Frage an Stephan Mayer von Emese B. bezüglich Menschenrechte
Guten Tag Herr Mayer, wieso haben Sie sich im März diesen Jahres bei der Abstimmung über die Aufnahme von 5000 geflüchteten Menschen nicht an der Abstimmung beteiligt? Und was werden Sie jetzt - wo Moria abgebrannt ist und die schutzsuchenden Menschen Unterkunftslos geworden sind - tun, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern?
Sehr geehrte Frau Bodolay,
ich möchte mich ganz herzlich für Ihr Schreiben vom 11. September 2020 bedanken, in welchem Sie sich nach dem Grund meiner Abwesenheit an einer namentlichen Abstimmung des Deutschen Bundestages am 04. März 2020 sowie den Aktivitäten der Deutschen Bundesregierung im Kontext der dramatischen Situation auf den griechischen Inseln erkundigen.
Gleich zu Beginn erlaube ich mir zu betonen, sehr geehrte Frau Bodolay, dass ich es überaus zu schätzen weiß, dass Sie sich mit Ihren Fragen direkt an mich gewendet haben. Zunächst möchte ich Ihre wichtige Frage beantworten, aus welchem Grund ich für die namentliche Abstimmung zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Asylsuchende aus Griechenland“ beziehungsweise der Abstimmung zur Aufnahme von Asylsuchenden durch Kommunen am 04. März 2020 entschuldigt wurde.
Meine Abwesenheit bei dieser namentlichen Abstimmung liegt in dem Umstand begründet, dass ich in Vertretung des Innenministers Horst Seehofer, genauso wie Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Herrn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie weitere Politikerinnen und Politikern an diesem Tag an den zur selben Uhrzeit stattfinden Trauerfeierlichkeiten zum Gedenken an die Opfer des rassistischen Terror-Anschlages von Hanau teilgenommen habe. Am 19. Februar 2020 tötete ein 43-Jähriger Deutscher im hessischen Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen mit ausländischen Wurzeln und erschoss danach mutmaßlich seine Mutter und sich selbst. Aus diesem Grund wurde ich offiziell von der Teilnahme an der besagten namentlichen Abstimmung entschuldigt und bin mir sicher, sehr geehrte Frau Bodolay, dass Sie vollstes Verständnis für meine hierdurch bedingte Abwesenheit haben.
Zudem erkundigen Sie sich in Ihrem Schreiben, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreift, um die Situation auf den griechischen Inseln zu verbessern. Sehr geehrte Frau Bodolay, die Bilder nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria auf der Insel Lesbos erfüllen auch mich mit Schrecken und machen uns alle tief betroffen. Als Abgeordneter der CSU im Deutschen Bundestag ist es mir ein äußerst wichtiges Anliegen, die christlichen Werte wie Humanität und Nächstenliebe in der Politik zu vertreten. Für die CSU im Deutschen Bundestag ist genauso wie für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion als Ganzes klar, dass wir den Menschen in Griechenland nun so schnell wie möglich helfen müssen. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Brand machen erneut deutlich, wie dringend eine gemeinsame europäische Antwort in der Migrations- und Flüchtlingspolitik ist. Das Gebot der Stunde heißt jetzt Griechenland jede erforderliche Unterstützung vor Ort zukommen zu lassen.
Deutschland hat Griechenland bereits in der Vergangenheit auf vielfältige Weise unterstützt und das tun wir auch weiter. So wurden im Dezember 2019 insgesamt 55 LKW-Ladungen mit Hilfsgütern im Wert von 1,56 Millionen Euro für die schnelle Unterstützung bei der Unterbringung von bis zu 10.000 Personen an Griechenland übergeben. Zusätzlich beteiligte sich Deutschland im März 2020 im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens mit Hilfsgütern im Wert von 2,4 Millionen Euro für Griechenland. Schließlich wurden zuletzt im August 2020, mit Blick auf die Gefahr der Ausbereitung der Corona-Pandemie in den griechischen Aufnahmeeinrichtungen, 15.200 OP-Masken übersandt.
