Frage an Stephan Mayer von Alois A. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Mayer, können Sie mir sagen, warum der deutsche Bundestag beim Gesetz zum Schutz von Pauschalreisenden vor Insolvenz eine Deckelung beim Versicherungsschutz beschlossen hat, obwohl die EU-Kommision eine unbegrenzte Haftung der Versicherungsunternehmen vorgeschlagen hat. Das Gleiche gilt für die Haftung von Bilanzprüfern (z.B. EY), die nur in Höhe v.max.4 Mill. Euro haften, obwohl sie Firmen mit Mrd. Bilanzsummen prüfen. Wer soll hier geschützt werden?
Mit freundlichen Grüßen
A. A., Tyrlaching
Sehr geehrter Herr A.,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 2. August 2020, in welchem Sie sich vollkommen zurecht erkundigen, weshalb der Deutsche Bundestag beim Gesetz zum Schutz von Pauschalreisenden vor Insolvenz eine Deckelung beim Versicherungsschutz beschlossen hat. Es freut mich sehr, dass Sie sich mit diesem Thema kritisch auseinandersetzen und Sie mit Ihrem Anliegen an mich als direkt gewählten Bundestagsabgeordneten der Wahlkreise Altötting und Mühldorf am Inn vertrauensvoll herangetreten sind.
Im Folgenden möchte ich Ihnen sehr gerne meinen Standpunkt darlegen. Bedauerlicherweise ist insbesondere die Reise- und Tourismusbranche nach wie vor besonders hart von der Corona-Pandemie betroffen. Damit stehen tausende von Bürgerinnen und Bürgern deutschlandweit, deren EU-Pauschalreisen Corona-bedingt storniert wurden, vor der Problematik, inwieweit sie diesbezüglich ausreichend versichert sind. Selbstverständlich sind sich meine Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie insbesondere ich selbst über diese ungünstige Situation für die Verbraucherinnen und Verbraucher durchaus bewusst.
Zu Ihrer ersten Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass Reiseveranstalter nach § 651r des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) grundsätzlich gesetzlich zur Insolvenzabsicherung verpflichtet sind, wobei für die An- und Vorauszahlungen eine Haftungsbegrenzung für die Versicherer auf 110 Millionen Euro möglich ist. Der Gesetzgeber verfolgte mit dieser Regelung das Ziel einer adäquaten Haftungsbegrenzung unter Orientierung an bisher bekannten Insolvenzschäden in der Reisebranche von maximal 30 Millionen Euro. Der Gesetzgeber ist bei der Verabschiedung des Gesetzes davon ausgegangen, dass die vorgesehene Haftungssumme von 110 Millionen Euro ausreicht, da bisherige Insolvenzen von Touristikunternehmen deutlich darunter lagen. Eine völlig unbegrenzte Haftung kann zudem auch aus versicherungsmathematischer Sicht ein Problem darstellen.
In der Tat sieht die aktuell geltende EU-Pauschalreiserichtlinie keine festgelegte Deckelung beim Versicherungsschutz im Falle einer Insolvenz vor. Zur weiteren Veranschaulichung des Sachverhalts möchte ich Sie darüber hinaus auf die Antwort der Bundesregierung zum Thema „Kundengeldabsicherung bei Pauschalreisen“ vom 16. Dezember 2019 verweisen. Als Antwort auf die Frage, weshalb die Haftungsgrenze bei der Kundengeldabsicherung seit ihrer Einführung im Jahr 1994 niemals angehoben wurde, erklärt die Bundesregierung hierzu ihre Position. Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen und die damit verbundenen Reiseleistungen, hat sich die Bundesregierung intensiv mit der Frage der Insolvenzsicherung im Reiserecht auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang werden auf die entsprechenden Erwägungen verwiesen, die in der Begründung des Regierungsentwurfs eines „Dritten Gesetzes zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften“ in der Bundesdrucksache 18/108222 vom 11. Januar 2017 vorgelegt wurden. Laut diesen Ausführungen, die den Gesetzgeber bei der Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie von 1990 haben leiten lassen, gelten folgende Richtlinien:
Ø Versicherungen können Versicherungsschutz nicht unter unbegrenztem Einschluss des Haftungsrisikos anbieten. Der Gesetzgeber kann aber keine undurchführbare und unerreichbare Deckungsvorsorge vorschreiben (Bundestagsdrucksache 12/5354, S. 12). Aus diesem Grund wurde auch bei dem Zweiten Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften vom 23. Juli 2001 von einer Streichung der Höchstsumme Abstand genommen (Bundestagsdrucksache 14/5944, S. 11).
Ø Die derzeitige Obergrenze von 110 Millionen Euro ist nach wie vor ausreichend bemessen. In den Jahren seit 1994 betrug der höchste durch die Insolvenz eines Reiseveranstalters eingetretene Versicherungsschaden rund 30 Millionen Euro. Alle von einer Insolvenz betroffenen Reisenden konnten damit vollständig entschädigt werden. Dies belegt die Richtigkeit der Annahme des Gesetzgebers in den Jahren 1994 und 2001, dass eine Sicherungslücke zwar theoretisch, aber nicht faktisch besteht.
Ø Eines Inflationsausgleichs bedarf es nicht. Die Umsätze der Veranstalter sind zwar in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Zu berücksichtigen ist im Hinblick auf das Schadenspotential aber, dass in demselben Zeitraum die Vorauszahlungen der Reiseveranstalter an die Leistungserbringer stark zugenommen haben. Das Schadenspotential ist also nicht in gleicher Weise gestiegen wie der Umsatz, weil ein größerer Teil der Ansprüche von Leistungserbringern bereits bedient ist und sich im Insolvenzfall der mögliche Ausfall für die Kunden beziehungsweise den Absicherer entsprechend reduziert.
