Frage an Stephan Stracke von Richard H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Herr Stracke,
wie können Sie als Volksvertreter einem Gesetz zustimmen das Gewerkschafts- und Bürgerrechte in einer Weise beschneidet daß noch vor dem Erlass desselben Verfassungsklagen angerdroht werden?
Wie argumentieren Sie bei einem Urtei des BVG dass dieses Gesetz GG-widrig ist?
Richard Hegenauer
Sehr geehrter Herr Hegenauer,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Gesetz zur Tarifeinheit.
Ich bin der Überzeugung, dass sich der Grundsatz, wonach in einem Betrieb nur eine einheitliche Tarifregelung angewendet werden darf, über Jahrzehnte bewährt hat. Die durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von Mitte 2010 notwendig gewordene Anpassung wurde nun mit dem am 22. Mai 2015 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz über die Tarifeinheit umgesetzt. Im Kern sieht das Gesetz vor, eine Regelung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip vorzunehmen. Für den Fall, dass sich mehrere Tarifverträge zeitlich, räumlich, fachlich und persönlich im Betrieb überschneiden, gilt nur der Tarifvertrag mit den meisten Mitgliedern im Betrieb. Tarifkollisionen in Betrieben sollen somit künftig gesetzlich aufgelöst werden, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern.
Das Arbeitskampfrecht wird durch das Gesetz zur Tarifeinheit nicht beeinträchtigt. Über die Recht- und Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erkämpft werden soll, wird weiterhin im Einzelfall von den Arbeitsgerichten zu entscheiden sein.
Unangetastet bleibt auch das Recht der Gewerkschaften, ihre jeweiligen Zuständigkeiten abzustimmen. Dies können sie beispielsweise durch Bildung einer Tarifgemeinschaft oder durch Absprachen untereinander erreichen. Auch gewerkschaftsinterne Schlichtungsverfahren bleiben weiter unangetastet.
Durch die Schaffung von Verfahrensrechten wird darüber hinaus den Belangen der Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft Rechnung getragen. Diese erhalten gegenüber der verhandelnden Arbeitgeberseite ein Anhörungsrecht. Zudem sind sie künftig berechtigt, den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft nachzuzeichnen.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass das hohe Gut des Betriebsfriedens und der Koalitionsfreiheit hier in einem Konflikt stehen. Der Betriebsfrieden hat uns in Deutschland eine jahrzehntelange und vorbildlich funktionierende Sozialpartnerschaft gebracht. Der Wert einer funktionierenden Sozialpartnerschaft ist ein Markenzeichen in Deutschland, um das uns die ganze Welt beneidet. Tarifkonkurrenz von Branchen- und Spartengewerkschaften könnten sich aufschaukeln. Dies kann zu einem Überbietungswettbewerb führen, indem der Betrieb nicht mehr zur Ruhe kommt. Die Tarifkonflikte in den vergangenen Wochen sind hier die Beispiele. Außerdem kann eine betriebliche Lohnpolitik nicht funktionieren, wo nur die einzelnen Machtpositionen von Berufsgruppen honoriert werden und eine Vielzahl von Interessenskonflikten in den Betrieb hineingetragen werden.
Allerdings ist hinzuzufügen, dass die Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz ein starkes Grundrecht ist. Jeder und jede Berufsgruppe hat das Recht, Gewerkschaften zu gründen. Diese haben das Recht, Tarifverträge für ihre Mitglieder zu schließen. Daher wurde das Arbeitskampfrecht im Gesetzentwurf bewusst nicht geregelt. Es ist lediglich eine Regelung vorgesehen, wie im Falle des Bestehens von mehreren miteinander konkurrierenden Tarifverträgen im Betrieb Lösungen gefunden werden. Das Zustandekommen und der Abschluss von Tarifverträgen werden nicht berührt.
Im Übrigen verweise ich Sie auf meine beiden Reden anlässlich der Beratungen des Gesetzes zur Tarifeinheit im Deutschen Bundestag, in denen ich ausführlich zur Frage der Tarifeinheit Stellung genommen habe. Sie finden meine Reden in der Mediathek des Bundestags hier: http://www.bundestag.de/mediathek/?isLinkCallPlenar=1&action=search&contentArea=details&ids=5117745&instance=m187&categorie=Plenarsitzung&destination=search&mask=search und hier: http://www.bundestag.de/mediathek/?isLinkCallPlenar=1&action=search&contentArea=details&ids=4698740&instance=m187&categorie=Plenarsitzung&destination=search&mask=search .
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Stracke, MdB