Frage an Patrick Schnieder von Frank S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. Die von Ihnen angesprochenen "konträren Auffassungen anderer Völkerrechtler" sind mir nicht bekannt. In der Bundespressekonferenz wurde auf "andere Recherche-Ergebnisse" hingewiesen, die dazu vorlägen. Diese konnten aber auch auf Nachfrage nicht benannt werden. Vielleicht können Sie mir kurz entsprechende Links oder Namen der Autoren zukommen lassen.
Wenn New York Times und Washington Post unwidersprochen über die Cyberangriffe der USA berichten, kann man wohl davon ausgehen, dass dies keine Fake - News sind. Auf eine offizielle Bestätigung werden wir alle lange warten können.
Wie nun in Griechenland zu sehen ist, droht der Flüchtlings-Deal mit der Türkei zu scheitern.
Die Türkei hatte sich verpflichtet, die Grenzen zu schließen und diejenigen, die es dennoch nach Griechenland schaffen, aber nicht asylberechtigt sind zurückzunehmen.
Die EU hatte sich zur Zahlung von Milliarden für die Kosten der Unterbringung und die Abschaffung der Visa-Pflicht für Türken bei der Einreise in die EU verpflichtet. Die versprochene Summe wurde nicht vollständig bezahlt. Die Visa-Pflicht wurde bis heute nicht abgeschafft. Zudem hielt man es seitens der EU für einen guten Zeitpunkt, der Türkei Sanktionen bezüglich der Gasförderung in der Nähe von Zypern anzudrohen. Haben Sie Verständnis für die Haltung der EU, die Summe nicht vollständig zu zahlen und die versprochene Befreiung von der Visa-Pflicht trotz Zusage nicht umzusetzen? Oder ist nicht vielmehr die Haltung der Türkei verständlich, die nach jahrelangem Warten nun ungeduldig wird? Werden Sie auch, wie der größte Teil der deutschen Medien, mit völligem Unverständnis darauf reagieren, wenn die Türkei die Grenzen wieder öffnet und die Flüchtlingszahlen wieder ganz steil nach oben zeigen? Die Türkei hatte übrigens bereits im Juli mitgeteilt, dass der Deal aufgrund der Nichteinhaltung der Vereinbarungen seitens der EU auf der Kippe steht.
Sehr geehrter Herr S.,
gerne lege ich Ihnen die von mir angesprochenen konträren völkerrechtlichen Auffassungen näher dar.
1. Anerkennung von Juan Guaidó als Übergangspräsident Venezuelas
Eleanor Benz und Nils Grohmann vom Lehrstuhl für Völkerrecht der Uni Potsdam erläutern in einem Beitrag für die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. die Unterschiede einer politischen Anerkennung eines Staatsoberhaupts sowie einer Anerkennung de jure durch einen anderen Staat (https://bit.ly/2mdfdCy). Benz und Grohmann verdeutlichen in diesem Zusammenhang ebenfalls die unterschiedliche völkerrechtliche Einordnung der jeweiligen Anerkennungspraxis. Die Bundesregierung hat Juan Guaidó politisch als Interimspräsidenten anerkannt. Eine staatliche Anerkennung blieb jedoch aus. Dies ist beispielsweise daran erkennbar, dass die Bundesregierung den Gesandten von Juan Guaidó nicht als Botschafter in Deutschland anerkannt hat. Insofern entwickelt sich aus der politischen Anerkennung durch die Bundesregierung keine völkerrechtliche Wirkung.
2. Bundeswehreinsatz in Syrien
Hinsichtlich des Bundeswehreinsatzes in Syrien ist zunächst festzuhalten, dass dieser Teil der Combined Joint Task Fore – Operation Inherent Resolve ist und somit im Rahmen der Bekämpfung der Terrororganisation „Islamischer Staat“ sattfindet. Das von Ihnen zitierte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes befasst sich hingegen mit Rechtsfragen eines hypothetischen Einsatzes der Bundeswehr an möglichen Militäranschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime.
