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Stephan Mayer
CSU
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Frage von Johann H. •

Frage an Stephan Mayer von Johann H. bezüglich Bundestag

Sehr geehrter Hr. Mayer!

Durch die Coronakrise bekommen wir ein riesiges Haushaltsloch! Da wäre es höchste Zeit, den Bundestag zu verkleinern, der in letzter Zeit immer größer wurde!
Wie ist Ihre Meinung dazu?
Vielen Dank für Ihre Antwort!

Mit freundlichen Grüßen
J. H.

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Huber,
ich möchte mich ganz herzlich für Ihr Schreiben vom 27. Mai 2020 bedanken, indem Sie sich nach der Position der CSU und anderer Parteien bezüglich einer Wahlrechtsreform zur personellen Reduzierung des Bundestages erkundigen.
Zunächst erlaube ich mir, sehr geehrter Herr Huber, Ihnen einen Sachstand zum Thema zu geben. Der Bundestag hat seit seiner Wahl 2017 mit 709 Abgeordneten 111 mehr, als es die Regelgröße von 598 Sitzen vorsieht. Ursache hierfür ist der Ausgleichsmechanismus des Wahlsystems. Die verbreitete Meinung, dass ein Überhangmandat automatisch zu einem Ausgleichsmandat führt, ist hingegen falsch. Grundsätzlich hat der Ausgleichsmechanismus zum Ziel, dass jedes Mandat mit der gleichen Zahl an Zweitstimmen (Erfolgswert) gewonnen wird. Das System gleicht folglich Unterschiede des Erfolgswertes zwischen den Parteien aus. Überhangmandate können eine Ursache für diese Unterschiede sein, müssen es jedoch nicht. Weitere Verzerrungen ergeben sich beispielsweise durch unterschiedlichen Wählerzuspruch in den Bundesländern, unterschiedliche Wahlbeteiligungen oder der Anzahl von Parteien, die an der Sperrklausel scheitern und deren Stimmen des-wegen nicht berücksichtigt werden. Ein Reformbedarf wird von allen Parteien anerkannt. Die vom Bundestagspräsidenten eingesetzte Kommission zur Reform des Wahlrechts ist im April 2019 ohne Einigung auseinander gegangen. Als mögliche Lösung wurden seitdem verschiedenste Vorschläge unterbreitet.
Folgende Lösungsvorschläge werden in diesem Zusammenhang diskutiert:

1) Das Schäuble-Modell: Der Bundestagspräsident hat einen Vorschlag unterbreitet, der eine Reduzierung der Wahlkreise auf 270 vorsieht, sowie die Berücksichtigung von 15 ausgleichslosen Überhangmandaten.

2) Der Vorschlag von Grünen, FDP und Linke: Dieser Vorschlag sieht eine Reduzierung der Wahlkreise auf 250 vor, die Abschaffung der Ländersitzkontingente sowie eine Erhöhung der Regelgröße auf 630, womit sich das Verhältnis zwischen Direkt- und Listenmandaten noch weiter von der bisher geltenden Parität entfernt, als bei einer reinen Reduzierung der Wahlkreise.

3) Eine Nichtzuteilung von Direktmandaten: Unter anderem aus Teilen der SPD kommt der Vorschlag, Direktmandate als Überhangmandate nicht zuzuteilen. Verbunden wird dieser Vorschlag mitunter mit Ideen zur Einführung einer „Wahlkreisbestenliste“ oder die Rückkehr zum Einstimmen-System.

