Dank für Ihre Anfrage. 
Wie Sie richtig beschreiben und wie Ihnen offenbar auch von anderen staatlichen Stellen bestätigt wurde, gibt es in Deutschland bislang keine entsprechende Regelung zum von Ihnen angesprochenen Problem. Aktuell fokussiert das Datenschutzrecht primär auf die Rechte der direkt betroffenen Person, während die Interessen von Mitbetroffenen, wie Familienangehörigen, weniger berücksichtigt werden.

Im Kontext der elektronischen Patientenakte (ePA) bedeutet dies, dass derzeit keine spezifischen Widerspruchsrechte für Mitbetroffene existieren, wenn bspw. Gesundheitsdaten zu Verwandten in der ePA gespeichert werden und damit ggf. Informationen über Familienmitglieder ohne deren Wissen oder Zustimmung verarbeitet werden. Anzumerken ist hier jedoch, dass, sollten in der ePA Daten zu Familienangehörigen gespeichert werden, diese Daten nicht individualisiert sind. Es werden also weder Namen, Geburtstaten, Anschriften o.ä. gespeichert, sondern ausschließlich beispielsweise der Umstand, dass in der Familie eine bestimmte Erbkrankheit bereits aufgetreten ist. Zwar sind diese Daten – wie Sie richtig beschreiben – auf das betroffene Familienmitglied beziehbar. Die tatsächliche Möglichkeit der von Ihn beschriebenen Kombination oder Ableitung wird in der Praxis jedoch dadurch minimiert, dass Ärztinnen und Ärzte sowie anderes Gesundheitspersonal nur auf ePAs zugreifen können, wenn ein konkreter Behandlungsfall vorliegt. Ein Zugriff auf die ePAs von Verwandten des bzw. der Patient*in ist ausgeschlossen. Zudem besteht keine Möglichkeit, verschiedene ePAs auf Grund eines Verwandtschaftsverhältnisses miteinander zu koppeln und damit Daten miteinander zu kombinieren. Auch erfolgt bspw. eine Ausleitung der Daten zu Forschungszwecken ausschließlich anonymisiert, sodass auch hier keinerlei Verbindungen zwischen Datensätzen hergestellt werden können. Darüber hinaus gelten, insbesondere auf Grundlage des Gendiagnostikgesetzes, sehr strenge Vorgaben für die Speicherung und Verarbeitung von Gendaten.

Die Herausforderung liegt darin, ein Gleichgewicht zwischen dem berechtigten und wichtigen Anliegen, für die Patienten eine möglichst gute Gesundheitsversorgung bereitzustellen (wozu es erforderlich sein kann, auch Gesundheitsdaten zu Familienmitgliedern zu speichern) und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der von dieser Datenverarbeitung betroffenen Familienmitglieder herzustellen. In diesem Zusammenhang hat die Datenethikkommission in dem von Ihnen genannten Gutachten eben auch "die Dringlichkeit des Auf- und Ausbaus der elektronischen Patientenakte (ePA), um die Qualität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung zu verbessern" betont. Durch den Fortschritt der Digitalisierung wird es ein zunehmendes Bewusstsein für diese Problematik geben, sodass zukünftige gesetzliche Anpassungen und ethische Leitlinien diese Aspekte sicher noch stärker berücksichtigen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Sven Lehmann

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