Frage an Reinhard Bütikofer von Kai M. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrter Herr Bütikofer,
vor wenigen Tagen fand der EU-Westbalkangipfel statt. Zu den Westbalkanstaaten zählt auch Albanien. Albanien wiederum ist Mitglied der "Organisation der islamischen Konferenz" (heute: Organisation für islamische Zusammenarbeit). Diese verabschiedete u.a. die sogenannte Kairoer Erklärung der Menschenrechte. Diese stehen unter dem "Schariavorbehalt" - das heisst: Die aufgeführten Grundrechte gelten nur so weit, wie sie sich mit den Regelungen der Scharia in Einklang befinden.
Leiten Sie aus dieser Tatsache mögliche grundsätzliche Probleme für einen Beitritt Albaniens zur EU ab? Wurde das Problem der Vereinbarkeit von europäischem Menschenrechtsverständnis und islamischer Grundhaltung hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte erkannt bzw. bei dem Gipfel thematisiert? Welche Haltung haben Sie persönlich hinsichtlich dieser Frage?
Für Ihre Antwort bedanke ich mich vorab mit freundlichen Grüssen
K. M.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kairoer_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte_im_Islam
https://de.wikipedia.org/wiki/Organisation_f%C3%BCr_Islamische_Zusammenarbeit
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich war während des Gipfeltreffens EU-Westbalkan nicht vor Ort in Sofia und habe auch keinen Hinweis darauf, ob die Kairoer Erklärung der Menschenrechte hier Thema war.
Im Bericht der Europäischen Kommission vom 17. April 2018 zu Albanien, in welchem dem Rat empfohlen wird, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, steht jedoch Folgendes: "The legal framework for the protection of human rights is broadly in line with European standards and Albania has ratified most international human rights conventions" (der Bericht ist hier zu finden: https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-albania-report.pdf, mit dem entsprechenden Zitat auf den Seiten f.). Selbstverständlich gilt, wie auch in der gemeinsamen Erklärung von Sofia formuliert, dass sich jedes Beitrittsland zu den europäischen Werten und Grundsätzen bekennen muss. Dies hat Albanien u. a. durch Unterstützung der genannten Erklärung getan.
Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet jedermann Religionsfreiheit, jedoch darf geltendes EU-Recht nicht durch religiöse Regeln eingeschränkt oder sogar aufgehoben werden, ein Scharia-Vorbehalt ist somit ausgeschlossen. Dies gilt im Falle eines Beitritts natürlich auch für Albanien. Ich lehne es allerdings ab, die Gespräche abzubrechen, und würde es begrüßen, wenn der Rat im Juni, wie von der Kommission empfohlen, Beitrittsverhandlungen aufnähme. Die Zögerlichkeit der EU destabilisiert die Gesellschaften auf dem Westbalkan und schafft Raum für die Einmischung Russlands, Chinas oder der Türkei.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben. Bei weiteren Rückfragen wenden Sie sich gerne erneut an mich.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Bütikofer