Ø Eine Anhebung der Obergrenze von 110 Mio. Euro ist auch deshalb nicht geboten, weil durch die Richtlinie neue Risiken hinzugetreten sind, die künftig ebenfalls abzusichern sind: Die Definition des Begriffs „Pauschalreise“ wird ausgeweitet, zudem kann auch bei der Vermittlung verbundener Reiseleistungen eine Pflicht zur Insolvenzsicherung bestehen. Diese Risiken wirken sich aber im Hinblick auf Großveranstalter kaum aus, die sich wegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Ferienhäusern (vgl. Begründung zu § 651a Absatz 2 BGB-E) derzeit regelmäßig sogar im Hinblick auf einzelne Reiseleistungen gegen Insolvenz absichern. Nur im Hinblick auf die abzusichernden Umsätze von Großveranstaltern ist es aber überhaupt vorstellbar, dass die Haftungsbegrenzung relevant werden kann. Die Kundengeldabsicherer kleinerer und mittlerer Unternehmer müssen ohnehin nur Ausfälle absichern, deren Volumen weit unterhalb der Summe von 110 Mio. Euro liegt.
Ø Danach erscheint es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erforderlich, die Haftungshöchstsumme von 110 Mio. Euro pro Versicherer und Jahr anzuheben. Die Entwicklung des Reise- und Versicherungsmarktes sollte aber sehr genau beobachtet werden, um auch künftig sicherzustellen, dass Reisende richtlinienkonform entschädigt werden.
Gerade im Rahmen der Thomas-Cook-Insolvenz im Jahr 2019 wurden die oberhalb ausgeführten Richtlinien allerdings stark in Frage gestellt. Die Fluglinie Thomas Cook war nach der EU-Pauschalreiserichtlinie dazu verpflichtet, die Vorauszahlungen von Reisenden gegen Insolvenz abzusichern. Dies geschah durch eine Kundengeldversicherung bei der Versicherungsgesellschaft Zurich plc, worauf die Kundinnen und Kunden auch vertrauten hatten. Die Versicherung hat sich jedoch nur auf die Haftungsbegrenzung in Höhe von 110 Millionen Euro pro Geschäftsjahr berufen, wobei sich der Haftungsschaden weit über dieser Summe erwiesen hat. Demnach hat die Bundesregierung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Sach- und Rechtslage entschieden, die Zahlungsausfälle der Pauschalreisenden aufgrund der Insolvenzen auszugleichen. Bis heute wirft dieser Fall eine Vielzahl von ungeklärten Rechtsfragen unter anderem auch dahingehend auf, inwieweit hier die EU-Pauschalreiserichtlinie mit der deutschen Rechtslegung kollidiert ist.
Ebenfalls erkundigen Sie sich danach, weshalb Bilanzprüfer momentan „nur“ in Höhe von vier Millionen Euro haften, obwohl diese Institutionen zugleich Firmen mit Milliarden Bilanzsummen prüfen. Wie Sie richtig schreiben, sehr geehrter Herr Aicher, ist die Haftungshöhe nach Paragraph § 323 im Handelsgesetzbuch von Bilanzprüfern aktuell auf vier Millionen Euro begrenzt. Aufgrund der Debatte im Wirecard-Skandal stehen diese Haftungsregeln hinsichtlich der korrekten Bilanzkontrolle nun auf dem Prüfstand. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat klar betont, dass die zivilrechtliche Haftung geprüft werden muss, um die Qualität der Abschlussprüfung langfristig zu verbessern. Dies setzt konkret und explizit auch eine Überprüfung der Haftungshöchstgrenze voraus. Demnach diskutieren die zuständigen Behörden und Ministerien wie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), das Bundesministerium für Finanzen (BMF) sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) momentan über wichtige Reformen in diesem Bereich, um zukünftig Vorfälle wie im Falle des Finanzdienstleisters Wirecard im Vorfeld zu vermeiden. Allerdings befinden sich diese Erörterungen in einem laufenden Verfahren und sind damit noch nicht abgeschlossen.
Nichtsdestotrotz möchte ich hier ganz klar betonen, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie insbesondere ich selbst im Laufe der nächsten Wochen weiterhin mit vereinten Kräften diesbezüglich für eine bestmögliche Reformen für alle beteiligten Akteure im Rahmen des parlamentarischen Prozesses einsetzen werden. Priorität muss hierbei sein, dass das Vertrauen in die deutschen Finanzmärkte wieder gestärkt wird.
Abschließend möchte ich Ihnen erneut meinen überaus großen Dank aussprechen, sehr geehrter Herr Aicher, dass Sie sich mit Ihrem Anliegen an mich gewendet haben. Gerade in dieser herausfordernden Zeit ist es mir ein immenses Anliegen für die Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis Alötting/Mühldorf am Inn als zuverlässiger Ansprechpartner fungieren zu können. Damit hoffe ich sehr, sehr geehrter Herr Aicher, Ihnen hinreichend auf Ihr Schreiben geantwortet zu haben. Selbstverständlich stehe ich Ihnen für weitergehende Fragen jederzeit sehr gerne zur Verfügung. Außerdem wünsche Ich Ihnen und Ihrer Familie von Herzen alles erdenklich Gute für Ihre Gesundheit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Stephan Mayer