Frage an Reinhard Bütikofer von Oliver T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bütikofer,
ich bin überzeugter Europäer und manchmal auch Grünen-Wähler. Ich bin empört, dass sich die EU nicht auf eine einheitliche Linie zu den Ereignisse in Nordafrika und der arabischen Welt festlegen kann. Es darf nicht wahr sein, dass jungen Menschen wie mir auf der einen Seite Demokratie und Freiheit gepredigt werden und auf der anderen Seite Diktatoren mit Entwicklungshilfen gepäppelt werden. Und sobald sich das Blatt wendet und die Araber sich von ihren Fesseln befreien, kommt nichts weiter als halbgare Kommentare, es sollten doch eventuell ein paar Reformen erfolgen, wenn es keine Umstände macht. Der Westen macht sich in der arabischen Welt endgültig unmöglich. Diese Leute brauchen jetzt klare Entscheidungen.
Mubarak sollte klar gesagt bekommen, dass er:
1. Keinen Eurocent mehr aus der EU zu erwarten hat.
2. Seine Regierungsvertreter diplomatisch aberkannt sind und Einreiseverbot in die EU haben.
3. Seine europäischen Privatkonten gesperrt sind.
4. EU-Truppen auf der Matte stehen, sollte er Armee/Polizei gegen eigene Leute einsetzen.
Wir führen 10000km von Europa entfernt einen Krieg, den wir nicht verstehen, den wir nicht gewinnen können und der unserem Ansehen schadet. Die Afghanen werden in absehbarer Zeit keine funktionierende Demokratie aufbauen, dank grassierender Korruption und Drogengeschäften. Aber demokratisch orientierte Umstürze unmittelbar vor unserer Haustür, da wird geduckmäusert, sich hinter diplomatischen Floskeln versteckt. Dabei kommt so eine Gelegenheit für die Ägypter und für den Westen vielleicht nicht wieder. Es braucht klare Aussagen, dass wenn die Revolution vorbei ist, der erste gewählte Premier in Europa vor offenen Türen steht. Dass wir bei der Finanzierung und Organisation von Wahlen helfen werden, wenn das Volk die Drecksarbeit erledigt. Normalerweise müsste es jetzt in Tunesien vor EU-Diplomaten und EU-Beratern wimmeln.
Etwas ungehalten, aber mit freundlichem Gruß, Oliver.
Sehr geehrter Herr Thamm,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich kann Ihre Empörung über die Haltung der EU während der Proteste in Ägypten in weiten Teilen nachvollziehen.
Wir Grüne haben schon oft die europäische Doppelmoral in der Außenpolitik kritisiert. Rhetorisch werden Freiheit und Demokratie zur zentralen Säule des europäischen Handelns erklärt, während in der Realität zu oft die Unterstützung von Diktatoren aus wirtschafts- und sicherheitspolitischen Überlegungen über die Interessen der Bevölkerung gestellt wird. Deshalb hat sich die Grüne Fraktion z.B. auch schon im November vergangen Jahres dafür eingesetzt die manipulierten Wahlen in Ägypten öffentlich anzuprangern. Jedoch lehnte eine große Mehrheit im Europäischen Parlament diesen Antrag ab.
Gleich zu Beginn der Proteste in Ägypten setzten wir Grüne uns wiederum wiederholt für einen klaren Politikwechsel der EU gegenüber Mubarak ein und forderten statt dessen eine deutliche Unterstützung des friedlichen Übergangs zur Demokratie. Daher beantragte unsere Fraktion eine Debatte im Europäischen Parlament auf der sich Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, zur EU Politik gegenüber Ägypten verantworten musste. In ihrer Erklärung konnte Ashton jedoch nicht über die fehlerhafte europäische Außenpolitik noch über ihre persönlichen Versäumnisse hinwegtäuschen. Die Außenpolitik der EU blieb entgegen unserer Forderungen weiterhin zwiespältig und scheute vor einer Rücktrittsforderung an Mubarak zurück. In den Parlamentsdebatten und den Medien setzten wir Grüne uns weiterhin für eine Neuausrichtung der EU Politik gegenüber Ägypten ein.