Warum ich diese Vorschläge als ungeeignet erachte, sehr geehrter Herr Huber, möchte ich Ihnen im Folgenden erläutern.
Reduzierung der Wahlkreise: Eine Reduzierung der Wahlkreise beinhaltet keine Garantie für einen kleineren Bundestag. Zum einen können Überhangmandate nicht gezielt verhindert werden, da Wahl-kreise aufgrund der Bevölkerungsgröße zugeschnitten werden. Es gibt also keine Garantie dafür, dass genau die Wahlkreise bei einer Reduzierung gestrichen werden, die bisher ein Überhangmandat darstellten. Abgesehen davon, dass man nicht wissen kann, wie der Wähler sich entscheidet und Überhangsituationen überhaupt wieder gleich auftreten werden. Im Zweifel würde man also eine bestimmte Zahl von Wahlkreisen streichen, die ohne jede Relevanz in Bezug auf die Vergrößerung des Bundestages sind. Das Direktmandat wäre damit aber beschädigt. Zum anderen ist es nicht ausgeschlossen, dass auch bei einer Zahl der Wahlkreise von 250 oder 270 der Bundestag am Ende mehr als 700 Sitze hat, sofern entsprechende Unterschiede im Erfolgswert bestehen, die auszugleichen sind.
Nichtzuteilung von Direktmandaten: Dies widerspricht allen Regeln, die das personalisierte Verhältniswahlrecht bisher ausgemacht haben und läuft am Ende auf die Abschaffung des Direktmandates hinaus. Die Nichtzuteilung von gewonnenen Direktmandaten ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig. In jedem Fall ist dies aus demokratietheoretischer Sicht abzulehnen. Es ist dem Wähler meiner Meinung nach nicht zu erklären, weshalb der siegreiche Kandidat seines Wahlkreises im Zweifel doch nicht in den Bundestag einziehen soll und der Wahlkreis dann keinen direkt gewählten Abgeordneten hat und entsprechend auch nicht repräsentiert ist.
Die Bedeutung des Direktmandats: Die oben beschriebenen Vorschläge zielen insgesamt alle auf das Direktmandat. Dabei stellt das Direktmandat das Sinnbild des freien und unabhängigen Abgeordneten dar, so wie es im Grundgesetz verbrieft ist. Richtig ist, dass alle Abgeordneten dem Wohle des Landes und den Interessen der Bürger verpflichtet sind. Der direkt gewählte Abgeordnete steht jedoch in einem besonderen Verhältnis zu den Bürgern seines Wahlkreises. Sie entscheiden in der Wahl direkt über seine Person und der direkt gewählte Abgeordnete muss sich alle vier Jahre im direkten Wettbewerb dem Votum der Wähler stellen. Dies macht das Direktmandat gleichzeitig etwas unabhängiger gegenüber der Partei. Zugleich ist das Direktmandat das Scharnier zwischen dem Wahlkreis und Berlin. Es fungiert als Sprachrohr in beide Richtungen. Die Bürger haben einen direkten Ansprechpartner und der Abgeordnete kann das Handeln in Berlin zurückspiegeln und erklären.
Aus diesem Grund hat die CSU einen konkreten Vorschlag vorgelegt, der im Wesentlichen auf zwei Säulen steht:
1. Wir wollen ein arbeitsfähiges Parlament. Dafür wollen wir die Größe des Deutschen Bundestags bei einer Größe von maximal 650 Abgeordneten deckeln. Um diese Höchstgrenze einzuhalten, schlagen wir vor, die Mandate bei jeder Partei entsprechend dem Wahlergebnis proportional herunterzurechnen.
2. Wir wollen ein bürgernahes Parlament. Deshalb wollen wir die 299 Wahlkreise, die es bisher gibt, beibehalten. Weniger Wahlkreise bedeuten im Ergebnis mehr Bürgerferne – und genau das müssen wir vermeiden. Wir brauchen Abgeordnete, die vor Ort präsent und für die Menschen ansprechbar sind.
Fakt ist auch: Die Zahl der Abgeordneten ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen, während die Anzahl der Wahlkreise gleichgeblieben ist. Bei der Wahl 2002 gab es bei 299 Wahlkreisen 603 Bundestagsabgeordnete. Bei der letzten Bundestagswahl 2017 gab es immer noch 299 Wahlkreise, aber im Bundestag sitzen aktuell 709 Abgeordnete. Das zeigt: Die Wahlkreise sind nicht das Problem. Wer den Bundestag wirklich begrenzen will, muss bei den Listenmandaten ansetzen und nicht bei den Wahlkreisen.