Der Einsatz der Bundeswehr findet seine Grundlage im Recht auf kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51 VN-Charta. Nach den terroristischen Anschlägen von Paris am 13. November 2015 hat sich mit Frankreich zudem erstmals ein EU-Mitgliedstaat auf die in Art. 42 Abs. 7 EUV verankerte Beistandsklausel berufen. Auf dem Treffen der EU-Außenminister am 17. November 2015 haben alle EU-Mitgliedsländer den französischen Antrag unterstützt und Frankreich ihre Solidarität zugesichert. Eine weitere Grundlage findet der Einsatz in der Resolution 2249 (2015) des Sicherheitsrates der VN. Diese fordert die Mitgliedsstaaten auf, „unter Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen sowie der internationalen Menschenrechtsnormen, des Flüchtlingsvölkerrechts und des humanitären Völkerrechts, in dem unter der Kontrolle von IS stehenden Gebiet in Syrien und Irak alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden, die insbesondere von IS und anderen terroristischen Gruppen begangen werden.“
Samantha Arrington Sliney von der University of Miami Law School erläutert, warum Artikel 51 VN-Charta als tragfähige Rechtsgrundlage für den Einsatz der Task Force angeführt werden kann (https://bit.ly/2koFuxm). Ashley Deeks von University of Virgina Law School diskutiert die entsprechenden Zusammenhänge zudem in einem Beitrag auf Lawfare (https://bit.ly/2mfQYDL). Übrigens kommt auch der Verfasser des Gutachtens WD – 3000 – 191/15 des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu der Einschätzung, dass der Bundeswehreinsatz in Syrien völkerrechtlich legitimiert ist (https://bit.ly/2kjuhxW). Er beleuchtet zudem, warum Art. 42 Abs. 7 EUV in Verbindung mit Resolution 2249 (2015) des VN-Sicherheitsrates als weitere vertretbare Rechtsgrundlagen für den Unterstützungseinsatz dienen.
3. Festsetzung eines iranischen Tankers vor Gibraltar
Zunächst ist festzuhalten, dass Deutschland an der Festsetzung des iranischen Öltankers „Grace 1“ am 4. Juli 2019 durch die britische Marine nicht beteiligt war. Seitens der britischen Regierung wurde die Festsetzung mit den EU-Sanktionen gegen Syrien begründet. Denn der Tanker mit iranischem Öl war auf dem Weg nach Syrien. Hier kann als Referenz beispielsweise der deutsche Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg (Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder) angeführt werden, der die Festsetzung auf dieser Grundlage für völkerrechtlich vertretbar erachtet (https://bit.ly/2kNFffp).
Sie thematisieren in Ihrer Nachricht zudem das EU-Türkei-Abkommen. Es ist richtig, dass das Abkommen Ausgleichszahlungen der EU an die Türkei für konkrete Projekte für Flüchtlinge vorsieht. Diese Projekte wurden von der Türkei jedoch noch nicht vollständig umgesetzt. Daher wurden die vorgesehenen EU-Zahlungen noch nicht in vollständiger Höhe vorgenommen. Ähnlich verhält es sich mit der Visaliberalisierung. Auch hier sieht das Abkommen vor, dass die Türkei zunächst alle durch die EU-Kommission gestellten Bedingungen erfüllen muss. Da dies bislang nicht der Fall ist, wurde die Visa-Pflicht für türkische Staatsbürger in der EU noch nicht abgeschafft.
Bei den Bohrungen der Türkei westlich und nordöstlich von Zypern handelt es sich um einen Eingriff in die Hoheitsgewalt und die Hoheitsrechte eines EU-Mitgliedsstaates. Daher hat das türkische Vorgehen im Mittelmeer zugleich Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Nach meiner Auffassung tat der Europäische Rat daher gut daran, diesbezüglich eindeutig Stellung zu beziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Schnieder