Die historischen Ereignisse waren jedoch schneller. Mubarak ist längst zurück getreten. Unser Hauptanliegen ist jetzt den demokratischen Wandel in Ägypten konstruktiv zu begleiten und zu unterstützen. Die finanziellen Mittel für Ägypten und Tunesien müssen dementsprechend aufgestockt werden. In dieser Hinsicht stimmen wir Catherine Ashton zu, die europäische Kredite in Höhe von insgesamt zwei Milliarden Euro für Tunesien und Ägypten fordert. Die Mittel müssen dem Aufbau der Demokratie und die Sicherung der Grundfreiheiten und -rechte, insbesondere auch der Rechte der Frauen, zu Gute kommen.
Darüber hinaus drängen wir Grünen zusätzlich auf die Ernennung eines EU-Sondergesandten und die Einrichtung einer Task Force. Diese sollen den Transformationsprozess neben dem finanziellen Beitrag, auch personell vor Ort aktiv unterstützen.
Bezüglich der von Ihnen aufgeführten Forderung das Mubarak Regime solle keine weiteren EU-Mittel erhalten, kann ich Ihrer Kritik nur zustimmen. Zu lange wurde mit EU Geldern der Diktator Mubarak unterstützt. Über die vorherige Verwendung von EU Mitteln in Ägypten und Tunesien haben die Grünen am 31. Januar eine schriftliche Anfrage an die Kommission gestellt und Aufklärung über die Verwendung der Gelder gefordert. Den Wortlaut der Anfrage finden Sie unter:
http://greens-efa.eu/cms/topics/dokbin/369/369238.eu_financial_support_to_tunisia_and_egyp@de.pdf
Ihre Meinung, dass Mubaraks Regierungsvertretern der Diplomatenstatus aberkannt und ein Einreiseverbot die EU erteilt werden sollte, teile ich auch nachträglich nicht. Besonders während der Proteste war es wichtig den Dialog und persönlichen Kontakt mit Mubarak bzw. seinen Regierungsvertretern aufrechtzuerhalten und dadurch zu versuchen Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen. Weitreichende Schritte, wie das Aberkennen des Diplomatenstatus, sind in solchen Fällen, meiner Meinung nach, eher kontraproduktiv.
Hinsichtlich der Sperrung der europäischen Privatkonten von Mubarak würde ich sogar noch einen Schritt weiter gehen. Nicht nur das Vermögen von Mubarak, sondern das der gesamten ehemaligen Führungselite sollte bis auf weiteres eingefroren werden, bis nachgewiesen wird, woher die Gelder stammen. Erst wenn ausgeschlossen werden kann, dass die Gelder aus öffentlichen Mitteln veruntreut worden sind, sollten die Konten wieder zugänglich gemacht werden.
Zu Ihrem letzten Punkt, dem Einsatz von "EU-Truppen" falls Armee oder Polizei gegen die ägyptische Bevölkerung eingesetzt wird, ist zunächst schlicht festzustellen, dass die EU weder selbst über Truppen verfügt, noch kann sie über den Einsatz von Truppen der Mitgliedsländer entscheiden.Die Entscheidung liegt alleine bei den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten. Zweitens kann der Einsatz fremder Truppen in einem anderen Staat nach dem Völkerrecht nur von dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beziehungsweise durch die Erklärung der Responsibilty to Protect durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen legitimiert werden. Soweit mir bekannt ist, gab es zu keinem Zeitpunkt eine Bitte der ägyptischen Bevölkerung um militärische Hilfe.
Im neuen Fall des Konflikts in Libyen unterstütze ich daher den Beschluss des Sicherheitsrates zur Einrichtung einer Flugverbotszone. Ich hatte mich auch schon davor dafür eingesetzt.
Die EU-Außenpolitik, vertreten durch Catherine Ashton, hat nach Meinung der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament bisher keine gute Figur gemacht. Besonders deutlich ist dies durch die demokratischen Transformationsprozesse in den arabischen Staaten und Nordafrika geworden. Den Wandel in diesen Ländern sollten wir daher auch zu einem Wandel in der EU-Außenpolitik nutzen. Wir Grüne setzen uns daher für eine einheitlichere und auf demokratische Werte aufbauende EU-Außenpolitik ein.
Insbesondere angesichts der dramatischen Entwicklungen und der Kampfhandlungen in Libyen müssen wir uns auch vergegenwärtigen, dass über viele Jahre mehrere EU Mitgliedsländer Waffen an Libyen geliefert haben, obwohl dies dem EU Verhaltenscodex für Waffenexporte widersprach. Eine strengere Reglung für Waffenexporte ist daher dringend notwendig.
Ich möchte mich noch einmal für Ihre Anfrage zu diesem Thema bedanken und hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Bütikofer