Wir müssen außerdem aufpassen, dass wir bei der Wahlrechtsreform demokratische Grundsätze wahren. Das gilt besonders für den Vorschlag, die Größe des Bundestages zu begrenzen, indem – nach der Wahl – gewählte Direktkandidaten nicht in den Bundestag einziehen und so einzelne Wahlkreise nicht in Berlin vertreten sind. Das grenzt an die Annullierung von Wahlen und ist mit unserem Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren. Wer im Wahlkreis gewählt ist, muss auch in Berlin in den Bundestag einziehen.
Wir als CSU im Bundestag wollen ein Wahlrecht, bei dem die Größe des Bundestages eine klare Höchstgrenze hat und bei dem demokratische Grundsätze, Bürgernähe und Arbeitsfähigkeit vollumfänglich gewährleistet sind. Dafür streiten wir in Berlin und wir freuen uns, Sie dabei an unserer Seite zu haben.
In meinen Augen zeigen Grüne, FDP und Linke mit Ihren Ansätzen und Ihrer Kritik an dem Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass sie das Wahlsystem nicht verstanden haben. Wer trotz der derzeitigen Wahlumfragen eine Reduzierung der Wahlkreise fordert, weil angeblich nur so eine Verkleinerung des Bundestages möglich sei, offenbart seine Unwissenheit. Grüne, FDP und Linke müssen daher endlich ihre Blockade aufgeben, dass eine Reform zwingend eine Reduzierung der Wahlkreise beinhalten muss. Seit Monaten weisen wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion daraufhin, dass der Ausgleich in keinem direkten Verhältnis zur Zahl der Wahlkreise beziehungsweise zum Vorhandensein von Überhangmandaten steht. Die derzeitigen Prognosen liefern eindrucksvoll den Beweis. Abgesehen davon, dass seit Wochen keine Umfrage mehr zu einem größeren Bundestag als 700 geführt hätte, wäre nicht die Union für die Vergrößerung verantwortlich, sondern Linke und AfD. Dabei hätte die Linke kein Überhangmandat, die AfD eins. Und dennoch würde es zu einer Vergrößerung des Bundestages um 40 Mandate kommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion appelliert daher immer wieder an Grüne, FDP und Linke ihre Blockadehaltung aufzugeben und endlich an einer ernsthaften Reform zu arbeiten, die die Ursachen und Folgen des Ausgleichs in den Blick nimmt. Wer aktuell nach wie vor ausschließlich eine Lösung nur in der Reduzierung von Wahlkreisen sieht, offenbart, in meinen Augen, worum es ihm wirklich geht: Die Zerschlagung der Wahlkreise und damit der Einstieg in den Ausstieg des Direktmandats.
Ich hoffe nun, sehr geehrter H. H., dass ich Ihre Fragen mit meinen Ausführungen hinreichend beantworten und auch meine persönliche Position zum Thema Wahlrechtsreform deutlich machen konnte.
Abschließend möchte ich betonen, sehr geehrter H. H., dass ich es überaus zu schätzen weiß, dass Sie sich mit Ihrer wichtigen Frage direkt an mich gewendet haben. Es ist mir insbesondere in den durch die Corona-Pandemie bedingten, für uns alle sehr herausfordernden Zeiten, ein immens wichtiges Anliegen, ein Ansprechpartner für engagierte und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger aus meiner bayerischen Heimat zu sein. Mir ist bewusst, dass Sie - genauso viele andere Menschen in Deutschland - mit vollkommen neuen und teilweise existentiellen und menschlich äußerst belastenden Herausforderungen konfrontiert sind. Aus diesem Grund stehe ich Ihnen für weitere Fragen und auch gerne kritische Anregungen selbstverständlich jeder Zeit sehr gerne zur Verfügung.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie weiterhin ein gutes Durchhaltevermögen und von Herzen alles erdenklich Gute für Ihre persönliche Gesundheit und die Ihrer Familienangehörigen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr

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