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Sabine Bätzing-Lichtenthäler
SPD
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Frage von Tino W. •

Frage an Sabine Bätzing-Lichtenthäler von Tino W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Bätzing,

mich würde interessieren wie sich Ihrer Meinung nach die Kriminalisierung und Verfolgung von Drogenabhängigen, insbesondere Heroinabhängigen, mit unserer freiheitlichen Grundordnung vereinbaren lässt. Wenn ich mir unser Grundgesetz anschaue, finde ich da Sätze wie:

§2.1 Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt [...]

und

§3.3 [...] Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Nun ist ja nach dem Stand der Wissenschaft eine Suchterkrankung keine Charakterschwäche sondern eine psychische Störung. Und wie die Studien zur heroingestützten Behandlung gezeigt haben ist es durchaus möglich gleichzeitig heroinabhängig und sozial integriert zu sein, einer geregelten Arbeit nachzugehen, etc.

Allein durch den Konsum von Heroin wird also kein Dritter in seinen Rechten und Freiheiten eingeschränkt. Es entsteht auch offenbar nicht zwangsläufig ein Schaden für den Einzelnen oder für die Gesellschaft. Dazu kommt es offenbar erst wenn Suchtkranke gezwungen sind unter den Bedingungen der Prohibition zu leben. Erst mit der Einführung der Drogenprohibition ist es zu der Verelendung und Kriminalität gekommen die heute weitläufig mit Drogenkonsum assoziiert werden.

Muss man beim heutigen Wissensstand nicht einräumen dass die Politik eine Mitschuld trägt am Leid derer die ob ihrer Erkrankung gezwungen sind ein Leben in Illegalität und Mittellosigkeit zu führen? Wie sehen Sie das?

Mit freundlichem Gruß,
Tino Walser

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Walser,

es besteht für mich überhaupt kein Zweifel daran, dass eine Heroinsucht eine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt. Heroin hat die stärkste Suchtpotenz aller im Betäubungsmittelgesetz genannten Stoffe, und das Risiko schwerster psychischer und physischer Schäden durch den Konsum von Heroin ist sehr hoch. Die Übersterblichkeit von Heroinkonsumenten verglichen mit der altersentsprechenden Gesamtbevölkerung ist bei Männern und das 12fache, bei Frauen um das 29fache erhöht. Die Bundesrepublik hat sich daher im Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe von 1961 und im Suchtstoffabkommen 1988 zusammen mit den anderen Vertragsstaaten verpflichtet, die Verwendung von Suchtstoffen auf Medizin und Wissenschaft zu beschränken. Die Existenz eines "Rechts auf Rausch", wie Sie es aus Artikel 2.1 des Grundgesetzes ableiten möchten, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Cannabisentscheidung aus dem Jahr 1994 ausdrücklich verneint (BVerfGE 90, 145 vom 9.3.1994). Die Strafbarkeit der Herstellung, des Handels und des Besitzes stellt ein starkes und wirksames Mittel dar, um das Risiko einer Suchterkrankung zu verringern. Dies richtet sich in erster Linie gegen den gewerbsmäßigen Handel, nicht gegen die einzelne Konsumentin oder den einzelnen Konsumenten. Mindestens ebenso wichtig für die Vermeidung und die Behandlung einer Heroinsucht sind aber auch die Aufklärung über die Wirkungen und das Suchtpotenzial des Heroins. Wer an einer Heroinsucht erkrankt, sollte jede Hilfe bekommen, um eine Therapie beginnen zu können (wobei die Abstinenz letztlich immer das Therapieziel sein sollte), seine gesundheitliche Situation zu erhalten und zu verbessern sowie jede Hilfe, sozial integriert zu bleiben. Ich setze mich daher auch für den medizinischen Einsatz von Diamorphin zur Substitution bei besonders schweren Fällen von Heroinsucht ein. Es ist zwar für viele psychoaktive Substanzen durchaus denkbar, langfristig durch Aufklärung und akzeptable Kontrollmechanismen weniger riskante Konsummuster zu erreichen. Aber bis dahin ist es ein sehr weiter Weg, der mit der gesamten Bevölkerung abgestimmt werden muss.

Mit freundlichen Grüßen
Sabine Bätzing

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