Frage an Stephan Stracke von Oliver H. O. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Hallo Herr Stracke,
ich bin seit 5 Jahren freiberuflicher "Brainworker", will sagen Software Architekt im Bereich Embedded Automtive Software (Elektronische Steuerungen im Automobil, Fahrerassistenzsysteme. Vorher: Navigationssysteme.) Ich habe nicht mal GrüZu beantragt, da mein Geschäft von Anbeginn gut lief.
Nun aber hat die arbeits- und wirtschaftsfremde Andrea Nahles in ihrem neuen Gesetz § 611a BGB nachgerade einen Kahlschlag in meinem Marktsegment IT und Software verursacht. Die Reaktionen der Marktteilnehmer, insbesondere meiner Kunden, sind mit "panisch" noch dezent umschrieben. Es herrscht überall Angst, Aufträge werden storniert, Von neuen Beauftragungen wird abgesehen.
Meiner bescheidenen Prognose nach wird sich das Marktvolumen im Contracting hochqualifizierter technologischer Dienstleistungen halbieren, wenn nicht gar dritteln oder vierteln. Zu glauben, dass meine Kollegen und ich dann alle mit wehenden Fahnen in die Festanstellung wechseln, ist ein Trugschluss. Ich für meinen Teil werde mich in Österreich oder der Schweiz umschauen.
Soweit ich weiß, haben CDU und CSU diesen fatalen Gesetzentwurf zu verhindern und später zu entschärfen versucht - im Ausschuss. Meine Frage: Was gedenkt die Union diesbezügl. zu unternehmen, falls es zu einer schwarzgelben oder schwarzgrünen Koalition kommt? Was im unwahrscheinlichen Falle einer schwarzen Alleinregierung? Wird die Union diesen Unsinn wieder rückabwickeln und Externen Dienstleistern im High Tech Segment Rechtssicherheit verschaffen ohne das Damoklesschwert der Scheinselbständigkeit?
Im übrigen halte ich das Motiv, die Ausbeutung im Niedriglohnsektor über Pseudo-Dienstleistungs- oder Werkverträge, wie etwa in der Logistik oder der Fleischverarbeitung, gesetzl. zu zügeln für durchaus ehrenwert. Aber da hätte man ja eine Schwelle einziehen können, um Niedriglohn von Hochlohnsegment sauber zu trennen. Dazu war Frau Nahles intellektuell offenbar nicht in der Lage.
Mit freundlichem Gruß
Oliver H. Ohly
Sehr geehrter Herr Ohly,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 15. März 2017, in der Sie das Thema Scheinselbständigkeit und in diesem Zusammenhang den Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze angesprochen haben.
Werkverträge sind seit Jahrzehnten Bestandteil unserer arbeitsteiligen Gesellschaft. Die Vergabe von Aufgaben an Dritte auf der Basis von Werkverträgen gehört zum Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Werkverträge spielen im Handwerk und in der Industrie gleichermaßen eine zentrale Rolle. Sie sind unverzichtbar für die Spezialisierung und Konzentration der Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen, tragen zu ihrer Qualitäts- und Effizienzsteigerung bei und sichern damit deren Wettbewerbsfähigkeit und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Allerdings gilt für uns gleichermaßen der Grundsatz: Wo Werkvertrag draufsteht, muss auch ein Werkvertrag drin sein. Rechts- und sittenwidrige Gestaltungen von Werkverträgen lehnen wir ab.
Vor diesem Hintergrund ist es ein besonderer Verhandlungserfolg der CSU-Landesgruppe, dass der ursprünglich vorlegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze von Frau Bundesministerin Andrea Nahles und die darin vorgesehenen Vermutungstatbestände und Beweislastregeln sowie der praxisfremde Kriterienkatalog verhindert werden konnten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat den Entwurf komplett überarbeiten müssen. Bei den Werkverträgen wurde eine Lösung gefunden, die ausschließlich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abbildet. Diesen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften gefundenen Konsens haben wir mitgetragen.
Die von uns durchgesetzten Änderungen kommen auch Ihrem Anliegen entgegen. Das Gesetz zielt nicht darauf ab, die unternehmerische Tätigkeit beispielsweise von selbständigen Experten einzuschränken. Die Neuregelung steht dem sachgerechten Einsatz von Werk- und Dienstverträgen in den zeitgemäßen Formen des kreativen oder komplexen Projektgeschäfts nicht entgegen, wie sie zum Beispiel in der Unternehmensberatungs- oder IT-Branche in Optimierungs-, Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekten anzutreffen sind. Auch für solche Einsätze und für die Tätigkeit von Beratern kommen die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Dienst- und Werkleistungen auf der einen und Arbeitnehmerüberlassung auf der anderen Seite weiterhin zur Anwendung. Dabei wird zum Beispiel eine für die Tätigkeit eines Beraters typische Bindung hinsichtlich des Arbeitsorts an eine Tätigkeit im Betrieb des beratenen Unternehmens allein regelmäßig keine persönliche Abhängigkeit gegenüber letzterem begründen. Vielmehr bleibt entsprechend der bisherigen Praxis eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, ob unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers erfolgt. Vor diesem Hintergrund sehe ich keinen Grund für eine Revision des Gesetzes.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Stracke MdB