Frage an Patrick Schnieder von Alfred L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Abgeordneter,
meine Frage, haben auch Sie als Mitglied der großen Koalition bezüglich Auflistung aller Lobbyisten im Bundestag dagegen gestimmt und wenn ja mit welcher Begründung. welches Kalkül steckt für sie dahinter.
mit freundl. Grüßen
Alfred Lamberty
Sehr geehrter Herr Lamberty,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich gehe davon aus, dass Sie sich auf die Abstimmung vom 10. Juni im Deutschen Bundestag beziehen. Die Forderungen der Opposition sehe ich skeptisch. Gerne erläutere ich Ihnen den Grund für meine Skepsis gegenüber der Forderung nach einer Ausweitung der bisher beim Bundestag bestehenden öffentlichen Verbändeliste.
Nach der Geschäftsordnung findet eine Anhörung von Verbändevertretern in Ausschüssen nur statt, wenn sich diese zuvor in der öffentlichen Verbändeliste registriert haben. Dabei sind u.a. Name und Sitz des Verbandes, die Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung, sein Interessenbereich, Mitgliederzahl, die Anzahl angeschlossener Organisationen und die Namen der Verbandsvertreter anzugeben. Sie wird ständig aktualisiert und ist auf der Webseite des Bundestages einsehbar. Über 2.200 Verbände sind dort bereits registriert.
Selbstverständlich begegnen den Abgeordneten auch abseits der Anhörungen verschiedenste „Lobbyisten“ aus allen Bereichen der Gesellschaft – große Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, Umweltgruppen, Handwerk und Mittelstand, Bürgerinitiativen oder auch Vereinen. Sie alle ringen um Aufmerksamkeit der Abgeordneten und diese Vertretung von Interesse ist keine schlechte Sache, sie ist in einer Demokratie im Gegenteil sogar dringend notwendig. Nur wenn die Politik die Interessen von allen Beteiligten kennt, können verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden. Wahrnehmung und Abwägung von Interessen beginnt bereits im Wahlkreis und das ist auch die Aufgabe der Abgeordneten. Diese Kontaktaufnahme kann auch kein noch so ausgefeiltes Lobbyregister unterbinden, denn das verhindert – und ich kenne niemanden, der das bezweifelt – die grundgesetzlich geschützte Freiheit des Mandates in Art. 38 Abs. 1 GG.
Derzeit wird durch verschiedene Akteure der Eindruck eines intransparenten Parlamentes erweckt, weshalb es für die Einführung eines erweiterten Lobbyistenregisters einen geradezu zwingenden Handlungsbedarf gäbe. Die Wahrheit ist: Das Gesetzgebungsverfahren ist absolut transparent und nachvollziehbar. Das gesamte Verfahren ist auf der Internetseite des Bundestages ständig abrufbar. Die Plenardebatten, die Abstimmungen, die Beschlussempfehlungen des federführenden Ausschusses und eine Vielzahl von Anhörungen zu Gesetzesvorlagen, die schriftlichen oder mündlichen Fragen der Abgeordneten an die Bundesregierung, sogenannte große oder kleine Anfragen, alles ist öffentlich. Es gibt im Bundestag kein Transparenzdefizit und das haben in der jüngsten Anhörung im Geschäftsordnungsausschuss zu dieser Frage (am 11. Mai 2016) auch eine Reihe derjenigen Sachverständigen bestätigt, die sich für die Einführung eines erweiterten Lobbyistenregisters aussprechen.
Das größte Problem und vielleicht auch der Grund, dass bislang auch die Befürworter einer Erweiterung eines Lobbyistenregisters - trotz jahrelangen Beratungen - noch keinen konkreten Gesetzentwurf hierfür vorgelegt haben, liegt in der verfassungsgemäßen Ausgestaltung eines solchen Registers. Auch das hat die erwähnte Anhörung eindrucksvoll bestätigt. Es geht um den verfassungsrechtlich verbürgten Schutz personenbezogener Daten, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und berechtigte Interessen an der Vertraulichkeit von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, den Schutzbereich der Berufsfreiheit, der Eigentumsfreiheit und - besonders schwerwiegend - auch der für Gewerkschaften so wichtigen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Das Bundesarbeitsgericht hat bspw. in einem Urteil vom 25. Januar 2005 (1 AZR 657/03) klargestellt, dass zu der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit auch das Recht gehört, „im gesamten Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen die organisierten Gruppeninteressen gegenüber dem Staat und den politischen Parteien darzustellen und zu verfolgen“; daher fallen darunter „auch Aktionen der Gewerkschaften, die nicht auf Mitgliederwerbung oder auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, sondern mit denen arbeits- oder wirtschaftspolitische Forderungen gegenüber Regierung oder Gesetzgeber vertreten werden sollen.“ Das Bundesverfassungsgericht hat genau diese Auffassung am 6. Februar 2007 (BVerfGK 10, 250 (256) bestätigt und festgestellt, dass die „freie Darstellung organisierter Gruppeninteressen […] Bestandteil der Betätigungsfreiheit, die Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen gewährleistet.“
Dass nicht nur wir von der Union diese Schwierigkeiten sehen, zeigt ein Blick in den Landtag Brandenburg. Dort hatte es im November 2011 ebenfalls eine große öffentliche Anhörung zu diesem Thema gegeben, im Ergebnis hat sich der Landtag mit der damaligen rot/roten Mehrheit auf die Einführung einer Verbändeliste verständig, die mit der Liste des Deutsches Bundestag vergleichbar ist.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Schnieder MdB