Auch in der aktuellen Situation helfen wir selbstverständlich erneut vor Ort. In der Nacht vom 10. auf den 11. September 2020 wurde der erste Hilfskonvoi des Technischen Hilfswerkes (THW) mit Zelten, Feldbetten, Schlafsäcken und anderen Materialen, die der Unterbringung der obdachlos gewordenen Menschen dienen, auf den Weg gebracht und ist dort inzwischen eingetroffen. Weitere Lieferungen von Hilfsgütern, unter anderem Sanitätscontainer, sind in den darauffolgenden Tagen entsandt worden oder werden in den nächsten Tagen auf den Weg gebracht. Auch andere EU-Mitgliedstaaten unterstützen Griechenland mit der Lieferung entsprechende Hilfsgüter. Sollte Griechenland weitere Unterstützung benötigen, steht Deutschland selbstverständlich weiterhin jederzeit bereit.
Wir belassen es aber nicht bei der Hilfe vor Ort. Auch die Aufnahme von Schutzsuchenden nach Deutschland ist ein ständiger und wesentlicher Bestandteil der Unterstützung unser griechischen Partner. So hat Herr Bundesinnenminister Horst Seehofer in der Umsetzung des Beschlusses des Koalitionsausschusses vom 08. März 2020 entscheiden, im Rahmen einer Europäischen Initiative 53 unbegleitete Minderjährige und 243 behandlungsbedürftige Kinder sowie deren Kernfamilie nach Deutschland zu holen. Zwischenzeitlich sind davon 125 Kinder und 396 Familienangehörige sowie die unbegleiteten Minderjährigen eingereist.
Ferner hat die Bundesregierung nach den schweren Bränden in der Unterkunft für Asylsuchende auf der Insel Lesbos am 15. September 2020 beschlossen, einen Beitrag zur Linderung der humanitären Notlage zu leisten und der griechischen Regierung anzubieten, 408 Familien - insgesamt 1.553 Personen – in Deutschland aufzunehmen. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Personen, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt waren und trotzdem noch in der Aufnahmeeinrichtung in Moria leben mussten. Des Weiteren hat Herr Bundesinnenminister Hort Seehofer bereits die unmittelbare Aufnahme von bis zu 150 der rund 400 unbegleiteten Minderjährigen von der Insel Lesbos zugesagt. Der Großteil der unbegleiteten Minderjährigen wird von Frankreich und Deutschland aufgenommen.
Die Bundesregierung hat angesichts der drängenden humanitären Lage auf den griechischen Inseln entschieden, das Angebot zur Aufnahme von 408 Familien (insgesamt 1.553 Personen) zu unterbreiten, noch bevor eine gesamteuropäische Lösung für weitere Asylsuchende gefunden wird. Sollte sich in den kommenden Tagen und Wochen eine solche Antwort unserer europäischen Partnerinnen und Partner abzeichnen, wird sich Deutschland auch hieran in einem seiner Größe und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden Rahmen beteiligen.
Bereits heute steht Deutschland bei der Übernahme von Flüchtlingen und Migranten von den griechischen Inseln in der europäischen Gemeinschaft klar an der Spitze, sehr geehrte Frau Bodolay. Das gilt übrigens auch generell in Bezug auf die Aufnahme von Asylbewerbern. Deutschland verzeichnet fortlaufend die meisten Asylanträge innerhalb der Europäischen Union. Allein seit 2015 wurden in Deutschland rund 1.73 Millionen Asylanträge gestellt. Im Jahr 2016 haben wir dabei mehr Asylsuchende aufgenommen als alle anderen 27 EU-Staaten zusammen. Dazu kommen die andauernden Resettlement- und humanitären Aufnahmeprogramme. Auch weltweit befindet sich Deutschland laut dem „Global Trends: Forced Displacement in 2019“ Report des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) auf Platz drei in der Liste der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge und Asylbewerber. Es kann also nicht behauptet werden, dass wir wegschauen und unserer humanitären Verantwortung nicht gerecht werden.
Bei allen Bemühungen zur Entlastung Griechenlands durch die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen müssen wir jedoch auch beachten, sehr geehrte Frau Bodolay, dass wir damit kein falsches Signal senden. Daher werden wir in sehr enger Abstimmung mit unseren griechischen Partnern dafür Sorge tragen, dass unsere Geste - die Aufnahme von 408 Familien im Kontext der aktuellen Situation auf den griechischen Inseln - nicht als Signal verstanden wird, dass Deutschland allein die humanitären Probleme zu lösen bereit ist oder dass gar über Brandstiftung der Weg nach Mitteleuropa eröffnet werden kann.
