Frage an Stephan Harbarth von Martin H. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Dr. Harbarth,
haben Sie Dank für Ihre Antwort auf meine Frage vom 8.10., in der Sie darlegen, dass der Angriff der USA auf den Irak womöglich nicht völkerrechtswidrig war, weil das Völkerrecht keine klaren Aussagen über Angriffskriege enthält, und weil der Sicherheitsrat der VN eine nicht eindeutige Resolution verabschiedet hat.
Meine Frage zielte aber in erster Linie auf die Vereinbarkeit des Krieges mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz ist ja aufgrund der deutschen Erfahrungen mit Angriffskriegen wesentlich restriktiver als die Verfassungen anderer Länder, und wohl auch restriktiver als die Praxis des Sicherheitsrats. Oder würden Sie sagen, dass der Angriff der USA auf den Irak möglicherweise kein Angriffskrieg im Sinne von Art. 26 Abs. 1 GG war?
Wenn der Irak-Krieg kein Angriffskrieg im Sinne des GG war, welche Art von Angriffskrieg würde dann von dem Grundgesetz-Artikel ausgeschlossen werden? Nur solche Kriege, die nicht vom Sicherheitsrat gutgeheißen werden? Das würde ja bedeuten, dass der Sicherheitsrat über dem Grundgesetz steht, und das ist mit der Souveränität der Bundesrepublik unvereinbar.
Wäre es nicht ehrlicher, wenn diejenigen Bundestagsabgeordneten, die kein Problem damit haben, dass ein Verbündeter von Deutschland aus Angriffskriege führt, sich dafür einsetzen würden, dass Art. 26 Abs. 1 abgeschafft wird, und damit der Zustand vor 1949 wiederhergestellt wird? Unsere Verbündeten hätten damit sicher auch kein Problem mehr.
Als Verfassungspatriot finde ich diese Fragen extrem wichtig, und über eine Antwort würde ich mich deshalb sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath
Sehr geehrter Herr Prof. Haspelmath,
vielen Dank für Ihre erneute E-Mail vom 10. November 2010.
Bereits die Bundesanwaltschaft lehnte in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Irakkrieg wiederholt Ermittlungen wegen der Vorbereitung eines Angriffskrieges ab, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte gegeben waren, die einen Anfangsverdacht begründen könnten. Nach den Worten der Bundesanwaltschaft müsse § 80 des Strafgesetzbuchs, der für die Vorbereitung eines Angriffskriegs lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren vorsieht, einschränkend ausgelegt werden. Der Tatbestand setze voraus, dass die Bundesrepublik Deutschland als Krieg führende staatliche Macht unter Einsatz ihrer Streitkräfte oder in vergleichbar massiver Weise beteiligt sei. Die Vorschrift geht auf das erwähnte Verbot des Angriffskriegs in Artikel 26 GG zurück.
Die damalige rot-grüne Bundesregierung habe dagegen lediglich US-amerikanische Militäraktivitäten (Awacs-Einsätze) in Deutschland geduldet und ansonsten eindeutig erklärt, sich nicht an einem Militärschlag zu beteiligen. Die Awacs-Einsätze dienten ersichtlich dem Schutz der türkischen Staatsgrenze und seien deshalb keine von deutscher Seite betriebene völkerrechtswidrige Aggression.
Die Frage, ob der US-amerikanische Militärschlag „ohne oder gegen den Willen des Sicherheitsrats“ völkerrechtlich zulässig sei, müsse laut Bundesanwaltschaft bei der Prüfung des § 80 StGB nicht entschieden werden.
Eine Streichung von Artikel 26 GG würde ich strikt ablehnen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Harbarth