Da dies definitiv nicht der Fall ist, wird der Schwerpunkt unserer Hilfe weiterhin vor Ort liegen. Eine nachhaltige Lösung in der Migrations- und Flüchtlingspolitik werden kann meiner Ansicht nach nur auf europäischer Ebene durch eine echte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) erreicht werden. Damit die Lösung trägt, sind für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion insbesondere die folgenden vier Kernpunkte entscheidend:
1. Die EU braucht einen gemeinsamen, wirksamen Außengrenzschutz.
2. Asylgesuche müssen durchweg bereits an der europäischen Außengrenze gestellt und geprüft werden. Bei Nichtschutzbedürftigen muss eine Zurückweisung beziehungsweise Rückführung direkt von dort aus erfolgen.
3. Sekundärmigration muss innerhalb Europas mit wirksamen Maßnahmen unterbunden werden. Mitgliedstaaten, die einmal für Bewerber zuständig geworden sind, müssen hierfür dauerhaft zuständig bleiben. Anspruch auf Sozialleistungen darf es dann nur in diesen Staaten geben.
4. Jeder EU-Mitgliedstaat muss seiner Verantwortung gerecht werden und einen angemessenen Beitrag in Bezug auf die Verteilung beziehungsweise Versorgung der Schutzbedürftigen leisten.
Die nun von der Europäischen Kommission zusammen mit Griechenland angekündigte Errichtung eines europäisch finanzierten und gegebenenfalls auch durch die Europäische Union verwalteten Aufnahmezentrums für Migranten und Flüchtlinge auf Lesbos ist in meinen Augen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ein solches Zentrum würde die griechischen Behörden entlasten und einen wesentlichen Beitrag für die Europäisierung der Migrationspolitik darstellen.
Angesichts der umfassenden Herausforderung durch das Thema Migration und Flucht in einem Europa ohne Binnengrenzen ist ein gemeinsames europäisches Vorgehen zwingend erforderlich. Nationale Alleingänge können in meinen Augen nie mehr als ein Stückwerk sein, mit dem keine nachhaltige Lösung des Problems erreicht werden kann.
Aus diesem Grund lehne ich auch den Wunsch einiger Bundesländer und Kommunen ab, die Entscheidung zur Aufnahme von Asylbewerbern mehr oder weniger in eigener Regie vorzunehmen. Wenn Migranten und Flüchtlingen in Deutschland aufgenommen werden, hat das stets gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Anerkannte Flüchtlinge sind nicht dauerhaft zu einem Aufenthalt in der Kommune oder dem Bundesland verpflichtet, das sie ursprünglich übernommen hat. Ferner werden die Bundesländer bei den Kosten, beispielsweise für Unterbringung und Integration, massiv vom Bund unterstützt. Schließlich entfaltet die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen auch außenpolitische Wirkung. Das ist deutlich bei unseren Versuchen ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem voranzubringen zu spüren. Alleingänge auf Kommunal- oder Länderebene sind aus diesen Gründen meines Erachtens nicht sinnvoll.
Seien Sie versichert, sehr geehrte Frau Bodolay, dass sich die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag auch weiterhin für eine deutliche Verbesserung der humanitären Lage auf den griechischen Inseln im Rahmen einer gemeinschaftlichen und koordinierten Politik der Europäischen Union einsetzen wird.
Abschließend möchte ich nochmals betonen, sehr geehrte Frau Bodolay, dass ich es überaus zu schätzen weiß, dass Sie sich mit Ihren Fragen direkt an mich gewendet haben. Es ist mir insbesondere in den durch die Corona-Pandemie bedingten, für uns alle sehr herausfordernden Umständen, ein immens wichtiges Anliegen, ein Ansprechpartner für engagierte und interessierte Bürgerinnen und Bürger zu sein. Aus diesem Grund stehe ich Ihnen für weitere Fragen und kritische Anregungen selbstverständlich jeder Zeit sehr gerne zur Verfügung.
Ich wünsche Ihnen weiterhin alles erdenklich Gute für Ihre persönliche Gesundheit und die Ihrer Familienangehörigen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Stephan Mayer